Gleich nachdem die Sächsischen Wohnungsgenossenschaften am Dienstag, 5. März, ihre Untersuchung zu Mieten und Einkommen in Sachsen veröffentlicht haben, brach ja der politische Streit los. Auch weil der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V. (VSWG) einige der politischen Lösungsvorschläge für das Mietproblem deutlich kritisierte. Aber die Studie zeigt tatsächlich sehr detailliert, dass manche Bevölkerungsgruppen beim Mietanstieg einfach nicht mithalten können.
Bereits 2016 hat der VSWG eine solche Studie vorgelegt. Diese Untersuchung wurde jetzt aktualisiert und mit zwölf weiteren neuen Fallgruppen erweitert. Der Fokus der Neuauflage liegt dabei auf Familien und Alleinstehenden mit Kindern.
„Welche Stilblüten das Thema Bezahlbarkeit und Wohnen treibt, lässt sich aktuell an zahlreichen Beispielen feststellen: Unter dem Begriff Mietpreisbremse wird versucht, mit einem Placebo die Miethöhen zu beeinflussen, unter dem Titel Milieuschutz wird faktisch in Teilen der Stadt jegliche Modernisierung von Wohnungen verhindert und in der Bundeshauptstadt werden Hausbesetzung und Enteignung von extremen Lagern, ja sogar von Teilen der Regierung legitimiert“, kommentierte Dr. Axel Viehweger, Vorstand des VSWG, am Dienstag die politische Lage.
„Um die Diskussion zumindest ein wenig auf den Boden der Tatsachen und zurück zur Ehrlichkeit zu holen, dient die Neuauflage der Untersuchung zur Bezahlbarkeit des Wohnens mit der Broschüre ‚Wohn(T)räume 2.0‘ in Sachsen.“
Vorgehensweise
„Ausgehend von den unzähligen Konstellationen von Einkommenshöhe, Beschäftigungsumfang und Kinderzahl wurden insgesamt 30 repräsentative Fallgruppen ausgewählt. Dabei wurde in den Fallgruppen mit niedrigem Nettoeinkommen und somit einem hohen Risiko hinsichtlich der Bezahlbarkeit des Wohnens eine stärkere Differenzierung vorgenommen“, erläuterte Sven Winkler, Referent Betriebswirtschaft des VSWG.
Die Basis der Berechnungen bilden die sogenannten Wohnkosten. Darunter versteht der VSWG die Kosten für die Wohnung (Kaltmiete) einschließlich der Betriebs- und Nebenkosten. Um die tatsächlichen Wohnkosten zu beurteilen, müssen auch die Stromkosten mit einbezogen werden, da die Mieter und Mieterinnen ein Gesamtbudget für das Wohnen haben. Jede Erhöhung der Stromkosten führt somit indirekt zu einer Senkung der monatlich maximal finanzierbaren Wohnungsmiete. Zur Beurteilung der maximal finanzierbaren Mieten in Sachsen wurde mit einer maximalen Wohnkostenbelastung in Höhe von 35 Prozent vom Nettohaushaltseinkommen gerechnet.
Ergebnisse
Ausgehend vom verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen betragen die maximal finanzierbaren Kaltmieten zwischen 3,88 EUR (Rentner alleinstehend) und 14,18 EUR (Paar ohne Kind, zwei Vollzeiteinkommen) je Quadratmeter Wohnfläche. Die ermittelten Werte können aber erst dann sinnvoll bewertet werden, wenn sie in Relation gestellt werden. Werden die Fallgruppen mit den durchschnittlichen Nettokaltmieten im Bestand der sächsischen Wohnungsgenossenschaften (4,82 EUR/qm), einer kalkulatorischen Miete im Bestand, die ein Investor für die gleiche Wohnung verlangen würde (6,77 EUR/qm) bzw. der kalkulatorischen Neubaumiete (10,48 EUR/qm) verglichen, lassen sich die 30 Fallgruppen in die vier Kategorien „Die Armutsgefährdeten“, „Versteckte Verlierer“, „Die Goldene Mitte“ und „Loftbewohner“ einteilen.
