Es gibt in Deutschland tatsächlich einen Bundesverband Influencer Marketing. Das klingt beinah wie bei den Großen, beim Bundesverband der deutschen Industrie zum Beispiel. Der natürlich auch nur ein Verein ist, aber ein mächtiger. So weit sind die deutschen Influencer noch nicht. Denn sie sind meistens Einzelkämpfer, die sich selbst zur Marke machen, um damit im Internet Geld zu verdienen. Andererseits: Ihr Image ist ein ziemlich diskutables.

Das weiß man auch beim Bundesverband Influencer Marketing e. V., der mit Kommunikationswissenschaftlern der Universität Leipzig am Dienstag, 17. Dezember, einen „Ethikkodex Influencer-Kommunikation“ veröffentlicht. Zehn Richtlinien sollen Influencern, Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und Agenturen als Handlungsorientierung für ethisch angemessenes Verhalten dienen.

Um die Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wurden erst einmal schon bestehende Verhaltens-Kodizes in den Feldern der Werbung, der Public Relations, des Journalismus und der Online-Kommunikation sowie auf Grundlage einer Studie zu den aktuellen ethischen Problemfeldern und Erwartungen in der Branche entwickelt. Das Whitepaper „Ethikkodex Influencer-Kommunikation“ erläutert umfassend die Entstehung, Funktion und Handlungsempfehlungen des Kodex.

Einen ganz zentralen Konfliktpunkt nennt zu Beispiel diese Passage zur Transpartenz: „Medieninhalte, denen eine immaterielle, materielle bzw. finanzielle Gegenleistung zugrunde liegt, werden stets unmissverständlich als solche kenntlich gemacht. Diese Kennzeichnungen erfolgen auf allen Plattformen und müssen für alle potenziellen EmpfängerInnen des Beitrags unmissverständlich erkennbar sein. Eine Tarnung von werblichen Inhalten als redaktionelle Beiträge, auch als Schleichwerbung bekannt, wird von den Akteur/-innen abgelehnt.“

Werbung muss gekennzeichnet werden. Denn manches in der Branche funktioniert, weil die Nutzer die Werbung nicht als Werbung erkennen, sondern meinen, eine authentische Person vor sich zu haben, die völlig ohne Abhängigkeiten agiert.

Das wird noch brisanter, wenn es darum geht: Meinen die Influenzer das, was sie da über das angepriesene Produkt sagen, auch wirklich?

„Die geäußerten Meinungen und Erfahrungen beruhen auf den tatsächlichen Einstellungen und Erlebnissen der Beteiligten. Die Akteur/-innen täuschen weder das Publikum noch ihre Kooperationspartner/- innen diesbezüglich. Sie verschweigen zudem keine relevanten Informationen und Hintergründe. Sie missbrauchen somit das ihnen geschenkte Vertrauen nicht und geben keine falschen Tatsachen vor.“

Sollte sich der Bundesverband mit solchen ethischen Grundlagen durchsetzen, könnte die Mitgliedschaft im Verband durchaus so eine Art Unterscheidung sein von Leuten, die um des lieben Geldes Willen auch noch die simpelsten ethischen Standards über den Haufen werden.

„Der Ethikkodex Influencer-Kommunikation bietet Antworten auf die Frage, wie die beteiligten Akteure der Influencer-Branche ethisch angemessen handeln sollen“, sagt Nadja Enke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) der Universität Leipzig. „Diesem Ziel folgend, wurden zehn zentrale Richtlinien formuliert und mit konkreten Handlungsempfehlungen ergänzt.“

Die Richtlinien beziehen sich auf die Eigenständigkeit, Transparenz, Aufrichtigkeit, Wahrheit, Fürsorge, Professionalität, Wertschätzung, Respekt, Loyalität und Verantwortung innerhalb des Handlungsfeldes der Influencer-Kommunikation.

„Sie gehen deutlich über bestehende rechtliche Regelungen hinaus. Dennoch liegt es in der Verantwortung der Branchenteilnehmer, sich über die bestehende Rechtsgrundlage zu informieren und diese auch einzuhalten“, betont Dr. Nils S. Borchers, der ebenfalls am Institut für KMW tätig ist.

