Die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat treibt ja seit geraumer Zeit die Angst um, der Verkehr in der Stadt kรถnnte zusammenbrechen durch die verkehrsberuhigenden Maรnahmen der Stadt. Und dabei fahren auf Leipzigs Straรen doch immer mehr Autos, die kaum noch durchkommen, so das Bild, das die Fraktion gern zeichnet. Und so fragte sie im Stadtrat nach dem โSteigenden Verkehrsaufkommen im Nachhaltigkeitsszenarioโ, jenem Mobilitรคtskonzept, das die Fraktion schon halb aufgekรผndigt hat.
โLaut Kraftfahrbundesamt ist die Zahl der in Leipzig zugelassenen Fahrzeuge im vergangenen Jahr um weitere 952 Fahrzeuge gestiegen. Damit sind zum 1.1.2024 in Leipzig 272.737 Fahrzeuge registriert. Auffallend ist, dass die Zahl der privat zugelassenen Fahrzeuge zurรผckgegangen ist, wรคhrend die gewerblich angemeldeten zunimmt. Die Bedeutung des Individualverkehrs fรผr Wirtschafts- und Dienstfahrten ist weiter steigendโ, meinte die Fraktion in ihrer Anfrage.
Darin fragte sie unter anderem: โWie soll gewรคhrleistet werden, dass die im Nachhaltigkeitsszenario beschriebene Verkehrsflussgeschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer bei Zunahme der zugelassenen Fahrzeuge erreicht werden soll?โ
Womit sie den Punkt benennt, den sie fรผr den allerwichtigsten im Mobilitรคtskonzept hรคlt: Dass fรผr alle Verkehrsarten die Durchschnittsgeschwindigkeit so hoch bleibt wie vor Beschluss des Konzepts. Wobei dann in der Argumentation aber trotzdem nur das Kfz auftaucht. Fuรgรคnger und Radfahrer interessieren da nicht weiter.
Aber das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA), das die Fragen der CDU-Fraktion beantwortet hat, mag diese Dramatisierung aus Autofahrersicht nicht nachvollziehen.
Denn nach den vorliegenden Zahlen ist der Bestand an privaten Pkw nach einem Rรผckgang in 2021 und 2022 auch 2023 weiter gesunken.
โFรผr gewerbliche Pkw gilt diese Entwicklung nicht, da hier in den letzten Jahren der Bestand gestiegen ist. Bei Betrachtung der Anteile der Fahrzeugkategorien an der Gesamtzahl zugelassener Kfz im Stadtgebiet, kann bisher nicht von einer signifikanten Verschiebung gesprochen werden, die Verschiebung zwischen privaten und gewerblichen Pkw betrรคgt bisher 1 Prozentpunktโ, erklรคrt das VTA.
โDie Gesamtzahl zugelassener Kfz ist im Vergleich zu den Vorjahren nur gering angestiegen, die Zunahme lag in den letzten 10 Jahren (2013โ2023) durchschnittlich bei 1,5 %, in den letzten beiden Jahren jedoch nur bei 0,3 %. Insbesondere liegt der Zuwachs ganz deutlich unter dem Zuwachs der Bevรถlkerung. Diese Entwicklung kann als positives Signal auch im Sinne der Leipziger Mobilitรคtsstrategie gedeutet werden.โ
Zahlen sagen nichts รผber das Nutzerverhalten aus
Eine Beurteilung des Verkehrsaufkommens in der Stadt lasse sich jedoch nicht aus der Zahl zugelassener Kraftfahrzeuge ableiten. Der Besitz eines Autos sage noch nichts darรผber aus, wie die Nutzung oder Nutzungshรคufigkeit aussieht. Die Statistik des Kraftfahrzeugbundesamtes lasse รผber die zugelassenen Kraftfahrzeuge auch keine validen Rรผckschlรผsse auf das Verkehrsverhalten oder die Quantitรคt des Wirtschaftsverkehrs zu. Auch die Grรผnde fรผr den leichten Anstieg an gewerblichen Pkw kรถnnten nicht ohne weiteres ermittelt werden.
โDie Grรผnde hierfรผr kรถnnen vielfรคltig sein. In Frage kommen neben einer Steigerung der wirtschaftlichen Aktivitรคt der Unternehmen u.a. auch Faktoren wie der Fachkrรคftemangel. So ist es denkbar, dass Unternehmen Anreize durch Dienstwagen auf dem Arbeitsmarkt setzen, um Fachkrรคfte an sich zu bindenโ, erklรคrt das VTA.
