Eine jetzt auch von UFZ-Forscher/-innen begleitete Studie bestätigt, dass der immer neue Appell an Verbraucher/-innen nichts nutzt, wenn Regierungen zu feige sind, den Wandel im Umgang mit der Natur mit echten Förder- und Sanktionsinstrumenten zu begleiten. Denn die Konsumenten haben keine Wahl, wenn die Läden eben doch wieder mit naturschädigenden Dumping-Produkten vollgestopft sind.

Auch wenn das in der Meldung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) etwas sanfter klingt. Man möchte ja die armen Regierungen nicht verprellen, die ja in den letzten drei Jahren erst einmal lernen mussten, sich die nötigen Worte dafür anzueignen, um zum Beispiel über das Insektensterben sprechen zu können.

Und das in einem Umfeld, in dem immer noch die alten Phrasen von „Wirtschaftswachstum“ und „Globalisierung“ dominieren und die Hälfte der Minister/-innen alles blockiert, was aus ihrer Sicht die Gewinnerwartungen der Aktionäre schmälert.

Dabei gibt es ja wenigstens Naturschutzprogramme. Aber sie leiden fast überall unter denselben Krankheiten.

Denn, so kann das UFZ feststellen: Zu selten führt das, was Politikerinnen und Politiker an Initiativen, Empfehlungen oder Strategien auf dem Gebiet des Naturschutzes verkünden, dazu, dass die Menschen ihr Alltagsverhalten wirklich ändern. Auch dann nicht, wenn sie genau wissen, dass sie es ändern müssten. Wenn sie nur könnten.

Politik setzt nur zu gern beim Letzten in der Kette, dem sogenannten „mündigen Verbraucher“ an. An die eigentlichen Mächtigen in der Kette trauen sie sich nicht heran aus schierer Angst, von dort heftigsten Gegenwind zu bekommen – Einzelhandelskonzerne und Nahrungsmittelkonzerne ganz vorneweg.

Ein deutsch-israelisches Forscherteam unter Führung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat sich mit den Gründen befasst. Demnach nutzen die von der Politik vorgeschlagenen Maßnahmen die Bandbreite der möglichen Verhaltenseingriffe nicht genügend aus und benennen zu selten die eigentlichen Zielgruppen, schreiben sie im Fachmagazin „Conservation Biology“.

Die Anlage von Blühstreifen ist z.B. eine wirksame Strukturmaßnahme zum Schutz der Bestäuber. Foto: karegg/ AdobeStock
Die Anlage von Blühstreifen ist z. B. eine wirksame Strukturmaßnahme zum Schutz der Bestäuber. Foto: karegg/AdobeStock

Der Schutz bestäubender Insekten ist in der internationalen Naturschutzpolitik ein großes Thema. Aufgerüttelt durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu hohen Bestandseinbrüchen bei Insektengruppen wie Bienen oder Schmetterlingen, die sich beispielsweise auf die Bestäubungsleistungen in der Landwirtschaft auswirken, stellt Europa den Insektenschutz in der Umweltpolitik nach vorn. Zahlreiche Regierungen in Europa haben nationale Strategien vorgelegt, wie sie den Erhalt der Bestäuber sichern wollen.

Ein Forscherteam des UFZ, des iDiv und des Technion – Israel Institute of Technology analysierte acht dieser nationalen Strategiepapiere zum Schutz der Bestäuber im Hinblick auf Verhaltensänderungen in der Bevölkerung. Das Ergebnis: „Naturschutzpolitiken zum Erhalt der Bestäuber sind in dieser Hinsicht oft zu ineffektiv und ändern nur wenig am Verhalten der Menschen“, sagt Erstautorin und Umweltpsychologin Dr. Melissa Marselle, die am UFZ und am iDiv zum Einfluss der Biodiversität auf die Gesundheit forscht.

Rund 610 Einzelmaßnahmen entschlüsselten die Wissenschaftler/-innen in den Strategiepapieren. Anhand des Analysemodells „Behaviour Change Wheel“, das aus der Gesundheitspsychologie stammt und 19 unterschiedliche Verhaltensmodelle integriert, ordneten sie diesen Modellen neun sogenannte Interventionsfunktionen zu – also Maßnahmen, wie sich das Verhalten der Menschen ändern könnte.

Demnach lassen sich mit 23 Prozent die meisten der insgesamt rund 790 Verhaltensmaßnahmen dem Bereich Bildung zuordnen, danach folgen mit 19 Prozent Strukturmaßnahmen wie das Pflanzen von Hecken, die Aussaat von Blühstreifen auf Äckern oder das Anlegen von Grünanlagen in der Stadt.

Rund vier Prozent der Maßnahmen lassen sich unter dem Stichwort Modelling zusammenfassen, also zum Beispiel dem Einsatz von Best-Practice-Beispielen von vorbildlich arbeitenden Landwirten. Danach folgen Anreizsysteme etwa für Landwirte oder Kommunen (drei Prozent) und gesetzliche Regelungen (zwei Prozent). Stärkere Eingriffe wie zum Beispiel zusätzliche Steuern für den Einsatz von Pestiziden tauchten in den Politikpapieren nicht auf.

