Am Dienstag, 24. März, meldete das Marktamt Leipzig: „Ab sofort keine Wochenmärkte mehr!“ Sachsen preschte in diesem Fall zur Bekämpfung der Corona-Krise allein vor. Und brachte damit auch noch jene Händler und Lieferanten in eine wirtschaftliche Notlage, die bislang noch verschont geblieben waren. Das trifft vor allem die ökologisch wirtschaftenden Bauern, die Anbauprodukte aus der Region auf den Markt bringen. Entsprechendes Unverständnis äußern nicht nur die Bauern.

„Die gestern verfügte Schließung aller Wochenmärkte in Sachsen ist ein Schritt in die falsche Richtung“, erklärte dazu am Mittwoch Claudia Gerster, stellvertretende Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland (AbL).

„Sie leisten einen überaus wichtigen Beitrag zur Nahversorgung der Bevölkerung mit gesunden, regionalen Lebensmitteln und bieten einen weitaus höheren Schutz vor Infektionen, als die üblichen Supermärkte wenn alle Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Deshalb ist die Schließung aller Wochenmärkte in Sachsen auch fachlicher Unsinn und muss sofort wieder rückgängig gemacht werden!“

Claudia Gerster vermarktet ihre Produkte seit Jahren auf dem Erfurter Wochenmarkt auf dem Domplatz und kommentiert die sichtlich widersprüchlichen Maßnahmen der Regierungen: „gerade in diesen Krisenzeiten zeigt sich, wie anfällig hochspezialisierte und auf Globalisierung ausgerichtete Betriebe sind. Dies betrifft in der Landwirtschaft sowohl die Exportorientierung, als auch die Abhängigkeit von Saisonarbeitskräften in Größenordnungen. In diesem Punkt werden scheinbar alle Vorsichtsmaßnahmen zum Infektionsschutz außer Kraft gesetzt und die Saisonarbeitskräfte nach wie vor in einfachsten Massenquartieren mit minimalen Hygienestandards zusammengepfercht.“.

„Vor diesem Hintergrund wirkt es doppelt sarkastisch, nun vielen bäuerlichen Betrieben unter eben diesem Vorwand des Infektionsschutzes ihre Vertriebsmöglichkeit zu schließen und sie damit in extreme wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen. Wir fordern den Sächsischen Landwirtschaftsminister in aller Dringlichkeit auf, diesem Unsinn ein Ende zu bereiten!“

Der Verband für handwerkliche Milchverarbeitung (VHM) e. V. hat zur Durchführung von Wochenmärkten eigene Vorschläge erarbeitet:

– Im Gegensatz zu Supermärkten, kann die Verkaufsfläche auf Wochenmärkten bei größerem Besucherandrang meistens vergrößert werden. Nutzen Sie die Plätze und Nachbarstraßen, um die Fläche bei Bedarf auszuweiten. Marktstände können dadurch weiter auseinander platziert werden.

– Marktbeschicker können wie in Supermärkten Hinweisschilder und Kundenstopper aufstellen, damit der Sicherheitsabstand zwischen Kunden gewahrt bleibt.

– Einige Städte und Gemeinden weiten das Marktangebot aus, indem weitere Markttage angeboten werden. Auch so lässt sich der Besucherandrang reduzieren.

Am Mittwoch gab es dann auch noch geharnischte Kritik vom Ernährungsrat Leipzig

Denn mit dieser Schließung der Wochenmärkte werden ausgerechnet mühsam aufgebaute regionale Wirtschaftskreisläufe zerstört, die eben nicht auf globale Lieferketten angewiesen sind.

Wochenmärkte stellen einen essenziellen Teil regionaler Versorgungsstrukturen dar, indem sie die Direktvermarktung von lokal produzierten und verarbeiteten Lebensmitteln ermöglichen, betonte der Ernährungsrat. Damit bieten sie nicht nur zahlreichen Produzenten und Verarbeitern eine wichtige Lebensgrundlage, sondern ermöglichen Verbrauchern auch den Austausch mit lokalen Erzeugern. Wochenmärkte sind damit essenziell für transparente, demokratische Versorgungssysteme.

Der Ernährungsrat Leipzig habe deshalb mit Verwunderung die am 23. März beschlossene Schließung von Wochenmärkten zur Kenntnis genommen. Auch fragt sich der Verein, warum die Corona-Allgemeinverfügung des Freistaates Sachsen vom 22. März, im Gegensatz zu der vom 18. März, Wochenmärkte nicht explizit als Versorgungsweg erlaubt.

„Während wir“, so Alice Craemer aus dem Vorstand des Ernährungsrats, „grundsätzlich Maßnahmen wie Kontaktverbote gegen die Ausbreitung von Covid-19 befürworten, halten wir ein Verbot von Wochenmärkten für eine große Gefahr für wertvolle regionale Versorgungsstrukturen. Wir sollten die Direktvermarkter und kleinbäuerlichen Betriebe gegenüber den teils globalen Lieferketten im Großhandel unterstützen.“

Neben der Relevanz für die regionale Lebensmittelwirtschaft bieten Wochenmärkte außerdem gleiche Möglichkeiten zur Infektionsprävention wie Supermärkte, vielleicht sogar noch bessere. Maßnahmen wie Kundenstopper sind auch hier einsetzbar und finden bereits in anderen Städten Anwendung. Durch eine Vergrößerung von Marktflächen können auch Mindestabstände leicht gewahrt werden. Vor allem aber verringern Wochenmärkte den Andrang auf Supermärkte und können so zu einer Entzerrung des Kundenaufkommens beitragen.

Und der Ernährungsrat verweist auf die massiven Schwächen unseres globalen Ernährungssystems, die jetzt in der Corona-Krise erst so richtig sichtbar werden: etwa durch das Ausbleiben tausender migrantischer Saisonarbeitskräfte oder moralisch fragwürdige Lebensmittelimporte aus schwer betroffenen Ländern wie Spanien und Italien.

Regionen werden unabhängiger von Krisen und globalen Lieferketten (die meist auch noch klimaschädlich sind), wenn ihre regionalen Kreisläufe gestärkt werden.

„Regionales und ökologisches Wirtschaften kann hier wesentlich zu einer widerstandsfähigen und zukunftsweisenden Alternative beitragen“, betont der Ernährungsrat Leipzig e. V. und fordert, Wochenmärkte von der Ausgangsbeschränkung auszunehmen.

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Keine Kommentare bisher

Ich finde die Schließung der Wochenmärkte nicht nur aus Sicht der Händler und Kunden nachteilig.

Auch aus Übertragungsschutzgründen ist es doch besser, man kauft an einem gut gelüfteten mit Sonne beschienenen Ort ein, als in einem Betonbunker von Supermarkt. Zumal man auf dem Markt deutlich mehr Ausweichmöglichkeiten gegen renitente Abstandsverweigerer hat/schaffen kann, als in einem Supermarkt.

Gibt es da eigentlich schon eine Petition gegen die Schließung?

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