Das Pech der Leipziger Straßenbahnnutzer ist wohl, dass die für die Straßenbahn Verantwortlichen selten bis nie Straßenbahn fahren. Schon gar nicht die aus der Werbeabteilung, die drinnen die Fahrgäste mit Werbe-TV bespielen und gleichzeitig die Fenster zukleben, damit der Fahrgast auch nicht hinausschauen kann. Im Mai berichteten wir über den Kummer des Herrn B. mit den beklebten Fenstern.
Er hat dann auch wirklich ausführlich Antwort bekommen aus dem Team Kundendialog der LVB. Nicht ausführlich genug aus seiner Sicht. Und auch nicht hilfreich. Deswegen versuchte er sein Anliegen dann auch noch irgendwie an die Geschäftsleitung heranzutragen, landete dann wieder beim Team Kundendialog, wo man bedauerte, dass ihm die Auskünfte nicht genügten.
Aber sie genügen ihm auch jetzt noch nicht. Denn was helfen einem lauter freundliche Auskünfte, wenn sie doch eigentlich alle nur bedeuten: „Lassen Sie das Thema bitten ruhen. Wir möchten daran nichts ändern.“
Er hatte ein ganzes Sorgenbündel. Und vor ein paar Jahren hätten wir auch noch gedacht, mit so etwas wende man sich am besten an den Kundenbeirat der LVB. Aber dort geht es mit solchen Anliegen nicht besser zu. Es gibt augenscheinlich keine Instanz, die bereit ist zu sagen: „Sie haben Recht. Wie können wir das Problem beheben?“
Und die zugeklebten Fenster sind ärgerlich.
Auch wenn das Unternehmen selbst dem kritischen Fahrgast bescheinigte: „Wenngleich wir als Verkehrsbetrieb auf die Einnahmen der Fahrzeugaußenwerbung angewiesen sind, gehen die Leipziger Verkehrsbetriebe dennoch verantwortungsvoll mit dem Thema um. Zwar gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die das Bekleben von Scheiben festlegen, jedoch haben wir uns entschlossen, maximal 30 % der Gesamtfläche aller Scheiben im Fahrzeug zu bekleben. Damit der Fahrgast immer eine gute Sicht nach Außen hat, sind diese Flächen mit einer sogenannten ‚Lochfolie‘ versehen. Alle Werbeprojekte unserer Vertragspartner werden vor deren Realisierung durch uns eingehend geprüft. Oft müssen wir, bevor wir unsere Zustimmung geben, die Werbekunden auffordern, die Entwürfe nachzubessern bzw. so zu verändern, dass Sie unseren Ansprüchen genügen.“
Erstaunlich, dass es dazu kein Gesetz gibt. Aber warum hält man es für zumutbar, dass 30 Prozent der Fahrgäste nicht aus dem Fenster schauen können? Kundenservice ist das nicht wirklich.
Findet auch Herr B. immer noch, der sich noch einmal genauso ausführlich zum Thema äußert: „Dass eine Fensterwerbung mit Lochfolie eine Sicht nach draußen ermöglicht, ist schlichtweg falsch. Mir scheint, als ob Sie nie Straßenbahn fahren. Das Auge frisst sich an der 2-3 mm großen Lochung fest und erlaubt mitnichten ein Durchschauen. Wenn, dann müssten Sie die halbdurchlässigen Fenster-Werbefolien mit wesentlich feinerem (< 0.5 mm) Punktraster versehen. So aber sitzt man als Fahrgast an einem Fenster mit Lochfolie wie hinter Gittern. Und wodurch stützen Sie die Behauptung, man könne unter dem Werbebanner hindurchschauen? In den Tatra-Bahnen ist dies nur bei der kleineren Hälfte der Bevölkerung möglich. Sie scheinen die Tests nur mit maximal 1,70 m großen Personen durchzuführen.“
Diese Werbebanner findet man meistens an den Fenstern der Tatra-Straßenbahn, genau da hingeklebt, wo man im Sitzen eigentlich aus dem Fenster schauen möchte. Stattdessen drängt sich einem eine Werbung auf wie bei den Werbebannern bei Youtube, die mit immer neuer Penetranz mitten im Filmbild eingeblendet werden. Eine Werbeform, die ja bekanntlich auch der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) liebt: Nur ja richtig aufdringlich werden.
Dass das eigentlich etwas schäbig und billig wirkt, fällt den Verantwortlichen wohl nicht auf.
