„Wie wir Leipzig zur menschengerechten Stadt machen“, zu diesem Thema fand am 11. November die Veranstaltung „Auto-Diktat Begreifen“ in der Leipziger Albertina statt. Der Einladung von Universität Leipzig, Stadt Leipzig, ADFC, Scientists for future und anderen folgten etwa 150 bis 200 nicht nur junge und fahrradaffine Menschen. Dr. Karsten Haustein, ein Klimawissenschaftler am Meteorologischen Institut der Universität Leipzig, gehört zu den Initiatoren.

Er arbeitet im Projekt „‚GuTes Klima‘ – Gerechtigkeit und urbane Transformation Leipzigs in Zeiten galoppierenden Klimawandels“ und sagte uns im Interview:

„Ich habe das Projekt, wie wir Transfer in die Gesellschaft aus der Wissenschaft bewerkstelligen können, vorgestellt. ‚GuTes Klima‘ haben wir das genannt. Wie wir die Stadt umgestalten können, dass sie klimawandeltauglich und auch menschenfreundlicher ist. Was wir da gemacht haben ist, zu gucken, wie wird im Moment kommuniziert, gerade aus der Wissenschaft in die Gesellschaft, aber auch von der Gesellschaft in die Politik und vice versa aus der Politik heraus.

Weil wir ja sehen, dass alles ziemlich langsam vorwärts geht, wie können wir den Prozess beschleunigen? Denn wir wissen, der Klimawandel verlangt, dass wir uns transformieren. Aber gleichzeitig realisieren wir auch zunehmend, dass wir in einer Welt, gerade was den Verkehr angeht, leben, die doch ganz schön menschenunfreundlich ist.“

Karsten Haustein. Foto: Thomas Köhler
Karsten Haustein. Foto: Thomas Köhler

Er wies in der Eröffnung der Veranstaltung außer auf die die Klimaaspekte des Autoverkehrs auch auf eine Ungleichheit der Belastung für die betroffenen Menschen hin. Laut Studien ist die Lärm- und Abgasbelastung in Städten am höchsten, wo die Menschen die wenigsten Autos haben.

Im Gespräch mit Katja Diehl

Im ersten Teil der Veranstaltung sprach Karsten Haustein mit Katja Diehl, die mit ihren Büchern „Autokorrektur“ und „Raus aus der AUTOkratie“ in den letzten drei Jahre das Thema menschengerechte Mobilität befeuert hat.

Die oft als Autogegnerin geframte Autorin sieht sich eher, wie sie in der Diskussion betonte, als „Pressesprecherin und Advokatin für die Menschen, die jetzt auch gerade hier nicht im Raum sind. Wenn ihr euch hier mal umguckt, wir sind recht homogen. Wir haben Privilegien, dass wir heute Abend hier sein können. Umso mehr haben wir die Verantwortung für Menschen, die keine Stimme haben, diese Stimme zu sein.“ Gemeint ist damit eine große Zahl von Menschen, die von der Mobilität abgeschnitten sind, weil sie kein Auto fahren können. Sie will die Menschen, die bei der Mobilitätsplanung vergessen werden, mitnehmen.

Wir haben Katja Diehl nach ihrer Motivation gefragt.

Katja Diehl. Foto: Thomas Köhler
Katja Diehl. Foto: Thomas Köhler

„Wir nähern uns ja interessanten Zeiten und ich glaube, wir sollten einfach mal ganz grundsätzlich darüber reden, wie wir in Zukunft leben wollen. Aktuell sind die Debatten, die wir führen, ja eher Auto ja oder nein, Fahrräder sind doof. Ich glaube, wir brauchen eigene Visionen. Ich setze mich ja nicht nur wegen der Klimakatastrophe für eine andere Mobilität ein, sondern auch weil ich behinderten Menschen, Kindern und älteren Menschen, also Menschen, die in diesem sehr autozentrierten System vergessen werden, auch eine Mobilität bieten möchte.

Leipzig ist jetzt natürlich eine Stadt, da gibt es auch Alternativen. Aber ich habe gerade eben, weil ich ja bald eine neue Hüfte bekomme, lange mit dem Taxi im Stau gestanden. Also mit viel Freude hat das auch mit dem Auto nichts zu tun. Und wenn wir da alle, die das Auto nicht so dringend benötigen, andere Verkehrsträger bekommen, dann haben alle was davon und die Stadt wird lebenswerter.“

Das gilt für Städte, die Landbevölkerung wird oft vergessen. Denkt Katja Diehl das mit?

„Das ist auch eine Sache, für die ich mich einsetze, dass wir Stadt und Land zusammen denken. Viele aus dem ländlichen Raum kommen in die Städte, einmal um zu arbeiten, aber auch um Konsum, welcher Art auch immer, zu tätigen. Da möchte ich aber immer auch gleich darauf hinweisen, dass man im ländlichen Raum auch leben können sollte, ohne Führerschein und Auto.

