Es sind nicht nur lange Ratssitzungen, die Leipzigs Stadträtinnen und Stadträte zu bewältigen haben – auch die, die am 9. Juni neu gewählt werden. Sie haben auch ein enormes Arbeitspensum abzuwickeln. Das wird in diesen Ratssitzungen auch erlebbar, so wie am 22. Mai, als quasi als Finale der Beschluss zur weiterführenden Planung der „Südsehne“ gefasst wurde. Auch wenn diese neue Straßenbahnstrecke noch zehn Jahre brauchen wird, bis hier die Bimmel rollt.
Und natürlich bekommen auch die jüngeren Stadträtinnen und Stadträte so ein leichtes Gefühl der Verzweiflung, wenn sie sehen, wie lange so ein Planungsprozess braucht. Kein Vergleich mehr zur Frühzeit der Leipziger Straßenbahn bzw. der Pferdebahn, mit der alles anfing. Im April 1871 vergab die Stadt die Konzession für den Betrieb einer Pferdebahn, von Februar bis Mai 1872 wurden die Gleise verlegt, am 18. Mai 1872 nahm die Pferdebahn offiziell ihren Betrieb auf. Nachlesen kann man das im Jubiläumsbuch der LVB „150 Jahre Straßenbahn in Leipzig“.
Natürlich macht es einen Unterschied, ob man in einer Stadt noch komplett ohne Automobile anstelle von Pferdeomnibussen ein Gleisnetz für eine Pferdebahn baut oder ob man eine neue Straßenbahntrasse in einer Stadt baut, die 500.000 Einwohner mehr hat und in der immer mehr Autos die Straße dominieren. Über solche Probleme hätte man sich auch 1872 nur gewundert – und gestaunt. Wie kann man eine neue Gleistrasse in eine Straße legen, die sowieso schon täglich von Kraftfahrzeugen hoch frequentiert wird, in denen die Fahrer versuchen, irgendwie schnell von Ost nach West zu kommen?
Die komplette Vorlage findet man hier.
Das wird für Leipzig eine sehr große Investition
Die Planer mussten also, nachdem 2020 klar war, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in der „Südsehne“ von Grünau über Antonienstraße und Kurt-Eisner-Straße zur Semmelweisstraße großes Potenzial sehen, diese Trasse erst einmal auf ihre Sinnhaftigkeit untersuchen. Denn auch bei den Investitionen handelt es sich um völlig andere Dimensionen als 1872.
Darauf ging FDP-Stadtrat Sven Morlok ein, der sich die geschätzten Investitionszahlen für die vier Varianten aus der über 200 Seiten dicken Machbarkeitsstudie herausgefischt hatte. Nach den Preisen von 2023 gingen die Gutachter davon aus, dass der Bau der Südsehne in Summe zwischen 169 und 193 Millionen Euro kosten würde. Was dann – weil wohl vor 2030 nicht gebaut wird – nach Morloks Schätzung eher 400 Millionen Euro sein werden.
Das ist alles noch sehr vage. Das kann man der Vorlage auch entnehmen, denn einige „Randprobleme“ sind noch nicht wirklich gelöst – etwa der mögliche Verlust der heute in der Kurt-Eisner-Straße zu bewundernden Alleen in der Straßenmitte.
Gleichzeitig werden dort natürlich die Parkplätze verschwinden, was Marcus Mündlein von der CDU-Fraktion dazu brachte, die Stadt schon mal aufzufordern, eine Quartiersgarage zu bauen. Obwohl alle Erfahrungen mit Quartiersgaragen in Leipzig zeigen, dass sie von den Autobesitzern eher ungern angenommen werden.
Autofraktion im Wahlkampfmodus
Dass die CDU-Fraktion schön völlig im Wahlkampfmodus war, machte dann Mündleins Forderung deutlich, die Stadt solle sich – statt der „Südsehne“ – lieber um den zweiten City-Tunnel kümmern (mit dem die CDU derzeit die ganze Stadt plakatiert hat). Was natürlich die Frage von Linke-Stadtrat Steffen Wehmann nach sich zog, woher die CDU die Milliarden nehmen wolle, die so ein Tunnel kosten würde?
Die letzte Grobschätzung für so einen Ost-West-Tunnel lag bei 3 Milliarden Euro. Dagegen sind die geschätzten Kosten für die „Südsehne“, wie Wehmann sagte, tatsächlich Peanuts.