Natürlich wissen die Beteiligten, dass Influencer einen Raum besiedeln, der irgendwo zwischen allen Stühlen ist – sie sind keine Journalisten, sondern stehen mit ihrer persönlichen Meinung für das, was sie erzählen, leben oft von Werbeeinnahmen und sind gerade für junge Zuschauer meist Identifikationsfiguren, denen man oft sogar mehr vertraut als klassischer Werbung oder gar Politikern.

„Social-Media-Influencer vereinen für Organisationen und Unternehmen potenzielle Funktionen aus den Bereichen Marketing beziehungsweise Werbung, Public Relations und Journalismus. Als unabhängige Blogger berichten sie beispielsweise kritisch über Unternehmen und Produkte. Im Rahmen von Organisationskooperationen produzieren sie wiederum Inhalte für Organisationen und verbreiten die Botschaften ihrer Auftraggeber“, versucht Nadja Enke das Spektrum zu beschreiben. „In der Influencer-Kommunikations- und Marketing-Branche verschmelzen somit die ethischen Anforderungen vormals getrennter kommunikativer Teildisziplinen.“

Dr. Nils S. Borchers. Foto: Tobias Tanzyna / Universität Leipzig
Dr. Nils S. Borchers. Foto: Tobias Tanzyna / Universität Leipzig

Klingt schön fachlich. Aber diese Disziplinen waren bislang aus gutem Grund getrennt: Journalismus darf nicht zu PR werden, Marketing ist keine unabhängige Berichterstattung.

Andererseits haben die großen IT-Konzerne den klassischen Medien die Werbegrundlage entzogen – die Werbemilliarden fließen jetzt bei ihnen. Und damit wandert auch die Aufmerksamkeit der Nutzer ab – weg von den klassischen Medien, hin in eine Online-Welt, in der geltende Regeln verschwimmen – oder auch bewusst übertreten werden, denn alles lebt dort von Aufmerksamkeit.

Der neue Kodex soll einen integrativen ethischen Orientierungsrahmen bieten, der es Influencern, Organisationen und Mittlern (Kommunikations- und Künstleragenturen sowie Influencer-Kooperationen vermittelnde Datenbanken) ermöglicht, in unterschiedlichen Situationen ethisch angemessen zu handeln.

„Für den Bundesverband Influencer Marketing bedeutet dies, einen Standard für ein verantwortungsvolles Tun und Handeln innerhalb der Influencer-Marketing-Branche anbieten und etablieren zu können und gleichzeitig die Professionalisierung des eigenen Feldes voranzutreiben“, hebt Stefan Doktorowski, Vorsitzender des Bundesverbandes, hervor.

„Für uns ist dieses Projekt ein Paradebeispiel für einen gelungenen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis. Der Kodex wurde wissenschaftlich fundiert und unabhängig von den Verbandsinteressen hergeleitet. Diese Unabhängigkeit war uns wichtig, um unseren Mitgliedern zukünftig eine bestmögliche, aber auch glaubwürdige ethische Orientierung bieten zu können.“

Die Wissenschaftler untersuchten 65 Kodizes nach bestehenden Problemfeldern und übertragbaren Lösungsansätzen. Sie befragten zudem 28 Influencer, Unternehmens- und Agenturvertreter als Experten zu aktuellen Problemfeldern und Lösungserwartungen in der Influencer-Branche.

Das Projekt „Ethikkodex Influencer-Kommunikation“ ist Teil eines größer angelegten Forschungsprogramms zur Influencer-Kommunikation. Im Rahmen des Programms beschäftigen sich Nadja Enke und Nils S. Borchers mit verschiedenen Phänomenen rund um Social-Media-Influencer aus Organisations-, Rezipienten- und gesellschaftlicher Perspektive.

Sie haben bislang Arbeiten zum Management strategischer Influencer-Kommunikation, zum Persuasionswissen von Kindern und Jugendlichen zur Influencer-Kommunikation sowie zur Definition und Einordnung von Influencern als neuem Akteur öffentlicher Kommunikation veröffentlicht.

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