Leipzig und sein Radverkehr โ das ist eine Komรถdie in vielen Akten. Mal kommt โ wie 2020 โ richtig Bewegung in die Sache. Dann wieder muss sich der Stadtrat mit einer verbissenen Umweltverwaltung herumรคrgern, die gleich mal ihr Veto gegen eine Asphaltierung des Elsterradwegs am Elsterflutbett ankรผndigt. Genau das ist am 20. September in der Ratsversammlung passiert.
Da stand im Grunde โ nur โTeil 2 vom Aktionsprogramm Radverkehr zur Abstimmung. Teil 1 war 2020 in Kraft gesetzt worden, mit รผber 100 Maรnahmen fรผr das Leipziger Radverkehrsnetz, die in den Jahren 2021/2022 umgesetzt werden sollten, weil der Radverkehrsentwicklungsplan 2020 ausgelaufen war, ohne dass ein Nachfolgeprogramm vorlag. Aber nicht nur das.
Denn richtig Schub bekam die Sache 2019, als der Stadtrat offiziell den Klimanotstand fรผr Leipzig ausrief und die Frage stand, was die Stadt eigentlich kurzfristig tun kann, um die eigenen Klimaziele zu erreichen. Und gerade beim Radverkehr hatte die Stadt sieben Jahre quasi alles auf Eis gelegt, nachdem es 2012 einen regelrechten Aufstand der Autolobby gegeben hatte, die gegen die gerade begonnenen Radwegmarkierungen opponierte.
Dass es auch 2023 und 2024 ein Aktionsprogramm brauchen wรผrde, war schon klar, als sich die Verwaltung verspรคtet in die Erarbeitung des neuen Radverkehrsentwicklungsplans stรผrzte. Den wird es jetzt erst 2024 geben, vielleicht auch erst Anfang 2025. Da war es sinnvoll, fรผr die beiden Jahre 2023 und 2024 noch einmal ein Aktionsprogramm vorzulegen. Das dann am 20. September einige Kritik erntete. Nicht wegen des Inhalts. Selbst AfD-Stadtrat Udo Bรผtow geht das Radwegeprogramm augenscheinlich viel zu langsam, viel zu viele Radwege sind kaputt, ungereinigt und von Wurzeln aufgebrochen.
Man darf auch manchmal staunen.
Ein bisschen verspรคtet
Oder sich empรถrt geben wie CDU-Stadtrรคtin Siegrun Seidel, die erst einmal eine Rede ankรผndigte, der die anderen Fraktionen aufmerksam lauschen sollten โ und dann gab es doch nur eine etwas kรผnstliche Empรถrung รผber das Sammelsurium der Maรnahmen im Aktionsprogramm. Was nicht anders sein kann. So war auch das erste Programm schon. Das Verkehrsdezernat hat schlicht alles hineingeschrieben, was mit den vorhandenen Mitteln โ etwas รผber 11 Millionen Euro โ in zwei Jahren auch sicher umsetzbar ist. Mit Betonung auf umsetzbar.
Das Programm ist in dieser Art also nicht neu, wie auch Kristina Weyh von den Grรผnen betonte. So gesehen auch keine รberraschung. Nur etwas spรคt kam es โ ungefรคhr ein Jahr zu spรคt, wie Linke-Stadtrรคtin Franziska Riekewald feststellte. Denn die Stadt ist lรคngst dabei, das Aktionsprogramm umzusetzen. Dazu brauchte es die Zustimmung des Stadtrats gar nicht. Bestes Beispiel: der neue Radstreifen am Ranstรคdter Steinweg.
Aber eigentlich ging es weder in der Debatte noch in den รnderungsantrรคgen tatsรคchlich um das Aktionsprogramm selbst. Sondern um zwei Knackpunkte, die von den Konflikten erzรคhlen, die dabei auftreten.
Konflikte mit dem Wirtschaftsverkehr
Da erste war der รnderungsantrag der Freibeuter-Fraktion, der ein Mitspracherecht forderte, wenn die neuen Radwege dazu fรผhren, dass es Konflikte mit dem Wirtschaftsverkehr gibt. Eigentlich kein Thema, das in den Stadtrat gehรถrt, bestenfalls in den Verkehrsausschuss oder an den Runden Tisch Wirtschaftsverkehr.
Was dann auch FDP-Stadtrat Sven Morlok einsah, der den erst geรคuรerten Wunsch, den Stadtrat mitbestimmen zu lassen, zu einem einfachen Informationswunsch abรคnderte. Denn natรผrlich lassen sich solche Konflikte in den Fachgremien besser lรถsen als mit einer Abstimmung in der Ratsversammlung.
