Nicht nur mit willkürlichen Sanktionen wird Beziehern von ALG II in Leipzig das kärgliche Lebensminimum gekürzt. Auch bei den Kosten der Unterkunft stehen sie oft vor dem Problem: Wie soll man die Wohnung bezahlen, wenn die KdU-Sätze nicht reichen? Gerade in Leipzig, wo die Angebotsmieten seit 2015 kräftig angezogen sind. Aber Leipzigs KdU-Sätze liegen allesamt noch auf dem Niveau von 2014.

Was schon 2015, kurz nachdem die neuen Leipziger KdU-Sätze nach dem „Schlüssigen Konzept“ beschlossen worden waren, Thema einer Petition wurde. Denn gerade Betroffene hatten oft genug die Erfahrung gemacht, dass man damals schon geeignete Wohnungen mit 4,60 Euro Grundmiete je Quadratmeter mit der Lupe suchen musste – gerade im zunehmend knapp gewordenen Segment der Ein-Raum-Wohnungen und der Wohnungen für Familien.

Die Verwaltung kleckert der Entwicklung meist hinterher. Jahrelang scheiterte Leipzigs Sozialverwaltung auch vor Gerichten, weil die festgelegten KdU-Werte vor Gericht schlicht nicht belastbar waren. Das ging auch anderen Kommunen so, so dass sie alle versuchten, in dieser Zeit, einen Kostensatz zu entwickeln, den Gerichte anerkennen würden. Der nannte sich dann „Schlüssiges Konzept“.

2016 fragte die Linke-Abgeordnete Janina Pfau mal bei der Staatsregierung nach, wie die Erfahrungen mit dem „Schlüssigen Konzept“ in Sachsens Kommunen mittlerweile sind. Doch mehr als summarisch waren die Auskünfte nicht. Zu Leipzig hieß es da zum Beispiel: „Aufwendungen für die KdU wurde auf Grundlage der Daten vorgenommen, die für den Mietspiegel der Stadt 2014 durch die kommunale Statistikstelle erhoben wurden. Im Anschluss wurde überprüft, ob zu den so ermittelten Werten für die Grundmiete eine ausreichende Anzahl an Wohnungsangeboten verfügbar ist. Die Ermittlung angemessener Betriebs- und Heizkosten erfolgte durch eine eigene Auswertung der mittleren Betriebs- und Heizkosten des lokalen Gebäudebestandes.“

Man ahnt, was für ein schwerfälliger Prozess es ist, wenn Verwaltungen ihre Entscheidungen an der Wirklichkeit ausjustieren wollen.

Da läuft ihnen die Entwicklung am Wohnungsmarkt einfach davon. Eigentlich wäre 2016 die Neujustierung der KdU-Richtwerte in Leipzig fällig gewesen. Doch das ist bis heute nicht passiert. Jetzt ist von Anfang 2018 die Rede, was nichts mehr mit der zweijährigen Neu-Justierung der KdU-Werte, die Leipzigs Verwaltung zugesagt hatte, zu tun hat.

Was Oktober 2017 ein Thema für einen anderen Landtagsabgeordneten der Linken, Lutz Richter, war. Denn die Verwaltungen hatten ja allesamt versprochen, die neuen „Schlüssigen Konzepte“ seien gerichtsfest. Leipzig hatte gar betont: „Ziel des Methodenwechsels ist eine transparente Ermittlung angemessener Unterkunfts- und Heizkosten, die auch von den sozialgerichtlichen Instanzen anerkannt wird.“

Aber das mögen Verwaltungen so sehen. Die Betroffenen sehen sich nach wie vor nicht ernst genommen. Auch wenn sich die sächsische Staatsregierung völlig außerstande sieht, eine belastbare Statistik zu den Gerichtsverfahren zu „Kosten der Unterkunft“ vorzulegen. Was nach einer Vielzahl ähnlicher Anfragen nicht mehr verblüfft. Man registriert zwar ganz sachlich die Vielzahl der Fälle – aber wenn es um die Ergebnisse geht, hört in der sächsischen Justiz jede Statistik auf. Da wird dann das Gedächtnis der Richter abgefragt, an welchen Prozessausgang sie sich noch erinnern.

Es ist praktisch überhaupt nicht aussagekräftig, wenn sich jemand am Sozialgericht Leipzig erinnert, dass die Kläger in 30 Fällen komplett unterlagen. Denn Gerichtsprozesse enden nun einmal nicht immer mit Niederlagen oder vollumfänglichen Siegen. Meist stehen Kompromisse und einvernehmliche Vereinbarungen am Ende – gerade vor dem Sozialgericht. Oft einigt man sich auch außergerichtlich – gerade im Fall der Jobcenter, wenn sie merken, dass sie den Prozess nicht gewinnen können.

Nur als wichtige Vergleichszahl: Allein in Leipzig waren im Juni 703 Verfahren zu „Kosten der Unterkunft“ anhängig.

Man könnte ja frech sein und sagen: Wenn nur 30 mit einer Niederlage enden, dann haben die Kläger in 95 Prozent aller Fälle Erfolg. Was wohl übertrieben wäre. Wahrscheinlicher ist – aber das zeigt diese Statistik eben nicht – dass es in der Mehrzahl zu außergerichtlichen Einigungen kam. Zu der gerade die Jobcenter in Leipzig und Nordsachsen immer mehr gezwungen sind.

