Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 76, seit 21. Februar im HandelKlimawandel, Kohleausstieg, Verkehrswende – grüne Themen dominieren die Agenda. Da kann selbst die Verdrießlichkeit der Parteipolitik kaum mithalten. Aber ein Öko-Thema hinkt seltsamerweise hinterher: der seit Jahrzehnten wachsende Müllberg. Wir nennen es euphemistisch „Entsorgen“, trennen weltmeisterlich unseren Hausmüll, und alles scheint gut zu sein. Dabei sind die Prognosen düster wie eine Sonnenfinsternis. In ein paar Jahren wird sich das Müllaufkommen wieder verdoppelt haben.
Auch in Leipzig tut sich wenig Heldenhaftes. Wer die Schwemme der Coffee-to-go-Becher verpasst hat, muss nur die Bilanz der Müllabfuhr zurate ziehen. Sammelte die Leipziger Stadtreinigung 2014 noch 201.649 Tonnen Müll, waren es 2017 bereits 12.636 Tonnen zusätzlich. Nun ja, irgendwo müssen die täglich mehr als 50.000 Wegschmeißbecher ja bleiben – in Worten: fünfzigtausend – täglich – in Leipzig.
Die Kulturzeitschrift „Das Magazin“ druckte vor zwei Jahren sehr passende Zeilen, welche sich auf Facebook verbreiteten: „Es ist ziemlich faszinierend, dass unsere Gesellschaft an einem Punkt angekommen ist, an dem es einfacher erscheint, in Skandinavien Bäume zu fällen, nach Asien zu verschiffen, unter hohem Wasserverbrauch und Energieaufwand Becher daraus zu formen, diese mit Plastik zu beschichten, welches zuerst gefördert, raffiniert und mit Chemikalien versetzt aufbearbeitet werden musste, alles zurück nach Europa schiffen, mit dem Lkw quer durchs Land zu transportieren, den Pappbecher fünf Minuten benutzen und in den Müll werfen, anstatt die Keramiktasse zurück zur Abgabe zu bringen, wo sie einfach gespült wird.“
Trefflich. Aber das Müllproblem betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Wohlstand und Massenkonsum erzeugen reichlich Abfall. Da helfen keine moralischen Appelle. Unsere Kleiderschränke haben Schrankwandformat, Altkleidersammlungen quellen über. Die Hälfte aller Lebensmittel in Deutschland landet im Müll. Alle zwei Jahre das neueste Smartphone ist selbstverständlich. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
Das bestätigen Zahlen der Zentraldeponie Cröbern, welche den Müll aus Leipzig Stadt und Landkreis aufnimmt. 244.300 Tonnen waren es 2018, fünf Jahre zuvor nur 136.400 Tonnen.
Das erste Problem ist der Ressourcenverbrauch der Massenproduktion. Bei der Herstellung eines Pkw beispielsweise werden etwa drei Mal mehr Ressourcen verbraucht – Rohstoffe, Energie, Transportkilometer, Wasser – als beim jahrelangen Gebrauch. Das könnte auch daran liegen, dass grüne Spötter unseren Pkw nicht ganz unberechtigt „Stehzeug“ statt Fahrzeug nennen, weil es im Schnitt nur etwa eine Viertelstunde täglich fährt und ansonsten irgendwo parkt.
Das zweite Problem: Obgleich viele Gebrauchsgüter, Geräte sowie ihre Fertigung effizienter und sparsamer werden, nehmen Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung weiter zu, da sich die Anzahl beispielsweise der Autos ständig erhöht.
Aber zurück zum Thema: Was passiert mit dem Abfall? Wie wird er recycelt? Heißt es zu Recht oder zu Unrecht „entsorgen“? Die jährliche Abfallbilanz der Zentraldeponie Cröbern enthielt 2013 letztmalig die Verwertungs- und Beseitigungsquoten: „Im Bilanzjahr 2013 wurden circa 66 Prozent der in der mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlage behandelten Abfälle aus privaten Haushalten und anderen Herkunftsbereichen einer Verwertung zugeführt und circa 34 Prozent auf der Zentraldeponie Cröbern als Deponat beseitigt“, heißt es darin.