โSofern sich aufgrund von Maรnahmen im Handlungsfeld 1 Infrastruktur die Fahrbahnbreite zwischen Radweg und Straรenbahnschienen so weit reduziert, dass fรผr den Wirtschaftsverkehr ein Anhalten ohne Behinderung der Straรenbahn nicht mehr mรถglich ist und eine Genehmigung zum Anhalten auf dem Radweg nicht erteilt werden kann, legt der Oberbรผrgermeister die Planungen fรผr diese Projekte vor ihrer Umsetzung dem Stadtrat als Information vorโ, hieร der Antragspunkt nun, nachdem Sven Morlok kurzerhand eine Neufassung geschrieben hatte.
Und der schรถne Erfolg fรผr die kleine Freibeuter-Fraktion: So bekam der Antrag eine knappe Mehrheit von 26:24 Stimmen.
รbrigens ein sehr buntes Abstimmungsergebnis, wie Torsten Bonew, der Erste Bรผrgermeister, der in dem Moment die Tagung leitete, feststellte. Auch was den zweiten รnderungsantrag โ diesmal aus der SPD-Fraktion โ betraf.
Der Stadtrat will eine asphaltierten Elsterradweg
Denn die hatte den Wunsch vieler Radfahrer/-innen zum Thema gemacht, den Elsterradweg zwischen Schleuรiger Weg und Teilungswehr Groรzschocher zu asphaltieren. Diese Maรnahme findet man unter โweitere nachrichtliche Maรnahmen Aktionsprogramm Radverkehr 2023/2024โ fรผr 250.000 Euro. SPD-Stadtrรคtin Anja Feichtinger warb fรผr den SPD-Antrag, den Weg nicht zu schlรคmmen, sondern zu asphaltieren.
Denn der Elsterradweg ist eine der am stรคrksten befahrenen Radrouten in Leipzig, es ist absehbar, dass eine geschlรคmmte Sanddecke hier binnen kurzer Zeit wieder abgefahren ist und wieder geflickt werden muss.
Doch Umweltbรผrgermeister Heiko Rosenthal verwies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass man die Entscheidung fรผr die wassergebundene Sanddecke intensiv geprรผft habe, man habe auch eine FFH-Voruntersuchung gemacht und extra einen Baumgutachter bestellt, der in seinem Gutachten deutlich gemacht habe, dass eine Asphaltdecke die am Elsterradweg stehende Lindenbaumreihe schรคdigen kรถnnte.
Beide bislang nicht รถffentlich, sodass sich auch die Stadtrรคtinnen und Stadtrรคte kein wirkliches Urteil bilden kรถnnen โ auch nicht darรผber, wie tiefgrรผndig eine Asphaltdecke wirklich untersucht wurde.
Genau diese Unterlagen sollten sich die Fraktionen vielleicht schleunigst besorgen. Denn Rosenthal verband seine Stellungnahme gleich mal damit anzukรผndigen, dass bei einem Stadtratsbeschluss fรผr eine Asphaltdecke die Untere Naturschutzbehรถrde โ also das Leipziger Amt fรผr Umweltschutz โ die Genehmigung verweigern kรถnnte.
Eine Machtprobe?
Das klang dann schon deutlich nach einem Krรคftemessen der Stadtverwaltung, insbesondere der Umweltverwaltung, die sรคmtliche Wege am und im Leipziger Auensystem inzwischen mit Pisten aus geschlรคmmtem Kies bauen lรคsst, mit den Ratsfraktionen.
Ob es tatsรคchlich nur eine Entscheidung zwischen Baumschutz einerseits und Radwegqualitรคt andererseits ist, wie Rosenthal meinte, darf bezweifelt werden, wenn man sich die selbst als Beispiel genannte Neue Linie im sรผdlichen Auwald anschaut, die eben nur in einem รคlteren Teilstรผck in Asphalt gebaut wurde. In der Gegenwart kamen nur neue geschlรคmmte Sandwege dazu.
Und das Erstaunliche: Die Ratsversammlung lieร sich von Rosenthals Ankรผndigung nicht abschrecken und stimmte dem SPD-Antrag, den Elsterradweg in Asphalt auszufรผhren, mit einer klaren Mehrheit von 34:10 Stimmen zu. Der Unglaube, dass das Umweltdezernat recht haben kรถnnte mit seiner Argumentation, ist augenscheinlich groร.
Etwas verblรผffender war dann, dass die Gesamtvorlage zum Radwegeaktionsprogramm dann weniger Stimmen bekam. 32 Stadtrรคt/-innen stimmten dafรผr, 16 dagegen. Auch die AfD-Fraktion und auch Udo Bรผtow, was dann seine launige Wortmeldung vรถllig ad absurdum fรผhrt. Denn wie will er mit der Zeit auf besseren Radwegen fahren, wenn er solchen Programmen nicht zustimmt? Logisch ist das wirklich nicht.