Aber vor allem stรถrt ja die CDU-Fraktion, dass immer wieder Verkehrsraum, den bislang stets der motorisierte Verkehr in Anspruch genommen hat, fรผr andere Verkehrsarten umgewidmet wird. Was dann zu der etwas gedrechselten Frage fรผhrte: โWelche Auswirkungen ergeben sich fรผr die Organisation des Straรenraums und verkehrsrechtliche Anordnungen, wenn die Bedeutung des Individualverkehrs fรผr Wirtschafts- und Dienstfahrten gleichbleibt bzw. steigt?โ
Da wird man im VTA wieder nur die Stirn gerunzelt haben, denn wo will man sonst die ganzen Verkehrsarten unterbringen? Es ist doch nicht nur der motorisierte Verkehr, der mit der wachsenden Bevรถlkerung zugenommen hat, sondern auch der Radverkehr und der Fuรverkehr. Und inzwischen verzeichnet auch der รPNV wieder steigende Nutzerzahlen.
รffentlicher Raum ist begrenzt
โDer Wirtschaftsverkehr ist ein wichtiger Baustein der Mobilitรคtsstrategie und des Gesamtverkehrssystems. Zentraler Ansatz der Strategie ist es daher, im begrenzt verfรผgbaren รถffentlichen Raum den Umweltverbund so zu stรคrken und zu qualifizieren, dass mรถglichst viele Wege mit diesem zurรผckgelegt werden kรถnnenโ, betont das VTA deshalb auch. Sogar noch recht zurรผckhaltend.
โSo wird Platz fรผr den weiter notwendigen Kfz-, insbesondere Wirtschaftsverkehr verfรผgbar. Zur Stรคrkung des Wirtschaftsverkehrs wird derzeit in Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Wirtschaft ein Wirtschaftsverkehrskonzept erstellt, in dessen Rahmen ggf. auch weitere Maรnahmen fรผr die Organisation des Straรenraums oder das betriebliche Mobilitรคtsmanagement (Mobilitรคtsbudget) erarbeitet werden. Das Konzept soll voraussichtlich 2025 fertiggestellt sein.โ
Und dann gab es noch die Leib- und Magenfrage der CDU-Fraktion: โWie soll gewรคhrleistet werden, dass die im Nachhaltigkeitsszenario beschriebene Verkehrsflussgeschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer bei Zunahme der zugelassenen Fahrzeuge erreicht werden soll?โ
Man spรผrt auch hier, dass man im VTA nur noch irritiert ist von solchen Fragen, die eigentlich davon erzรคhlen, dass die CDU-Fraktion bei Verkehr eigentlich nur an Autoverkehr denkt und nicht wirklich wahrhaben will, dass sรคmtliche Verkehrsarten in Leipzig zugelegt haben und entsprechend Platz brauchen, damit sich รผberhaupt noch was bewegt.
โWie dargestellt, sagen die Zulassungszahlen noch nichts รผber Zweck, Umfang und Zeitpunkt der Nutzung der Kfz aus. Das Nachhaltigkeitsszenario wurde vom Stadtrat u.a. deshalb beschlossen, weil es am ehesten geeignet ist, eine akzeptable Verkehrsflussgeschwindigkeit aufrecht zu erhalten, insbesondere im Vergleich zur Fortsetzung des damaligen Status Quo. In den damaligen Untersuchungen wurden bei der Fortfรผhrung des Status Quo eine deutliche Verschlechterung dieses Parameters prognostiziertโ, weist das VTA noch einmal auf die Grundbedingungen des Nachhaltigkeitsszenarios hin.
โDie Leipziger Mobilitรคtsstrategie stellt deshalb nicht die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge, sondern den Menschen in den Mittelpunkt.โ
Das ist schon ein ganz groรes Kopfschรผtteln รผber die Fragen der CDU-Fraktion, die seit etlichen Monaten auch Baubรผrgermeister Thomas Dienberg immer wieder frontal angreift, weil sie ihm Unfรคhigkeit, die Leipziger Verkehrsprobleme zu lรถsen, unterstellt.
Verkehr allein durch die Windschutzscheibe betrachtet
Aber immer wieder eben aus reiner Autofahrerperspektive. Als gรคbe es die anderen Verkehrsteilnehmer รผberhaupt nicht.
Aus der Perspektive des Nachhaltigkeitsszenarios sieht das aber anders aus, wie das VTA erklรคrt: โAus dieser Perspektive wird der begrenzte รถffentlichen Raum und der zunehmende Nutzungsdruck organisiert. Fuร- und Radverkehr, sowie der รPNV kรถnnen bei einer hohen Flรคcheneffizienz Mobilitรคt fรผr alle ermรถglichen. Ein hoher und steigender Anteil des Umweltverbunds am Verkehrsaufkommen schafft Platz im Straรenraum fรผr diejenigen Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind und eben auch den Wirtschaftsverkehr.โ
Genau diese Steigerung des Umweltverbunds aber hat der Stadtrat 2018 beschlossen.