Ich glaube, es braucht eine Art von Basismobilität. Es sollte eine Grundmobilität geben, weil spätestens dann, wenn Erkrankungen ins Leben kommen, dann ziehen die Leute weg aus dem ländlichen Raum, weil sie sich nicht mehr bewegen können. Und da würde ich gerne alle mobil halten, beziehungsweise auch alle mobil machen im Land.

Und da gibt es auch den Begriff der Mobilitätsarmut, der mich sehr bedrückt. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass manche Leute, gerade ältere Frauen, die jetzt eine kleine Rente beziehen, nicht mehr das Geld haben mobil zu sein, sondern keine Alternativen haben zum Auto. Und da sollten wir hinschauen, dass wir alle mobil halten.“

Was heißt Lebenswerte Stadt?

Bedingt durch den Ausfall von Jürgen Kasek moderierte Dominic Memmel von Scientists for Future das nachfolgende Panel mit Philipp Gleiche (Abteilungsleiter Planung im Mobilitäts und Tiefbauamt), Rosalie Kreuijer (ADFC Leipzig), Dr. Steffen de Rudder (Professur Städtebau Bauhaus Universität Weimar) und Katja Diehl.

Alle angesprochenen und diskutierten Themen zu benennen würde den Umfang des Artikels sprengen. Zusammenfassend könnte man sagen: „Wir wissen um die Probleme und kennen die Lösungen. Warum tun wir nichts?“

Sowohl der Umbau der Verkehrsinfrastruktur in Paris und Brügge, die „Vision Zero“ für Verkehrstote in Skandinavien als auch die „kommunikatorischen Fallstricke“ der Diskussion um die Mobilitätswende wurden behandelt. Auch die Frage: Was kann die Stadtverwaltung – was muss die Politik tun, bei der Phillipp Gleiche Rede und Antwort stand, nahm einen großen Teil der Diskussion ein.

Dr. Steffen de Rudder. Foto: Thomas Köhler
Dr. Steffen de Rudder. Foto: Thomas Köhler

Wir haben Dr. Steffen de Rudder gefragt, was für ihn eine lebenswerte Stadt ist und wie er das an die Studierenden, von denen wahrscheinlich auch viele Auto fahren, vermittelt.

„Lebenswerte Stadt heißt, dass wir Platz haben in der Stadt und die einfachste Fortbewegung ist zu Fuß gehen. Das ist schon mal ein toller Anteil der lebenswerten Stadt, wenn wir überall zu Fuß gehen können, wenn wir zu zweit gehen können, dafür genug Platz haben und wenn wir uns dabei unterhalten können, ohne zu schreien.

Meine Hauptaufgabe ist, dass bei uns die Studierenden der Bauhaus Universität das städtebauliche Entwerfen lernen, also Entwerfen im städtischen Maßstab. Das verbinden wir mit realen Projekten, die wir immer in irgendwelchen Städten machen. Wir haben schon fünf Projekte in Leipzig gemacht und wir versuchen Pläne und Bilder zu schaffen, die zeigen, wie schön die Stadt aussehen könnte, wenn wir mehr Platz zum zu Fuß gehen, zum Fahrradfahren und für den ÖPNV haben.

Unsere Studierenden sind natürlich wie alle anderen auch, und Autofahren ist eben sehr bequem und es hat natürlich eine große verführerische Kraft. Warum sollten unsere Studierenden der nicht genauso erliegen wie alle anderen auch?

Wir machen alle unsere Exkursionen mit dem Fahrrad. Wir fahren mit der Bahn irgendwo hin und dann leihen wir uns Fahrräder, zum Beispiel in Leipzig ein Nextbike, und fahren mit dem Fahrrad durch die Stadt. Dann sehen wir als große Gruppe erstens, dass es geht, und zweitens, dass wir mit dem Fahrrad viel besser die Stadt erkunden können, als wenn wir mit dem Bus oder mit dem Auto fahren würden.

Was wir immer machen ist, dass wir mit unseren Studierenden durch die Städte gehen, weil man nur dann wirklich mitkriegt, was alles in den Städten passiert, wie die Gebäude aussehen, wie die Straßen funktionieren, wie die Plätze sind, wie der Einzelhandel funktioniert und so weiter.“

Die abschließende Diskussion war intensiv, besonders interessierte das Publikum die Frage, wie es mit dem Umbau der Prager Straße weitergeht. Grund dafür ist die bevorstehende Abstimmung im Stadtrat am 21. November zum „Bau- und Finanzierungsbeschluss Prager Straße von An der Tabaksmühle bis Friedhofsgärtnerei“. Es gibt eine Petition gegen diesen Umbau, auch IHK und Handwerkskammer sprechen sich dagegen aus. Die Mehrheiten im Stadtrat haben sich geändert und viele Teilnehmende befürchten, dass der Beschluss vom Dezember 2022 aufgehoben wird.

Die Diskussion setzte sich auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung fort. Es war ein interessanter und informativer Abend, Fortsetzungen des Veranstaltungsformats sind angekündigt.

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