„Armutsgefährdete“
Die Gruppe der „Armutsgefährdeten“ ist bereits heute durch Versorgungsschwierigkeiten gekennzeichnet, da ihre maximal finanzierbare Nettokaltmiete zwischen 3,88 und 4,82 EUR/qm und damit zum Teil deutlich unterhalb der vergleichsweise günstigen durchschnittlichen Bestandsmiete der sächsischen Wohnungsgenossenschaften liegt. Zur Kategorie zählen vor allem alleinstehende Rentner (Fallgruppe 1), Alleinstehende mit und ohne Kindern mit niedrigem Einkommen in Teilzeit (Fallgruppen 6, 11 und 13) sowie Familien mit zwei, drei oder vier Kindern, sofern sie niedrige Einkommen beziehen und ein Elternteil zur Kinderbetreuung zu Hause bleibt (Fallgruppen 22 und 25). Auszubildende und Studenten sind im Vergleich zur ersten Analyse zu den „Versteckten Verlierern“ aufgestiegen, liegen aber mit 4,90 EUR und 4,93 EUR pro Quadratmeter nur knapp oberhalb der Trennlinie.
Insgesamt kann der Anteil der „Armutsgefährdeten“ in Sachsen auf ca. 20 Prozent geschätzt werden. Folglich hat jeder fünfte Haushalt in Sachsen Schwierigkeiten, aufgrund seines Einkommens eine Wohnung anzumieten bzw. ist aufgrund seines Einkommens auf bestimmte Vermieter, Regionen und Quartiere reduziert. Neben dem aktuellen Anteil gilt es, die demografische Entwicklung zu betrachten.
Für zu Zweit lebende Rentnerhaushalte ergibt sich im Freistaat Sachsen ein Anteil von derzeit rund 20 Prozent aller Haushalte. Mit voranschreitendem Alter der Haushaltsmitglieder, der Näherung an die statistische Lebenserwartung und einem generell steigenden Anteil an Rentnern im Freistaat Sachsen ist davon auszugehen, dass durch Wegfall eines Partners die Zahl der alleinlebenden Rentner in Zukunft deutlich zunehmen wird. Somit wird sich auch die Gruppe der „Armutsgefährdeten“ tendenziell weiter erhöhen.
„Versteckte Verlierer“
Die zweite Gruppe bilden die sogenannten „Versteckten Verlierer“. Sie sind ausgehend vom Durchschnittsniveau in Sachsen derzeit in der Lage, Wohnraum anzumieten, jedoch ausschließlich im Bestand mit maximal finanzierbaren Kaltmieten zwischen 4,82 und 6,77 EUR/qm. Somit ist eine Versorgung gesichert, beschränkt sich jedoch auf bestimmte Vermietergruppen (z. B. Wohnungsgenossenschaften). In diese Kategorie fallen alleinstehende Menschen mit Vollzeitbeschäftigung zu Mindestlohn (Fallgruppe 3) sowie Alleinstehende mit einem mittleren Teilzeiteinkommen (Fallgruppe 7). Weiterhin reihen sich Alleinerziehende mit einem Kind bei niedrigem Vollzeiteinkommen (Fallgruppe 9) sowie Zweikindfamilien mittleren Einkommens, sofern ein Partner für die Kinderbetreuung zu Hause bleibt (Fallgruppe 23) ein. Abschließend können unter den „Versteckten Verlierern“ auch Studierende (Fallgruppe 29) und Auszubildende (Fallgruppe 30) subsumiert werden.
Für die genannten Personengruppen gilt, dass die zukünftige Versorgungsqualität am Wohnungsmarkt stark von der Entwicklung der Einkommen getrieben wird. Die Sensitivität zur Wohnraumversorgung ist hier besonders groß. Gleichwohl bieten die Einkommenssituation und der Ausblick bezüglich der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit das Risiko eines Abwanderns in einkommensstärkere Regionen. Die Chance der Regionen mit besonders vielen Personen dieser Personengruppe besteht vor allem darin, die Arbeitsmarktinfrastruktur in der Region zu stärken.
„Die Goldene Mitte“
Die dritte Gruppe ist die „Goldene Mitte“. Diese Personengruppe hat weder heute noch morgen ernsthafte Versorgungsschwierigkeiten zu erwarten, da ihre maximal finanzierbare Nettokaltmiete jenseits der kalkulatorischen Bestandsmiete liegt und sie somit unabhängig von der Vermietergruppe Wohnraum anmieten können. Lediglich der Zugang zu Neubauwohnungen bleibt ihnen aufgrund des Einkommens tendenziell verwehrt. Gemäß der ermittelten Daten liegen die relevanten Fallgruppen bei einer maximalen Kaltmiete zwischen 6,77 EUR/qm (kalkulatorische Bestandsmiete) und 10,48 EUR/qm (kalkulatorische Neubaumiete).