Und natรผrlich geht es auch um Platz auf der Straรe. Aber auch das kann man aus anderer Perspektive betrachten, betont das VTA: โUnbestritten ist die Flรคcheneffizienz eines Fahrzeugs erheblich niedriger als die eines Fuรgรคngers, Radfahrenden oder รPNV-Nutzers. Daher dient die konsequente Umsetzung der Mobilitรคtsstrategie auch dem Ziel, die Verkehrsflussgeschwindigkeit fรผr alle Verkehrsarten zu erhalten oder zu verbessern.
Unabhรคngig davon wird der Verkehrsfluss durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst, u.a. spielen die Verkehrs- bzw. Fahrzeugdichte, die Durchschnittsgeschwindigkeit der Fahrzeuge, die Geschwindigkeitsverteilung, der Sicherheitsabstand oder die Straรenbreite eine Rolle. Die einzelnen Faktoren wirken dabei nicht immer linear auf den Verkehrsfluss.
Aus diesem Grund muss die Verkehrsorganisation mit den jeweils spezifischen Randbedingungen analysiert und mit Hilfe von analytischen Modellen der optimale Verkehrszustand simuliert werden. Dazu nimmt das Verkehrs- und Tiefbauamt derzeit u.a. eine umfassende Aktualisierung und Modernisierung des stรคdtischen Verkehrsmodells vor.โ
Was freilich noch nichts daran รคndert, dass Menschen nur zu gern an alten Gewohnheiten festhalten und ihre gewohnten Strecken mit dem Auto fahren, auch dann noch, wenn sie dort regelmรครig im Stau stehen.
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Es gibt 6 Kommentare
Hallo Thomas_2,
Das grundlegende Argument, was aktuell in unterschiedlichen Kommentarspalten verendet wurde und auch hier gebracht wird ist, dass diejenigen, die da im Stau stehen, doch selber durch ihre Anwesenheit schuld daran hรคtten. Wie wenig belastbar das ist merkt man plรถtzlich, wenn es auf die Infrastruktur der Radler angewandt wird.
โ
Es gibt schon noch ein paar andere Stellen mit Stau. Da fรคllt mir morgens die B2 bis raus zum Goethesteig ein, oder die Hans โ Driesch-Straรe fast bis Leutzsch durch den ganzen Wald. Hat mit dem Thema Rad freilich nichts zu tun.
Ja, lieber Autor, die Menschen sind schlecht, sie halten โnur zu gern an alten Gewohnheiten festโ und fahren โihre gewohnten Strecken mit dem Autoโ, und zwar โauch dann noch, wenn sie dort regelmรครig im Stau stehenโ. Da helfen Druck, Verbote, Einschrรคnkungen, Kรผrzungen, wรคre doch gelacht, wenn damit dem Schlechten nicht Beine gemacht werden kรถnnte. Flรคchengerechtigkeit kann erzwungen werden, sonnenklar. Ich bin ja fรผr ein Verbot von Autoradios. Dann wird es fรผr die Insassen so richtig drรถge. Sitzen dann rum und spรผren ihre Leere. Aber zugleich plรคdiere ich komplementierend dafรผr, ein Kopfhรถrergebot fรผr Rad- und Fuรverkehrende zu verhรคngen, sowie Tanzmusik in Bus und Bahn abzuspielen. Werden wir doch sehen, was mit Nudging alles so zu bewerkstelligen ist!
Wenn man mal vom Martin-Luther-Ring im Berufsverkehr absieht, gibt es in Leipzig nur in Sondersituationen Stau. Leipzigs Stadtverwaltung macht also hinsichtlich Verkehrsorganisation Pro-Auto nicht so viel falsch.
Ich denke nicht, dass es Uwe (nur) um Verzicht ging , sondern um Effizienz.
Fahrgemeinschaften bilden zum Beispiel. Oder, dass die Kinder einen Platz in der nรคchstgelegenen Krippe / KiTa / Schule bekommen, damit man die nicht durch die halbe Stadt fahren muss.
Oder bessere รPNV-Verbindungen, die nicht รผber den Ring fahren, sondern die Stadteile direkt verbinden. So wird das Auto eher stehengelassen.
Joar, dann kommt โmanโ ja dann genau so schnell darauf, dass nicht die Aufstellflรคchen an Kreuzungen und รberwegen zu klein sind, sondern einfach zu viele Radfahrer unterwegs sind. Ganz recht โ Verzicht ist das Gebot der Stunde!
Wenn man sich anguckt, woraus Staus im Allgemeinen zum grรถรten Teil bestehen, kommt man eigentlich schnell darauf, dass der wichtigste Hebel zur Staureduzierung (und damit Verbesserung der Durchlรคssigkeit z. B. fรผr den Wirtschaftsverkehr) die drastische Reduzierung der *privaten* PKW-Fahrten ist, wo meistens 1 Person pro Kfz nichts als sich selbst durch die Gegend kutschiert. Und da kommen dann eben Fuรgรคnger, รPNV und Fahrrรคder mit der dafรผr nรถtigen Infrastruktur ins Spiel.