Wer zu Fuß durch eine Stadt wie Leipzig geht, der ist ungeschützter als z.B. motorisierte Verkehrsteilnehmer. Der erlebt den Verkehrsraum auch viel stärker als einen Raum der Gefährdung. Es geht also in der Fußverkehrspolitik nicht nur darum, die Bürgersteige in Ordnung zu bringen, Bäume zu pflanzen und die Ampelschaltungen fußgängerfreundlicher zu machen. Es geht auch um reale und empfundene Gefährdungen. Und davon gibt es eine Menge, wie die Bürgerumfrage 2022 zeigte.

Und auch hier wird deutlich, dass jüngere Verkehrsteilnehmer die Gefahren anders wahrnehmen als ältere. Oder in den Worten der Auswertung der Bürgerumfrage: „Das am häufigsten genannte Sicherheitsrisiko für zu Fuß Gehende sind erneut Fahrradfahrende auf dem Gehweg (54 Prozent). Die Wahrnehmung von Radfahrenden als Sicherheitsrisiko nimmt dabei mit zunehmendem Alter deutlich zu: Während diese von jungen Erwachsenen nur zu 42 Prozent als Risiko gesehen werden, sehen 69 Prozent der 65- bis 90-Jährigen ein Sicherheitsrisiko.“

Die Grafik macht aber noch etwas deutlich: Während Ältere insbesondere bei Radfahrern auf dem Fußweg und dem baulichen Zustand der Wege Risiken sehen, sehen gerade Jüngere deutlich mehr Gefahren im Straßenraum selbst – mehr als die Älteren. Das betrifft die Querung von Kreuzungen mit abbiegenden Fahrzeugen genauso wie die Querung von Straßen ohne Ampel oder Zebrastreifen, schlecht beleuchtete Straßenräume und schlecht einsehbare Stellen.

Grafik über empfundene Sicherheitsrisiken im Leipziger Fußverkehr. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022
Empfundene Sicherheitsrisiken im Leipziger Fußverkehr. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022

Was eigentlich erklärt werden müsste. Aber eine mögliche Erklärung ist, dass ältere Leipziger solche Orte sowieso schon meiden und lieber den langen Weg bis zur nächsten Ampel zurücklegen.

Aber das „schlecht einsehbar“ meint nun einmal fast ausschließlich: schlecht einsehbar, weil Straße und Kreuzungen zugeparkt sind. Auch an Stellen, wo eigentlich Parkverbot herrscht. Dazu kommen immer mehr höhere und breite Fahrzeuge – vom abgestellten Wohnmobil bis zum SUV – die erst recht jede Sicht in den Straßenraum versperren. Es wird im Bericht nicht extra betont – aber das erzählt eben von einer nachlässigen bis völlig fehlenden Kontrolltätigkeit des Ordnungsamtes.

Unter den jüngeren Leuten, die hier in der Regel doppelt so häufig wie Ältere Probleme sehen, sind natürlich auch die jungen Eltern, die aus täglicher Erfahrung wissen, wie gefährlich es mit Kindern ist, in solchen zugeparkten Straßenräumen heil nach Hause zu kommen.

Falschparker, Baustellen und Ampelphasen

Und ganz und gar nicht unter „ferner liefen“ werden auch die nach wie vor auf Fußwegen geparkten Autos genannt, die das Leben als Fußgänger noch gefährlicher machen: Sie stecken mit in dem Punkt „auf dem Gehweg parkende Autos/Fahrräder“, der von 35 Prozent der Befragten als Sicherheitsrisiko benannt wurde. Und in den Stadtbezirken Alt-West und Nord ist das Problem mit über 40 Prozent der Nennungen augenscheinlich noch viel gravierender.

Dass Baustellen mit 30 Prozent der Nennungen auf Rang 4 kommen, fördert ein anderes Problem der Stadtpolitik zutage: Dass man bei vielen, vielen Baustellen zwar emsig an Umleitungen für den Kfz-Verkehr denkt, Radfahrer und Fußgänger aber oft Umwege vorfinden, die das Leben zum Risikolauf machen.