In diese Kategorie fallen zunächst in Gemeinschaft lebende Rentner (Fallgruppe 2). Auch Singlehaushalte mit niedrigem Vollzeiteinkommen (Fallgruppe 4) sowie Alleinerziehende mit einem Kind bei mittlerem Vollzeiteinkommen (Fallgruppe 10) zählen in diese Gruppe. Ferner zählen bei verschiedenen Einkommensverhältnissen verschiedene Familienfallgruppen mit ein bis vier Kindern dazu (Fallgruppen 14, 18, 20, 24, 26 und 27). Dieser Personenkreis kann hinsichtlich seines Versorgungspotenzials am Wohnungsmarkt als stabil angesehen werden.
„Loftbewohner“
Die letzte Gruppe bilden die „Loftbewohner“. Dieser Gruppe stehen tendenziell alle Wege offen. Versorgungsengpässe sind weder heute noch morgen zu erwarten. Darüber hinaus sind sie trotz der höheren Neubaumiete in der Lage, eine neu gebaute Wohnung zu beziehen. Ihre maximal finanzierbaren Kaltmieten liegen oberhalb der kalkulatorischen Miete für den Neubau in Höhe von 10,48 EUR/qm. Hierunter können zunächst die klassischen DINKs („Double income, no kids“), also Doppelverdiener ohne Kinder, sogar bei nur niedrigem Doppeleinkommen subsumiert werden (Fallgruppe 8). Weiterhin fallen Singlehaushalte mit mindestens mittlerem Vollzeiteinkommen (Fallgruppe 5) sowie Familien mit überwiegend doppeltem Einkommen oder zumindest einem vollen und einem halben mittleren Gehalt (Fallgruppen 15, 17, 19, 21) in die Gruppe der Loftbewohner.
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Und dann bestätigt auch diese Studie, was die L-IZ im Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Kinderlosigkeit immer wieder konstatieren konnte: Viele (junge) Menschen stehen vor der heillosen Wahl zwischen Karriere und Familie.
Und so stimmt auch in dieser Untersuchung nachdenklich, dass die hohe finanzielle Leistungsfähigkeit oft mit Kinderlosigkeit oder zumindest wenig Kindern bei gleichzeitig hohem Arbeitseinsatz beider Elternteile verbunden ist.
„Unsere Erfahrungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass für einen Großteil der Bevölkerung eine Nettokaltmiete von 6,50 EUR pro Quadratmeter die absolute Obergrenze darstellt. Die Untersuchungen zeigen, dass diese Obergrenze für große Bevölkerungsanteile wie zu zweit lebende Rentner, Singlehaushalte mit Vollzeiteinkommen (auch mit Kind) sowie Familien, sofern die Einkommenssituation einigermaßen angemessen ist, gerade noch darstellbar ist. Somit haben die Ergebnisse die Praxiserfahrungen erneut bestätigt. Ferner wird jedoch auch deutlich, dass der Wert für zahlreiche Fallgruppen nicht erreichbar ist.
Auch ist zu beachten, dass es regional starke Unterschiede gibt und die vertretbaren Mieten im ländlichen Raum zum Teil noch deutlich darunter liegen können. Hier bedarf es staatlichen Handelns, sofern die Modernisierung des Wohnungsbestands zur Barrierefreiheit oder für Familien vorangetrieben werden soll. Auch energetische Sanierungen sind letztlich vom erzielbaren Mietniveau abhängig“, betont Dr. Viehweger.
Bei den kommenden Investitionsbedarfen, vor allem zur barrierearmen Umgestaltung der Bestände sowie zur weiteren energetischen Ertüchtigung, stellt dieses Mietniveau die Wohnungsunternehmen vor große Herausforderungen.
„Werden beispielsweise Wohnungen komplex barrierearm modernisiert, ist mit Kosten zwischen 20.000 und 50.000 EUR zu rechnen. Setzt man den Wert eher im unteren Bereich bei 25.000 EUR an und überträgt die Kosten auf eine 60-Quadratmeter-Wohnung, ergibt sich eine Mieterhöhung nach § 559 BGB i. H. v. etwa 2,78 EUR/qm. Ausgehend vom durchschnittlichen Mietniveau i. H. v. 4,82 EUR/qm kalt ergäbe sich eine Miete von 7,59 EUR, die deutlich oberhalb der Grenze von 6,50 EUR liegt. Folglich bedarf es vor allem staatlicher Fördermöglichkeiten, um die Differenz von 1,00 EUR bis 1,50 EUR/qm abzufedern“, rechnet Sven Winkler, Referent Betriebswirtschaft beim VSWG, vor.