Geรคndert hรคtte ein anderes Abstimmungsergebnis auch nichts, denn natรผrlich sind hier dutzende Maรnahmen aufgefรผhrt, die das Verkehrsdezernat ja sowieso umsetzt.
Aber der Unterschied zu der Zeit vor den Aktionsprogrammen fรผr den Radverkehr ist: Es passiert tatsรคchlich. Und zumindest da, wo das Geld zum Einsatz kommt, verbessert sich punktuell etwas im Radwegenetz. Auch wenn es bis zu einem wirklich guten und vorbildlichen Radnetz in Leipzig noch viele Jahre dauern wird.
Dass sich die Verwaltung beim Thema Asphaltierung endlich bewegen muss, machte dann am Ende noch ein deutliches Statement von Kristina Weyh klar. Mit dem Wissensstand von vorgestern kann man Radwege heute nicht mehr planen.
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Es gibt 8 Kommentare
Nun โ kann das mal jemand dem Leipziger Amt fรผr Umweltschutz verklickern?
Oder sitzen dort nur Schildbรผrger?
Im Gegensatz zu fachgerecht ausgefรผhrtem Asphalt funktioniert das mit dem Abfluss des Wassers zu den Wegrรคndern bei sandgeschlรคmmten Decken bei hoher Belastung nur kurzfristig, weil durch den Verschleiร Lรคngsrinnen und Mulden und damit Pfรผtzen entstehen, aus denen das Wasser verdunstet und nicht nennenswert versickert. Dadurch, so die Studie zum Wasserhaushalt aus Mecklenburg-Vorpommern, ist die Wasserbilanz von asphaltierten Wegen mit aufnahmefรคhigen Banketten besser als die von wassergebundenen Decken.
Der ADFC verweist immer wieder auf diese Studie aus Meck-Pom. Die genauen Daten liegen also vor. Auรerdem gibt es auch wasserdurchlรคssigen Asphalt. Und was Christian schreibt kann ich ebenfalss bestรคtigen, eine sandgeschlรคmmte Wegedecke ist genauso dich wie Asphalt. Die Feuchtigkeit flieรt zu den Rรคndern (deshalb die recht hohe Buckelung bei sandgeschlรคmmten Decken) und sickert von den Rรคndern ein. Die sandgeschlรคmmten Decken sind nur nicht stabil, werden schnell durchgefahren, mรผssen รถfter erneuert werden, kรถnnen nicht gereinigt werden, sind nicht winterfest usw. Das ASG ist auf dem Stand der 90ziger Jahre des vergangenen Jahrhundert, denn damals haben die Entscheider mal studiert.
@Christian
Im ASG scheint keiner der Entscheider Rad zu fahren. Im VTA auch nichtโฆ
Muss man denn alles immer wieder neu begutachten und Ping-Pong spielen?
Kann man denn nicht mal pragmatisch und in erlebbaren Abstรคnden entscheiden und realisieren?
Bekannt ist die Studie, welche festgestellt hat, dass es unter einer sandgeschlรคmmten Decke genauso feucht aussieht wie unter einer Asphaltdecke. Dann ist es doch egal, was oben drauf kommt.
Zudem stehen die Linden am Rand des Weges, wir reden von einer Teilรผberdeckung des Wurzelwerks.
Dann nehme ich auf einer Hauptroute eben Asphalt, da wir ja nun schon sehr oft die Erfahrung machen durften, dass Sandschlรคmmungen nur sehr begrenzt haltbar sind.
Christian, die Naturschutzbehรถrde hat sich ganz wie angekรผndigt verhalten, insofern verwundert es nicht, dass es dazu immernoch keine Entscheidung gibt und eine weitere Gutachterrunde gedreht wird. Die Unfรคhigkeit des Verkehrs- und Tiefbauamtes aber, auch nur gut ein Jahr voraus wenigstens halbwegs zuverlรคssig zu planen, ist mehr als frustrierend. So sind z.B. von den 19 Markierungsmaรnahmen, in die keine Naturschutzbehรถrde hineinredet, bisher nicht einmal die Hรคlfte umgesetzt und es bleiben nur noch 2 Monate bis zum Ende der Markierungssaison 2024. Was damit der aufwรคndig erarbeitete Radverkehrsentwicklungsplan 2030+ wert ist, ist leider absehbar.
Beschlossen wurde es, nun aber offenbar wieder gestoppt: die dringend notwendige Asphaltierung des Elsterradweges.
Eine andere Leipziger Zeitung fragte beim ASG an und bekam diese Antwort.
Nach fast einem Jahr. Man kรถnnte lauthals brรผllen, wenn es nicht so traurig wรคre.
Sowohl die SPD wie die Fraktion Bโ90/Grรผne beziehen sich auf vorhandene Studien zur Asphaltierung im NSG. Allerdings keiner gibt eine Quelle an!