„Das zeigt, dass sich die nationalen Biodiversitätsstrategien vornehmlich auf Bildungs- und Strukturmaßnahmen konzentrieren und andere wirksame Instrumente vernachlässigen“, sagt Melissa Marselle. „Bildungsmaßnahmen, mit denen Wissen vermittelt und Verständnis geweckt werden soll, sind wichtig. Aber auf Bildung alleine zu setzen, ist nicht sehr effektiv, wenn man wirklich das Umweltverhalten ändern möchte. Zielführender wäre es, sie mit einer breiten Palette anderer Maßnahmen zu koppeln.“

Lieferketten und Erzeugerprinzipien auf Etiketten deutlich zu machen, könne beispielsweise viele Menschen zum Kauf eines ökologischen oder bestäuberfreundlichen Produkts animieren – auch zu einem höheren Preis. Aber auch hier versucht man es wieder über den Endkunden, statt per Gesetz jene Anbieter vom Markt zu nehmen, die nicht auf umweltschädliche Verfahren verzichten wollen.

Wirksam wären auch stärkere finanzielle Anreize für Landwirte, die nachhaltig wirtschaften; ebenso könnte die Zertifizierung nachhaltiger Gebäude an die Verwendung bestäuberfreundlicher Pflanzen als Blumenrabatten gekoppelt werden, schlagen die Studienautor/-innen vor.

Steuern und Mehrkosten für Verbraucher sorgen freilich für rasche Verhaltensänderungen. Das ist den verantwortlichen Regierungen sehr wohl bekannt. So führte in Großbritannien zum Beispiel eine Zwangsabgabe beim Kauf von Plastiktaschen zu einem Rückgang ihrer Verwendung.

Und so würde auch eine CO2-Abgabe wirken, die all jene Produkte verteuert, die durch Verwendung fossiler Brennstoffe entstehen. Kaum aber denkt die Bundesregierung über so ein sinnvolles Instrument, die CO2-Minderung über den Preis der Endprodukte zu steuern, nach, schreit die Unternehmer-Partei FDP: Das geht nicht! Wir klagen. So berichtete es jedenfalls der „Spiegel“ am 9. Juni.

Denn natürlich beeinträchtigt so eine Abgabe genau all jene fossilen Unternehmen, die nicht bereit sind, ihr klimaschädliches Verhalten zu ändern. Sie werden ihre Fossilprodukte nicht mehr los.

Als ein weiteres Manko der Strategiepapiere wurde identifiziert, dass bei 41 Prozent der Einzelmaßnahmen die Zielgruppen nicht benannt werden. Die Ziele sind oft sehr gut beschrieben, drehen sich aber zumeist um die Frage, wie sich die Umwelt durch bestimmte Aktionen verändert. Es wird aber oft nicht näher definiert, an wen sich die Aktionen richten und wer sie umsetzen soll: die Öffentlichkeit, die Landwirte oder die lokalen Behörden?

Effektiver könnte es sein, man würde sich mithilfe von Verhaltensforschern erst einmal überlegen, was die verschiedenen Akteure tun können, und man sich dann darauf aufbauend Maßnahmen überlegt, wie bestimmte Ziele erreicht werden können, befinden die Studienautor/-innen. Lassen aber offen, wie es die adressierten Regierenden verstehen sollen. Wenn sie die Studie ernst nehmen, gehen sie es mit höheren Steuern und Abgaben für alle umwelt- und klimaschädlichen Produkte an – und mit dadurch finanzierter Förderung von wirksamer Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimaschonung.

Gelegenheiten, Naturschutzstrategien besser zu schreiben, gebe es derzeit einige. So müsse beispielsweise die EU-Biodiversitätsstrategie 2030, die die EU-Kommission im Mai 2020 verabschiedete, in nationale Politiken umgesetzt werden. Zudem werden auf der nächsten Konferenz der Convention of Biological Diversity (CBD) im kommenden Jahr in China die globalen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt für die folgenden Jahre verhandelt.

„Vor diesem Hintergrund ist es von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie Politiken formuliert werden müssen, um zu einer wirksamen Umsetzung internationaler Naturschutzpolitik zu kommen“, sagt Prof. Aletta Bonn, die an UFZ und iDiv das Department Ökosystemleistungen leitet und sich mit dem Thema Interaktion von Mensch und Natur befasst.

Publikation: Melissa R. Marselle, Anne Turbe, Assaf Shwartz, Aletta Bonn, Agathe Colléony: „Addressing behavior in pollinator conservation policies to combat the implementation gap“, Conservation Biology.

Ein umweltfreundliches Verhalten wird deutschen Verbraucher/-innen massiv erschwert

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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 82: Große Anspannung und Bewegte Bürger

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