Strategische Handlungsempfehlungen aus Sicht des VSWG
In der Wohnung kumuliert vieles. Die Wohnung soll das Klima retten, Gesundheitsstandort sein und soziale Mieten gewährleisten. Somit steht die Wohnungswirtschaft zwischen den Forderungen von Politik und Gesellschaft auf der einen und der Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter auf der anderen Seite. Dies hat dazu geführt, dass die Kosten in den letzten Jahren zum Teil deutlich stärker gestiegen sind als die Mieten. Die Entwicklung erfolgte also oft zulasten der Wohnungswirtschaft. Dieser Zustand ist auf Dauer im Hinblick auf einen nachhaltigen Wohnungsmarkt nicht tragbar.
„Wir fordern eine ehrliche und gerechte Diskussion über die Kosten des Wohnens. Dabei geht es darum, einen gemeinsamen Weg zu beschreiten, die Ziele aller Beteiligten miteinander zu verbinden und einen Kompromiss der Maximalforderungen zu finden. Insbesondere bei zukünftigen politischen Entscheidungen zu Anforderungen im Bau, Klimaschutz oder Mobilität bedarf es vorher einer qualifizierten Folgenabschätzung hinsichtlich der Wohnkosten“, fordert der VSWG-Vorstand.
Familien und Alleinerziehende im Brennpunkt
Eine klare, wenngleich sehr traurige Botschaft der Untersuchung war die Tendenz, dass Familien mit Kindern gegenüber ihren Vergleichsgruppen ohne Kinder deutlich benachteiligt sind. Noch deutlicher tritt dieser Effekt bei Alleinerziehenden auf. Gerade Alleinerziehende, die aufgrund der Betreuung ihrer Kinder oft auch nicht in vollem Umfang erwerbstätig sind, fallen unter die Gruppe der „Armutsgefährdeten“. Auch der regelmäßig veröffentlichte Armutsbericht deutet immer wieder auf eine Korrelation zwischen alleinerziehenden Eltern und einem Armutsrisiko für Eltern und Kind hin.
Neben sozialen Aspekten bedarf es vor allem einer finanziellen Förderung von Alleinerziehenden und Familien, insbesondere mit mehreren Kindern. Dazu könnte z. B. ein stärkerer Anstieg des Kindergeldes mit zunehmender Kinderzahl oder eine Erhöhung des Wohngeldes bei Kinderhaushalten beitragen. Mit der Ausweitung der Eigentumsförderung – insbesondere im ländlichen Raum – beabsichtigt der Freistaat derzeit, Familien gezielt in Wohneigentum zu bringen. Angesichts der bundesweit niedrigsten Wohneigentumsquote scheint dieses Ziel gerechtfertigt. Jedoch kommt diese Förderung nur jenen Familien zugute, die über eine ausreichende Bonität verfügen; dies ist bei einer hohen Kinderzahl und zum Teil niedrigem Einkommen oft nicht gegeben.
Fazit
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sachsen kein Mietenproblem hat, sondern ein Einkommensproblem. Der zentrale Schlüssel zur Verbesserung der Situation ist daher die Verbesserung der Einkommenssituation. Letztlich ist jeder Wohnungsmarkt so gut wie die zugrunde liegende Wirtschaft. Eine langfristig angelegte Wirtschaftspolitik kann dazu beitragen, Regionen außerhalb der Ballungszentren zu stärken und dem Schwarmverhalten in die Ballungszentren entgegenzuwirken. Somit könnten Abrissförderungen auf der einen und Neubauförderung auf der anderen Seite zum Teil reduziert werden“, resümiert Dr. Axel Viehweger.
Die Ergebnisse haben gezeigt, dass neben einem Personenkreis, der bereits heute zum Teil erhebliche Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt besitzt, auch Personengruppen an der Schwelle stehen, die zukünftig von Versorgungsengpässen gekennzeichnet sein werden. Diesen Entwicklungen gelte es vorzubeugen.
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