Was ist das nur? Alle Nase lang lud in den letzten Tagen der Handelsverband Sachsen e.V. in irgendeinen Kaufland-Markt der Region zur Übergabe eines Siegels "Generationenfreundliches Einkaufen" ein. Am Mittwoch, 15. August, sind gleich zwei Termine angesetzt im Kaufland-Markt in Grimma und in dem in Großpösna. Eine neue PR-Aktion von Kaufland? - Nicht ganz. Nur erreicht jetzt eine der vielen Ideen von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder auch die Region Leipzig.

Ihre Initiative nennt sich “Wirtschaftsfaktor Alter”. “Die heutige Generation 50plus ist zudem konsumfreudiger und aufgeschlossener gegenüber Neuerungen als frühere. Sie ist gebildeter und stellt größere Ansprüche an ein aktives, selbstbestimmtes Leben im Alter. Für die Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen hat dies erhebliche Konsequenzen”, heißt es dazu in einer Presseerklärung, die Kristina Schröder im März 2010 gemeinsam mit Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE), unterzeichnet hat.

Ob die Senioren genug Geld haben, um sich alle ihre modernen Wünsche zu erfüllen, steht da nicht. Aber als Konsumenten sind sie trotzdem gern gesehen. Und so sind die Ziele der gemeinsamen Initiative “Wirtschaftsfaktor Alter” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie:

  • die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern
  • die Potenziale des Marktes für generationengerechte Produkte und Dienstleistungen aufzuzeigen
  • Impulse zu geben für die Entwicklung von innovativen Produkten und Dienstleistungen für alle Generationen
  • und ältere Menschen in ihrer Rolle als Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken.

Dafür sucht man sich Partner. Einer ist der Handelsverband, der im März 2010 erstmals das Label “Generationenfreundliches Einkaufen” vergeben hat. Seitdem vergeht eigentlich kein Tag, an dem nicht ein Supermarkt, Discounter, Sortimenter in Deutschland das orange Label bekommt.
“‘Ausgezeichnet Generationenfreundlich’ steht für den Anspruch des Handels, den tagtäglichen Einkauf bequem und barrierearm zu gewährleisten. Davon sollen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklungen alle Kunden profitieren: Jung und Alt, Eltern mit Kinderwagen ebenso wie Menschen mit Einschränkungen. Hinter der Initiative stehen der Handelsverband Deutschland mit dem Handelsverband Sachsen und eine ganze Reihe im Sinne des gemeinsamen Anliegens aktiver Organisationen”, erklärt der Handelsverband Sachsen dazu. “Immer mehr Unternehmen erkennen den Wert einer konsequenten Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse auf diesem wichtigen Handlungsfeld. Im Landkreis Leipzig tragen bereits 23 Einrichtungen des Einzelhandels das Zertifikat, das eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren hat.”

Deutschlandweit haben mittlerweile 2.736 Einzelhandelsunternehmen das orange Schildchen an der Eingangstür kleben – dazu 804 in Niedersachsen, wo es die Pilotaktion dazu gab. Und dazu noch 1.089 Center und Stadtteile (Stand Juli). Auch die Testliste mit den 58 Kriterien findet man auf der Website des Handelsverbandes zu dieser neuen Werbeaktion. Eigentlich sind es keine 58 Kriterien, nur 58 Fragen. Von den Parkmöglichkeiten bis zur Behindertentoilette. Das Meiste gut nachvollziehbar. Deswegen versteht man auch, dass die Verbraucherzentrale Partner der Aktion ist, die um das Meiste, was hier aufgelistet ist, seit Jahrzehnten kämpft.

Die gute Botschaft also: Die jahrelangen Forderungen der Verbraucherschützer sind in Teilen bei den Handelsriesen angekommen. Die geben die Trends vor. Wenn die Giganten der Branche akzeptieren, dass Kassenbänder breit genug und lang genug sein müssen, Preise gut lesbar, Servicekräfte ansprechbar und Verkaufsräume barrierefrei – dann setzt das die Normen für alle. Dann werden auch Kassen mit großen Kundendisplays hergestellt, werden wieder ordentliche Lampen im Laden montiert und die Werbemusik im Laden wird endlich leiser gedreht. Die Wege zwischen den Regalen werden wieder so breit, dass auch zwei Einkaufswagen aneinander vorbei kommen, und die höchsten Regalbretter befinden sich in 1,70 Meter Höhe. Nicht höher.

