Es hat lange gedauert, bis wir das Gespräch mit dem Fußverkehrsverantwortlichen der Stadt Leipzig, Friedemann Goerl führen konnten. Am 12. Oktober war es dann endlich so weit. Die Frage ist, wie sieht es mit der Entwicklung des Fußverkehrs in Leipzig aus? Es wurde ein längeres Gespräch.
Schön, dass es heute geklappt hat. Vielen Dank dafür, Herr Goerl. Sie sind ja seit Januar 2018 im Amt, als Fußverkehrsverantwortliche der Stadt Leipzig. Damals waren Sie 28 Jahre alt, heute also 33 oder 34.
Letzte Woche hatte ich Geburtstag.
Herzlichen Glückwunsch nachträglich, ich sehe aber, dass Ihnen über dem Job noch keine grauen Haare gewachsen sind.
Noch nicht merklich.
Fußverkehrsverantwortlicher, schön, dass Leipzig einen hat. Ich habe mal in offiziellen Quellen nachgeschaut. Leipzig hat 218 km Straßenbahnnetz und 1.700 km Straßennetz, wie groß das Gehwegnetz ist, dazu habe ich nichts gefunden.
Das ist eine Definitionssache, wir gehen aber von ca. 2.000 km Gehweg aus. Dazu kommen dann Wege in Parks usw. die zum Amt für Stadtgrün und Gewässer gehören.
Es gab ja 2012 ein Fachgutachten zum Fußverkehr, in dem die Gutachter der Stadt Leipzig einiges ins Pflichtenheft geschrieben haben, wenn man das so nennen will. Die Datengrundlage für den Fußverkehr, also Fußverkehrszählungen, Schwachstellenanalysen und Erfassung von Konfliktpunkten, Nachfrageanalyse und „Marktbeobachtung“ zur Ermittlung von „Fußgängerpotentialen“, Wirkungsanalyse (Evaluierung) von durchgeführten Maßnahmen zur Überprüfung der Zielerreichung und das Regelmäßiges Monitoring strategischer Bereiche und Erstellung eines Entwicklungsberichts Fußverkehr Leipzig wurden als mangelhaft bewertet. Sie kennen das Gutachten bestimmt, wie ist 11 Jahre später der Stand?
Der Bericht von Kollegen Schmitz wurde natürlich verwendet, wir haben damit gearbeitet und die Hinweise ernst genommen. Das ist in den politischen Kontext eingegangen, also in die Fußverkehrsstrategie, die wir seit zwei Jahren haben. In der der Stadtrat paradigmatische Ziele und Grundsätze für den Fußverkehr beschlossen hat.
Da hat nicht bloß ein Experte gesagt, was gut und richtig wäre, sondern der Stadtrat hat gesagt, „Das sind die wichtigen Ziele zur Fußverkehrsförderung in unserer Stadt!“. Daran haben sich jetzt wir alle bzw. natürlich die Verwaltung zu halten.
Man muss ehrlicherweise sagen, dass es in vielen Bereichen noch enormen Nachholbedarf gibt, allein das Thema Fußverkehrszählungen herausgepickt. Man hat sich früher gar nicht Gedanken gemacht, den Fußverkehr überhaupt mitzuzählen. Wenn man Verkehrserhebungen gemacht hat, bezog sich Verkehr meist nur auf den Kfz-Verkehr. In den letzten Jahren kam dann noch irgendwie der Radverkehr hinzu und dann stellte man fest, na ja, aber eigentlich ist Fußverkehr ja auch Verkehr und warum zählt man denn nicht den Fußverkehr mit?
Das versuchen wir nun nachzuholen und haben mittlerweile regulär den Fußverkehr in Zählung mit dabei. Man muss aber auch dazu sagen, dass das nicht bloß die Stadt Leipzig lange Zeit nicht auf dem Schirm hatte, auch die Technik ist noch nicht so weit.
Wir haben mittlerweile verschiedenen Zählsysteme getestet, so richtig zuverlässig sind die bei der Zählung des Fußverkehrs nicht. Es gibt viele Anbieter, aber wir haben bis jetzt noch nicht das richtige Tool gefunden, welches das wirklich kann.
Das wäre dann wohl eine Sache für KI, die mit Kameras aufgenommene Fußgänger im Bereich zählt.
So was in der Richtung. Das gibt es in der Entwicklung oder ist in der Erprobungsphase. Aber bisher ist die noch nicht so gut wie in der Vergangenheit, als Rentner oder Studenten, die händisch für uns zählten.
