Am 16. November ging es in der Ratsversammlung auch noch um die 2018 beschlossene Mobilitätsstrategie der Stadt Leipzig, die eigentlich die Verkehrswende voranbringen sollte. Doch das Ergebnis nach fünf Jahren ist durchwachsen. Das ist selbst den Planern im Verkehrsdezernat bewusst. Irgendwas passiert ja im Leipziger Verkehrsraum – doch welches System dahinter steckt, ist vielen Verkehrsteilnehmern nicht so recht ersichtlich. Was also tun?
Wie so oft lautet die Antwort: mehr Transparenz. Wer ein Ziel vor Augen hat, muss auch die Strecke beschreiben, wie er da hinkommen will. Und in der Summe ist das 2020 auch passiert: Da beschloss der Stadtrat den Rahmenplan zum Mobilitätskonzept mit 200 Projekten, die bis 2030 umgesetzt werden sollen. Mit Kostenschätzung und vermutlichem Baujahr.
Die Projekte aus dem Beschluss “Mobilitätsstrategie 2030 für Leipzig – Rahmenplan zur Umsetzung”
Das sind so viele Maßnahmen, dass selbst der Stadtrat irgendwie die Übersicht verloren hat, wo Leipzig eigentlich bei der Abarbeitung steht.
Wenn man allein in die Jahresscheibe 2022 schaut, sieht man: Der Knoten Adler wurde gebaut, an der Waldstraße wird noch gebaut. Aber die Berliner Straße wurde nicht angepackt – auch weil die Ratsversammlung noch Beratungsbedarf anmeldete und erst einmal eine Variantendiskussion erfolgen sollte.
Die Stadträtinnen und Stadträte sind also nicht ganz unschuldig daran, dass sich Projekte dann doch wieder verschieben, wie es FDP-Stadtrat Sven Morlok am 16. November betonte. Auch das Projekt Landsberger Straße wurde verschoben, nachdem für die kalkulierte Summe keine Baufirma gefunden werden konnte. Dasselbe mit der Zeppelinbrücke.
Streit ums Kleinteilige
Doch die Maßnahmen, die da 2020 aufgeschrieben wurden, geraten im Stadtrat auch immer wieder in hitzige Debatten – wie jüngst erlebt mit den Plänen zum Umbau des Teilstücks der Prager Straße am Völkerschlachtdenkmal. Was so weit geführt hat, dass Claus Uwe Rothkegel für die CDU-Fraktion schon laut verkündet hat, dass sich die CDU-Fraktion nicht mehr an die 2018 beschlossene Mobilitätsstrategie gebunden fühlt.
Seine Fraktionskollegin Siegrun Seidel benannte am 16. November den Punkt, an dem die CDU-Fraktion ihr Missvergnügen tatsächlich festmacht: dem in der Mobilitätsstrategie versprochenen Ziel, dass sich die Durchschnittsgeschwindigkeiten von MiV (Motorisierter Individualverkehr) und ÖPNV nicht verringern.
Dummerweise tun sie das aber. Und zwar nicht nur, weil der Radverkehr auf wichtigen Straßenabschnitten endlich vernünftige Radwege bekommt. Sondern auch, weil immer mehr Fahrzeuge im täglichen Verkehr unterwegs sind. Nicht einmal unbedingt durch die Autos der Leipziger selbst bedingt – 2022 ist die Zahl registrierter privater Kfz in Leipzig sogar gesunken.
Dafür wachsen die Pendlerzahlen, weil immer mehr Leipziger ins Umland ziehen. Auch die wollen ja irgendwie durchkommen zur Arbeit.
Wenn aber mehr Verkehrsteilnehmer im Straßenraum stecken, wird es logischerweise eng. Eine Logik, die irgendwie aus Autofahrersicht ganz schwer zu verstehen ist. Da taucht dann schnell die Projektion auf: Die neuen Radwege sind schuld.
Wo steht Leipzig in der Verkehrswende?
Erstaunlicherweise sitzt Siegrun Seidel mit im zeitweilig beratenden Ausschuss Verkehr des Stadtrates, wo dem Vernehmen nach unter der Leitung von FDP-Stadtrat Sven Morlok immer sehr sachlich diskutiert wird. Die Ausschussmitglieder müssten also recht gut Bescheid wissen, wo Leipzig bei der Umsetzung der Mobilitätsstrategie gerade steht.
Aber natürlich kommt es immer wieder zu Irritationen, wenn wesentliche Bauprojekte verschoben werden müssen. Und in der Öffentlichkeit gibt es erst recht kein Bild, wo Leipzig in der Verkehrswende tatsächlich steht.