Auch wenn es für die Stadt richtig viel Geld ist, das dann aufgebracht werden muss, wenn die Gleisbauarbeiten tatsächlich beginnen. Vorher müssen noch zwei Brücken auf der Strecke völlig neu gebaut werden – die Beipert- und die Paußnitzbrücke. Das wird voraussichtlich ab 2027 passieren.
Hat die Vorlage ein Jahr lang gefaulenzt?
Da ist nur zu verständlich, warum die meisten Redner/-innen am 22. Mai die Frage stellten: Warum dauert das so lange? Auch Morlok stellte sie, der davon ausging, dass die dicke Vorlage schon im März 2023 fertig war. Was habe der OBM die ganze Zeit damit gemacht, fragte er.
Worauf OBM Burkhard Jung darauf verwies, dass es noch weitere Fassungen gab. Es wurde immer noch weitergearbeitet an der Vorlage, weil man dem Stadtrat ein durchdachtes Konzept vorlegen wollte. Und es habe dazu mehrere Runden in der Dienstberatung des OBM gegeben. Und auch die zuständigen Ausschüsse – auch der zeitweilig beratende Ausschuss Verkehr und Mobilität (dem Sven Morlok vorsitzt) – haben sich damit beschäftigt.
Das Papier lag also nicht einfach ein Jahr faul in der Schublade. Und trotzdem zeigt es natürlich, dass man von der Forschheit des 19. Jahrhunderts inzwischen weit entfernt ist. So eine Gleisstrecke wird mitten in einer sowieso schon hochbelasteten Straße gebaut – die anderen Verkehrsarten aber dürfen nicht verdrängt werden. So wird auch über jede einzelne Fahrspur diskutiert.
Doch während das Marcus Mündlein als neue Schikane für die Autofahrer interpretierte und den absoluten Verkehrskollaps heraufbeschwor, gehen die anderen Fraktionen sehr wohl davon aus, dass man die Straße entlastet, wenn man mehr Menschen in den ÖPNV bekommt. Jede einzelne Straßenbahn ersetzt locker 70 Pkw.
Unbedingt Planungsbeschluss 2026
Nur dieses Warten auf die Umsetzung schlaucht. Das stellten nicht nur Linke-Stadträtin Franziska Riekewald und Grünen-Stadträtin Kristina Weyh fest. Denn seit 2018, seit der Stadtrat das nachhaltige Mobilitätskonzept beschlossen hat, steht auch fest, dass das Gleisnetz der LVB erweitert werden soll. Und die „Südsehne“ ist inzwischen am weitesten gediehen, während die Netzerweiterungen in Thekla und in Wahren immer noch auf ihre Machbarkeitsstudien warten.
Für die „Südsehne“ stand am 22. Mai zumindest die Weiterführung der Vorplanung zum Beschluss. Auch wenn Franziska Riekewald und Steffen Wehmann ein ganz entscheidendes Datum in der Vorlage fehlte: das für den Planungsbeschluss. Den wünschen sie sich dringend für 2026.
Was wieder Druck aufbaut, denn in der Zeit muss die Stadt die vier Varianten qualifizieren und in die Bürgerbeteiligung gehen, damit die betroffene Bürger tatsächlich mitreden können. Im Ergebnis sollte dann die Hauptvariante feststehen, die dann ab 2026 geplant werden kann.
Wobei Burkhard Jung davon ausgeht, dass dann trotzdem noch viele Fragen offen sein werden – etwa die Antriebsart der Straßenbahn. Erstaunlicherweise hat man auch in der Diskussion darüber schon etliche Beratungsstunden verbracht, was eigentlich keinen Sinn ergibt, wenn es um eine Straßenbahntrasse im Netz der LVB geht, das heute flächendeckend mit Oberleitungen funktioniert.
Aber das werden dann Fragen, die nicht nur künftige Ratsversammlungen klären müssen, sondern auch künftige Oberbürgermeister/-innen. Denn auch Burkhard Jung wird das nicht mehr im Amt erleben. Ein umweltgerechter Verkehr ist – wie man sieht – eine echte Generationenaufgabe. Was dummerweise die Verkehrsprobleme von heute nicht löst. Und das Gefühl sagt nicht nur den Stadträt/-innen, dass das alles trotzdem viel zu lange dauert.
Und während Marcus Mündlein für die CDU-Fraktion geradezu forderte, das ganze Paket noch einmal aufzumachen und ganz von vorn anzufangen, war bei den andern Fraktionen klar, dass man mit neuen Diskussionen nur weitere wertvolle Zeit vertrödelt. Sie stimmten dann auch mit 47:9 Stimmen für die Fortsetzung der Vorplanungen. Die CDU-Fraktion stand mit ihrer Position ziemlich allein da.
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