Denn das sagt diese Statistik natürlich deutlich: Nirgendwo in Sachsen gibt es so viele Klagen gegen die KdU wie in Leipzig (703 Fälle), Nordsachsen (626 Fälle) und dem Landkreis Leipzig (384 Fälle). Das deutet auf mehrere Dinge hin: Erstens die Tatsache, dass die „Schlüssigen Konzepte“ hier augenscheinlich nicht (mehr) den aktuellen Stand abbilden. Und zum zweiten, dass der Wohnungsmarkt mit derart preiswerten Wohnungen in Leipzig quasi verschwunden ist.

Noch 2015 wurde die Petition zum Thema vom Sozialdezernat mit folgender Aussage abgewiesen: „Dazu hatte das Sozialamt über einen Zeitraum von drei Monaten den Mietwohnungsmarkt im Stadtgebiet genauer untersucht und festgestellt, dass durch den im Schlüssigen Konzept vom 18.09.2012 (DS V/2510) festgesetzten Grundmieteneckwert von 4,48 € je m² Wohnfläche eine ausreichende Versorgung mit Wohnungen des preiswerten Segments gewährleistet ist. Bei einer am 23.10.2014 durchgeführten Internetrecherche wurden über 300 Wohnungsangebote zu dieser Grundmiete verteilt über das gesamte Stadtgebiet gefunden.“

Als im Frühjahr 2017 die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat mal nachfragte, wie es um die reale Verfügbarkeit von preiswertem Wohnraum für Familien stünde, sah die Antwort schon ganz anders aus. Mit einfach so Suchen und Finden wie noch 2014 war es nicht mehr. Wer jetzt sucht, ist monatelang auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung für Familien.

Das Sozialdezernat: „Nach Erfahrungen des Sozialamtes werden für die Suche nach einer geeigneten Wohnung drei bis sechs Monate benötigt. Bei sehr großen Haushalten kann dieser Zeitraum auch länger sein.“

Da darf wirklich nichts pressieren.

Aber das hat sich auch im Sozialamt mittlerweile herumgesprochen. Denn wenn die Werte aus dem „Schlüssigen Konzept“ keinen Sinn mehr machen, ist den Betroffenen nicht geholfen, wenn dann ein Sachbearbeiter doch Kraft seines Amtes einen Umzug anweist, weil die augenblickliche Wohnung scheinbar „zu teuer“ ist.

Wie das in der Praxis aussieht, schildert das Sozialdezernat so: „Die Mitarbeiter des Leistungsbereiches sind angehalten, bei der Anerkennung unangemessener Unterkunftskosten Ermessen auszuüben. In der Richtlinie Kosten der Unterkunft ist dazu unter anderem geregelt, dass Mietsenkungsaufforderungen nur ergehen, wenn sich die mit dem Wohnungswechsel verbundenen Umzugskosten innerhalb von zwölf Monaten amortisieren. Darüber hinaus können gemäß Richtlinie Kosten der Unterkunft abweichende Bedarfe bei großen Familien berücksichtigt werden, wenn die Versorgung mit Wohnraum nicht möglich ist, weil keine Angebote zu angemessenen Mieten am örtlichen Wohnungsmarkt vorhanden sind.“

Was schon erstaunlich ist: Erstmals erkennt die Verwaltung an, dass es in einigen Segmenten „keine Angebote zu angemessenen Mieten am örtlichen Wohnungsmarkt“ mehr gibt. Auch nicht in den Nachbargemeinden, die derzeit einen Großteil des Leipziger Bevölkerungswachstums auffangen. Aber halt zu deutlich höheren Mieten. Was dann auch die Mietpreise in Markkleeberg oder Markranstädt gehörig unter Druck bringt.

Wie reagiert das Sozialamt dann, wenn so gar nichts geht? – „In diesen Fällen wird der betreffende Haushalt zur Unterstützung bei der Wohnungssuche an das Sachgebiet Wohnraumversorgung des Sozialamtes vermittelt. Kann dort ebenfalls kein kostenangemessener Wohnraum angeboten werden, wird ein Negativtestat ausgestellt. Auf dessen Grundlage kann das Jobcenter auch unangemessene Unterkunftskosten anerkennen.“

Das ist nur für die Betroffenen wieder eine zermürbende Bürokratierunde extra. Teilweise natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass die KdU-Richtwerte von 2014 längst Schall und Rauch sind und mit dem aktuellen Leipziger Wohnungsmarkt nichts mehr zu tun haben.

Petition an den Leipziger Stadtrat 2015 zu „Kosten der Unterkunft“.

Antwort des Sozialdezernats auf eine SPD-Anfrage vom Frühjahr 2017.

Begründung zum Leipziger „Schlüssigen Konzept“ von 2014.

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Mir sind in den letzten Monaten mehrere Bescheide untergekommen, in denen das JC bei Singles bis zu 240€ Kaltmiete nach Widerspruch gegen die Kostensenkungssaufforderung klammheimlich genehmigt hat. Also: schon der Widerspruch lohnt sich.
Den Widerspruch kann man schon mit einem Kostenvoranschlag eines Umzugsunternehmens begründen. Nichtsdestotrotz werden weiterhin Kostensenkungsaufforderungen verschickt, auch wenn es offensichtlich ist, dass der Umzug teurer ist innerhalb von 2 Jahren, als die bisher bewohnte Wohnung.

Nicht zu vergessen, dass die Vermieter aufgrund der Wohnungsknappheit fast alle munter nach den 15 Monaten erhöhen.

Und irgendwann sind wir wieder da, wo wir vor 10 Jahren waren: leere Wohnungen zuhauf, weil sie niemand mehr bezahlen kann und lieber ins Umland zieht, weil die Fahrtkosten billiger sind als der Mehrbpreis für die Wohnung. Wer viel will kriegt gar nix, das werden die Vermieter dann auch wieder merken

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