Sind die Waren- und Produktbereiche gut zu finden? – Schöne Frage. Aber auch eine von denen, die zu denken gibt. Irgendwie hat man natürlich bei der ganzen Liste das Gefühl, da fehle was. Nicht die Auswahl und auch nicht der Service. Aber die kleinen Dinge, die einen vor jedem Einkauf mutlos machen.
Da wird hier zwar nach vorhandenen Parkplätzen und leichter Fußläufigkeit vom Parkplatz in den Laden gefragt – aber alles andere fehlt, ist einfach nicht da. Irgendwie fühlt man sich arg an die Leipziger Center-Politik erinnert, die ja nicht von ungefähr kommt. Man setzt eine Menge Kraft auf den Bau von Parkflächen. Aber wenn die nervigen Umweltverbände nach der Erreichbarkeit des Centers zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem ÖPNV fragen, wird’s oft dünn.

Beim ÖPNV nicht ganz so dünn, weil man die Kaufland-Märkte nach den Richtlinien der Stadt da hin gebaut hat, wo sowieso schon gute ÖPNV-Verbindungen existieren. Bei Fußläufigkeit und Radanbindung wird’s da und dort schon etwas schwieriger.

Die nächste Schwierigkeit beginnt vorm Laden. Frage 51: “Gibt es unterschiedliche Einkaufswagen oder solche, die multifunktional sind? (zum Beispiel Einkaufswagen mit Sitzgelegenheit für Erwachsene, Einkaufswagen mit Lupe oder mit kleinem Füllbereich oder mit Babyschalen, Kindereinkaufswagen)”. Manchmal täten es auch einfache Einkaufskörbe. Oder unterschiedlich große Einkaufswagen – kleinere Einkaufswagen zum Beispiel. Denn das, was in den meisten Leipziger Märkten herumfährt, ist für Wochendeinkäufe von Großfamilien gedacht und nicht ansatzweise altersfreundlich. Denn wenn man älter ist, geht man gern öfter mal in kleinen Portionen einkaufen. Denn wer soll einen Großeinkauf nach Hause und die Treppe hoch schleppen?

Klar: Ein Hol- und Bringedienst. Steht auch als Frage da. Ist aber Unfug. Das Problem ist doch: Man kann nicht jedes Problem mit Extra-Aufwand lösen. Die Lösungen müssen einfach und nachhaltig sein. Bei der nächsten Wettbewerbsrunde wird der Hol- und Bringedienst wieder eingespart – und dann?

Macht die Körbe kleiner und altersgerechter. Hört auf, so gierig zu sein, könnte man hier sagen.

Das ist das Problem bei unseren Einzelhändlern. Sie verstehen noch lange nicht, dass sie von den vielen kleinen alltäglichen Einkäufen leben. Aber die sind am umständlichsten. Spätestens an der Kasse. Der Testbogen enthält vier Fragen zur Kasse. Die wichtigsten Fragen fehlen. Die wichtigste: Sind genug Kassen vorhanden? Sind genug Kassen besetzt? Gibt es Extra-Kassen für Schnell-Einkäufe? Oder solche für die Wochen-Einkäufer? Wie lange steht man in der Warteschlange, um seine drei Brötchen und den Sellerie zu bezahlen?

Man wird also das orange Schild auch in und um Leipzig immer öfter am Laden kleben sehen. Zeichen dafür, dass im deutschen Einzelhandel das Umdenken zumindest begonnen hat, was Barrierefreiheit und Generationenfreundlichkeit betrifft.

An einigen Stellen wird das Weiterdenken noch gescheut, tut man noch immer so, als sei der Autokunde das Maß der Dinge. Ist er in einigen der nun mit dem Label verzierten Märkten. Unübersehbar. Spätestens wenn der Kunde vor einem das ganze Laufband mit seinem Großfamilieneinkauf vollgepackt hat, entscheidet man sich als Fußgänger: Hier kommst du vorerst nicht wieder her.

Vielleicht legt ja der Handelsverband mal ein ganz anderes Gütezeichen auf – in Grün zum Beispiel: Fußgängerfreundlicher Einkauf.

www.generationenfreundliches-einkaufen.de

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