Dazu kommt, wie man in der Vorlage aus dem Baudezernat lesen kann: „Der Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie besteht aus 10 Handlungsfeldern. Im Jahr 2020 wurden erstmalig die für die Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030 aus Sicht der Verwaltung und der L-Gruppe zentralen Vorhaben zusammengestellt. Seitdem hat der Stadtrat weitere Vorhaben beschlossen und die Fortschreibung für zentrale Teilbereiche (Fachplanungen und Konzepte) der Mobilitätsstrategie beauftragt, die nunmehr in den Rahmenplan integriert werden müssen. Für den effizienten Einsatz von Ressourcen wird deshalb ein Regelprozess mit einem Priorisierungsverfahren aufgesetzt, dass über alle Handlungsfelder die zentralen Vorhaben identifiziert und Abhängigkeiten aufzeigt.“
Das chaotische Erscheinungsbild soll sich mit der Vorlage, die Baubürgermeister Thomas Dienberg am 16. November in der Ratsversammlung vorstellte, nun ein Stück weit ändern. Einerseits sollen die Projekte aus dem Rahmenplan neu priorisiert werden, damit sich die städtischen Planer darauf konzentrieren können und die – knappen – Ressourcen genau da eingesetzt werden, wo sie für die Verkehrswende schnellstmöglich Früchte tragen. Und so, wie sie dann priorisiert sind, sollen sie dann auch in jeden Doppelhaushalt einfließen. Man müsse „die richtigen auswählen“, sagte Dienberg.
Sodass auch der Stadtrat mit jeder Haushaltsvorlage sieht, welche Verkehrsprojekte in den nächsten beiden Jahren umgesetzt werden sollen.
Mobilitätswende mit viel zu knappen Ressourcen
Es sind ja nicht nur Straßenprojekte, die sich aus unterschiedlichen Gründen immer wieder verschieben. 2022 sollte zum Beispiel der Bahnbogen Gohlis als neue Radroute schon gebaut werden, von dem bis heute nicht klar ist, wann er kommt. Hier waren es die Eiertänze mit den Investoren am Eutritzscher Freiladebahnhof, die eine Umsetzung bislang unmöglich gemacht haben.
„Ziel des Verfahrens ist es, kontinuierlich und fachlich fundiert eine abgestimmte Priorisierung über die durch das Verkehrs- und Tiefbauamt zu realisierenden oder zu begleitenden Maßnahmen zu erhalten. Die Verbindlichkeit nach Innen und Außen wird gestärkt. Im Zuge der Fortschreibungen des Rahmenplans kann damit gegenüber Stadtrat, Ortschaften und Öffentlichkeit transparent dargestellt werden, welche konkreten Maßnahmen – unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen – für die Umsetzung der Mobilitätsstrategie besonders wichtig sind sowie in welchen Zeithorizonten und unter welchen Voraussetzungen diese realisierbar sind“, heißt es in der Vorlage.
Immer wieder mit dem Verweis auf die „vorhandenen Ressourcen“, womit die Planungskapazitäten gemeint sind, aber auch die verfügbaren Gelder. Denn tatsächlich fehlt Leipzig das Geld für eine schnelle und durchschlagende Verkehrswende.
Aber trotzdem bestätigt auch die Vorlage, dass es mal wieder an Transparenz fehlt. Nicht weil die Leipziger nichts über die umgesetzten Projekte erfahren, sondern weil nirgendwo regelmäßig Bericht erstattet wird, wo Leipzig in der Mobilitätsstrategie gerade steht.
Ein Forum für mehr Transparenz
„Des Weiteren soll – aufbauend auf den Empfehlungen des 2021 beschlossenen Informations- und Beteiligungskonzeptes – zur kontinuierlichen Begleitung der Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030 ein Fachforum eingerichtet werden, das den Lenkungsausschuss in seiner Arbeit unterstützt und berät“, heißt es in der Vorlage.
Das Fachforum sollte noch im 4. Quartal 2023 eingerichtet werden. Augenscheinlich existiert es schon, wie man von Siegrun Seidel hört, und hat in der ersten Novemberwoche schon getagt – mit Vertreter/-innen aus Stadtrat und Verwaltung sowie „Vertreter/-innen der Leipziger Akteurslandschaft und Bürgerschaft, die über Erfahrungen im Bereiche Verkehr und Mobilität verfügen und sich in gesamtstädtische, strategische Prozesse mit unterschiedlicher Perspektive einbringen“. Wozu dann auch die diversen Umwelt- und Verkehrsvereine gehören.
Anders wird es in Leipzig nicht gelingen, die Mobilitätswende „mit der Stadtgesellschaft gemeinsam“ zu gestalten, wie es Thomas Dienberg formulierte.
Was wohl nichts daran ändern wird, dass einige Fraktionen doch wieder nicht zufrieden sind. Aber das wäre wohl auch nicht zu erwarten bei einem solchen Prozess, in dem sich die Prioritäten sichtbar verschieben und natürlich auch Themen wie Tempo 30 diskutiert werden, für Siegrun Seidel geradezu ein rotes Tuch.
Sie beantragte dann punktweise Abstimmung, damit ihre Fraktion zwar dem Fachforum zustimmen, aber ihrer Ablehnung der Mobilitätsstrategie trotzdem Ausdruck verleihen konnte.
Was im Ergebnis tatsächlich bedeutete, dass die sechs anwesenden CDU-Stadträt/-innen allein gegen den ersten Punkt der Vorlage stimmten: „Der Regelprozess zur Steuerung der Umsetzung der Mobilitätsstrategie wird beschlossen. Das Verfahren wird erstmalig mit der Fortschreibung des Rahmenplans in 2023 angewandt.“
Tatsächlich bekam der Punkt trotzdem eine klare Mehrheit von 29:6 Stimmen bei acht Enthaltungen.
Und die Einrichtung des Fachforums bekam dann 36 Stimmen bei acht Enthaltungen.
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