Klingt nicht übel. Jedoch bedeutet „Verwertung“ zu knapp 70 Prozent „thermische Verwertung“. Das heißt Verbrennung. Lediglich 3,46 Prozent der Abfallmenge Leipzigs wurden 2013 „stofflich verwertet“, also wirklich recycelt.
Das deckt sich mit den deutschlandweiten Zahlen aus dem Plastikatlas, welcher von der Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit dem BUND herausgegeben wird: „Von den 2017 angefallenen 5,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfällen wurden gerade mal 810.000 Tonnen wiederverwertet. Das entspricht einer Quote von 15,6 Prozent.“ Aber alles, was beim Entsorgungsunternehmen ankommt, gilt offiziell als recycelt. 84,4 Prozent werden jedoch als „Wertstoff“ in die Welt exportiert – Malaysia, Indien, Polen – und in Müllverbrennungsanlagen, Kraftwerken oder Zementöfen verheizt.
Selbst PET-Flaschen, die dank Pfand zu 95 Prozent eingesammelt werden, werden nicht unbedingt wieder PET-Flaschen. Einen kleinen, aber unappetitlichen Teil des Kunststoffes geben sie zuerst an den Inhalt ab, den wir trinken. Und aus 16 recycelten Flaschen wird dann ein Fleecepullover, der seine Kunststofffasern beim Waschen als Mikroplastik abgibt. Schätzungsweise 86 Millionen Tonnen Plastik sind bislang im Meer gelandet. Der Müllstrudel im Pazifik hat die viereinhalbfache Größe von Deutschland. Und die Meerestiere, die das schlucken, landen unter Umständen wieder auf unserer Speisekarte.
Es ist ein abstoßendes Thema, das wir aus gutem Grund doch eher verdrängen. Aber es bleibt eine Frage: Wie können wir die Plastik-Müll-Flut eindämmen, ohne dass die Kunststoffe buchstäblich in aller Munde sind?
Laut Plastikatlas fordern 84 Prozent der Deutschen ein staatliches Verbot von Mikroplastik in Kosmetika. Dass Hersteller von Einwegplastik darauf Gebühren zahlen sollen, fordern 83 Prozent. Ein Verbot von Plastikmüllexport in Länder mit unzureichenden Umwelt- und Sozialstandards wünschen sich sogar 92 Prozent. Und 91 Prozent sind für Mehrwegverpackungen, Wiederverwendungsquoten und für eine Verpflichtung der Hersteller, langlebige, reparierbare und wiederverwendbare Produkte auf den Markt zu bringen.
Aber weshalb tun so viele Menschen nicht einfach das Richtige? Niemand zwingt uns, Einwegplastik zu kaufen. Es gibt Glasflaschen, Mehrwegbecher, Kosmetika ohne Mikroplastik, Baumwolltextilien, ÖPNV und vieles mehr …
Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik
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Keine Kommentare bisher
ZUM Thema: Plastikmüll in aller Munde:
Eine einfache, aber leider nur schwer umsetzbare Lösung der Müll-Abfallproblematik gibt es – der Hersteller muss für die Entsorgung aufkommen.
Das wurde mal mit dem Grünen Punkt begonnen. Ist aber leider dadurch schief gegangen, da die Merkel-Nachfolgeregierungen nach Einführung vom Grünen Punkt nicht mehr nachgesteuert haben bzw. die Fehlentwicklungen nicht abgeändert haben.
Anscheinend kostet die Entsorgung von Verpackungen den Produzenten noch zu wenig oder der Produzent wird nicht konsequent einbezogen in die Erfassung durch die Grünen Punkt AG.
Gutes Beispielt ist die Waschmaschine: Warum kaufen wir Konsumenten diese? Warum wird die WM nicht für bestimmte Zeit oder Waschvorgänge geleast und danach übernimmt der Hersteller die WM wieder zum aufarbeiten, reparieren oder entsorgen. Dann wäre die WM besser reparabel, keine Sollbruchstellen wären eingebaut und es würden weitaus weniger nichtrecyclebare Materialien eingebaut. CK