Was sich die Leipziger und Leipzigerinnen für Verbesserungen im Fußverkehr wünschen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022
Was sich die Leipziger für Verbesserungen im Fußverkehr wünschen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022

Den Punkt hätte man sich eigentlich auch bei den gewünschten Verbesserungen gut vorstellen können. Aber was die Befragten da ankreuzten, offenbart recht deutlich, was in Leipziger Fußverkehr eigentlich getan werden müsste, um das Leben der Fußgänger ein bisschen sicherer zu machen.

„Hinsichtlich des Alters variiert das Meinungsbild teils deutlich: Ältere Leipziger/-innen plädieren überdurchschnittlich häufig für die Behebung baulicher Schäden bzw. die Kompletterneuerung von Fußwegen, außerdem werden der Winterdienst, Verbesserungen der Sauberkeit und eine Erhöhung der Zahl der Sitzgelegenheiten besonders häufig als gewünschte Maßnahmen genannt.

Junge Erwachsene bis unter 35 Jahre wünschen sich dagegen überdurchschnittlich häufig längere Grünphasen und kürzere Wartezeiten an Fußgängerampeln, außerdem eine bessere Beleuchtung“, heißt es im Bericht.

Und auch hier wird deutlich, dass Menschen hinter Windschutzscheiben Verbesserungen für Fußgänger eher als zusätzliche Schikane für ihr Fortkommen auffassen: „Interessante Variationen hinsichtlich der bevorzugten Maßnahmen für den Fußverkehr ergeben sich auch anhand der Typisierung des Mobilitätsverhaltens: Maßnahmen wie die Erhöhung der Anzahl von Fußgängerampeln, Mittelinseln und Zebrastreifen sowie die Verlängerung von Grünphasen für Fußgänger/-innen, werden signifikant seltener von Personen gewünscht, die dem Typ starke Autonutzung zuzuordnen sind, also eine Mehrzahl der Wegearten vorrangig mit dem MIV zurücklegen.“

Wessen Tempo hat eigentlich Priorität?

Womit wir wieder beim zentralen Konflikt in der aktuellen Verkehrsdiskussion in Leipzig sind: Wenn sich die Bedingungen für die umweltfreundlichen Verkehrsarten verbessern sollen, heißt das für die jahrzehntelang favorisierten Autonutzer, dass sie Verkehrsraum abgeben müssen und ihre Geschwindigkeit sich stärker an der
Geschwindigkeit der schwächeren Verkehrsteilnehmer ausrichten muss.

Und die wollen auch vorankommen und nicht minutenlang an Kreuzungen stehen. Auch das findet Erwähnung, denn Fußverkehr ist auch eine Mobilitätsform, mit der man in Leipzig vorankommen möchte.

„Hinsichtlich der Präferenzen der häufig Zufußgehenden ergeben sich überdurchschnittlich hohe Werte für Sauberkeit auf Gehwegen sowie bessere Beleuchtung und verkürzte Wartezeiten an Fußgängerampeln“, heißt es im Bericht.

„Dagegen fallen die niedrigen Anteile für die Erhöhung der Anzahl an Sitzgelegenheiten sowie die komplette Erneuerung von Gehwegen auf. Da gemäß Fragenmodell allerdings nur maximal drei gewünschte Verbesserungen benannt werden konnten, sollten geringe Anteilswerte an Nennungen nicht notwendigerweise als Ablehnung gewertet werden, sondern können auch Ausdruck einer Nachrangigkeit gegenüber drängenderen Maßnahmen sein.“

Aber wenn man die Gruppe der häufigen ÖPNV-Nutzer herausgreift, wird noch deutlicher, dass sie sich aus guten Gründen wünschen, dass sie flotter vorankommen in der Stadt. Sie leiden unter langen Ampelphasen nämlich doppelt, wenn sie dabei auch noch der Ein- und Ausfahrt ihrer Straßenbahn zusehen können, während „Rot“ ihnen das Überqueren der Straße zur Haltestelle verbietet.

So wünschen sich die ÖPNV-Nutzer viel stärker als alle anderen Gruppen längere Grünphasen an Fußgängerampeln (41 Prozent gegenüber durchschnittlich 27 Prozent), kürzere Wartezeiten an Fußgängerampeln, bessere Beleuchtung und mehr Zebrastreifen. Erstaunlich, aber wahr: auch Fußgänger haben es eilig – wissen aber nur zu genau, wie gefährlich das wird, wenn man unaufmerksam wird.

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