Verbessert das wirklich das Image des Unternehmens?
Das bezweifeln wir aber.
Es ist nur eine Werbestrategie, die von kommunalen Unternehmen derzeit besonders gern und penetrant angewandt wird, ohne dabei im Mindesten auch nur Kundenservice zu denken.
Dass die Werbebanner da kleben, wo sie am meisten stören, begründete das Team Kundendialog so: „Ihren Eindruck, dass die Seitenscheibenplakate die Sicht der Fahrgäste beeinträchtigen, können wir nicht bestätigen. Vor einiger Zeit haben wir entschieden, alle Seitenscheibenplakate von der Fensterunterkante nach oben, unter den Quersteg zu verlagern. Durch diese Maßnahme konnten wir eine Verbesserung der Sicht in allen Wagentypen realisieren. Sitzende Fahrgäste können problemlos unter dem Werbebanner hindurchschauen. Stehende Fahrgäste können ebenso gut links und rechts des Plakats durch das Fenster oder darüber hinweg durch die Fensterklappe blicken. Wir sehen deshalb keinen Grund, die realisierte und vertraglich geregelte Platzierung der Seitenscheibenplakate (Banner) in unseren Tatra-Fahrzeugen zu verändern.“
Pech also, wenn man größer als 1,60 Meter ist.
Und Herr B. dazu: „Die Unterkante der Banner befindet sich auf jeden Fall ca. 4 cm unter meiner Augenhöhe. Und wie kommen Sie auf die Idee, man könne, wenn man am Fenster sitzt, an einem 50 cm breiten Werbebanner links oder rechts vorbeischauen? Ich habe nicht den Kopf eines Hammerhais und Sie vermutlich auch nicht. Gut, ich bin mit 1,94 m schon recht groß, aber nicht extrem groß, kein Exot. Und: Ich habe vergleichsweise lange Beine und einen kürzeren Oberkörper, bin also kein ‚Sitzriese‘, d. h. viele Männer schon ab 1,85 m Körpergröße mit längerem Oberkörper als ich können schon nicht mehr unter den Tatra-Fensterbannern hindurchschauen. Die durchschnittliche Männer-Körpergröße beträgt 1,81 m! Das 95. Größen-Perzentil liegt bei 1,95 m. Warum verdammt noch mal verweigern die Verkehrsbetriebe und Sie als Kundenservice-Sprecher nach meinem Hinweis immer noch pauschal die Anbringung der Werbebanner auf den Oberlichtern, blockieren damit stur eine Kompromisslösung, die allen Anforderungen gerecht werden würde???“
Man merkt: Herr B. ist richtig sauer.
Darf er möglicherweise sogar sein. Denn wer aufmerksam ist, sieht, dass gerade kommunale Betriebe die Straßenbahnen gern zukleben mit ihrer Werbung. Auch wenn man das in den Werbevorständen nicht wirklich fassen kann: Aber genau so zeigt man den eigenen Fahrgästen, was man von ihnen hält.
Zumindest aber lernen wir nun, dass man sich mit solchen Fragen auch nicht an den Kundenservice wenden muss.
An wen aber sonst?
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Es gibt 2 Kommentare
Da ist was dran. Wenn ich so überlege, fällt mir nicht eine einziges öffentlich beworbenes Produkt ein.
Ich finde die LVB in diesem Bezug schon extrem. Werbung mag unumgänglich sein, aber so extrem wie in Leipzig hätte ich es bisher auch noch nirgends erlebt. Die Sichteinschränkungen sind definitiv vorhanden, egal wie groß man die Löcher macht und das kann es eigentlich nicht sein. Oder läuft das im Sommer unter Sonnenschutz?
Das es auch anders geht zeigen andere Großstädte, wo Werbung entweder “dezent” angebracht ist und vor allem ohne (große) Sichteinschränkungen. Man kann sogar ganze S-Bahnzüge umlackieren und trotzdem die Fenster freilassen, muss man halt “kreativ” sein.
Die andere Frage ist doch eher, ob Werbung im städtischen Raum überhaupt noch wahrgenommen wird? Wenn ich bedenke an wie vielen Haltestellen, Plakatwänden, Aufstellern und ÖPNV-Werbung ich jeden (Arbeits-)Tag vorbeikomme, so kann ich Abends keine 5 Werbenden mehr aufzählen und dabei starre ich nicht mal den Großteil der Zeit aufs Smartphone.