Was mich natürlich interessiert, ist die Frage nach der Wirkungsanalyse für durchgeführte Tätigkeiten. Oder drehen wir die Sache mal um an einem Beispiel. Ich habe das nicht nur in Stadtratssitzungen, sondern auch in öffentlichen Veranstaltungen, beobachtet, dass zum Beispiel beim Thema Komplexmaßnahme Dieskaustraße immer mal so Momente gab, wo es hieß „Wir können ja an der Stelle den Gehweg ein bisschen schmaler machen, weil da sowieso selten jemand lang läuft“. Das ist ja praktisch eine Bremse, wenn ich sage, hier läuft jetzt keiner, hier wird auch in Zukunft keiner laufen. Ich habe das nicht nur in Stadtratssitzungen, sondern auch in öffentlichen Veranstaltungen, beobachtet, dass zum Beispiel beim Thema Komplexmaßnahme Dieskaustraße immer mal so Momente gab, wo es hieß „Wir können ja an der Stelle den Gehweg ein bisschen schmaler machen, weil da sowieso selten jemand lang läuft“. Das ist ja praktisch eine Bremse, wenn ich sage, hier läuft jetzt keiner, hier wird auch in Zukunft keiner laufen. Ist das jetzt schon auf ein anderes Level gekommen oder gibt es diese Ansätze immer noch?
Ich glaube, dass die Stadt Leipzig da schon relativ weit ist. Also nicht nur in der Verwaltung, sondern auch gerade in der Politik, also im Stadtrat. Oft war es ja so, dass Fußverkehr als störender Rest betrachtet wurde oder das Thema, was sozusagen irgendwie die Reste bekommt.
Aber das ist sowohl in der Stadtgesellschaft, als auch an der Politik und der Verwaltung nun anders.
Das Thema hat in letzten Jahren sehr stark an Bedeutung gewonnen.
Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Planungen, die mittlerweile anders als vielleicht noch vor zehn Jahren durchgeführt werden. Der Fußverkehr wird nun von vornherein mitgeplant. Also nicht, dass man zuerst guckt, was braucht der MIV, dann der ÖPNV und der Radverkehr und für den Fußverkehr bleiben die Reste. Da gibt es heute schon eine Verschiebung, gerade für den Umweltverbund. Es kann natürlich sein, dass es gerade innerhalb des Umweltverbunds, also ÖPNV, Fuß, Radverkehr, es trotzdem zu Konflikten kommt.
Ich finde es immer schön, es gibt eine Fußverkehrsstrategie, ein Fußverkehrskonzept und einen Fußverkehrsentwicklungsplan. Wenn man sich damit beschäftigt, dann entsteht der Eindruck es wird mit der Innenstadt, innerhalb des Promenadenrings begonnen und der Rest der Stadt fällt irgendwie unter „Sonstiges“. Zumal ja in den letzten 30, 40 oder 50 Jahre an vielen Gehweg nichts gemacht wurde. Hier kommt auch die Barrierefreiheit ins Spiel. Wenn die Stadt zwar LVB-Haltestellen barrierefrei ausbaut, aber die Fußwege dahin nicht barrierefrei sind, ist das nur bedingt hilfreich. Da fehlen für Fußgänger, dazu gehören natürlich auch Menschen mit Behinderungen im Rollstuhl, noch viele Bordsteinabsenkungen, Blindenleitstreifen und anderes. Es ist auch nicht verständlich, dass, wie im letzten Jahr bei der Permoserstraße geschehen, eine Straße grundsaniert wird, aber die Gehwege nicht angefasst werden.
Ja, wir haben natürlich enorme Investitionsbedarfe und man muss natürlich auch ehrlicherweise sagen, dass immer noch mehr kaputt geht als wir sanieren können. Also sprich, der Berg, der saniert werden müsste, wird eher größer als kleiner. Wir haben natürlich trotzdem, in den letzten Jahren – dankenswerterweise hat auch der Stadtrat das Thema erkannt – immer mehr Mittel bereitgestellt bekommen, um zu versuchen diesen Berg abzuschmelzen. Aber leider muss man sagen, dass auch durch die gesteigerten Finanzmittel bei gleichzeitig steigenden Baukosten, dann trotzdem nicht mehr raus kommt.
Also beim Fußverkehr ist ja das Problem, dass ich so ein großes Netz an Gehwegen habe und an jeder Ecke könnte ich etwas machen. Diese Maßnahmen sind zwar meist klein, aber in der Summe riesig.
Die meisten und größten Veränderungen in unserer Stadt passieren durch Komplexmaßnahmen, wo wir von A nach B den gesamten Stadtraum für alle Verkehrsarten umgestalten.
Die Dieskaustraße haben wir bereits angesprochen, die Gorkistraße ist in mehreren Abschnitten in der Vorbereitung oder demnächst die Georg-Schumann-Straße im ersten Abschnitt vom Chausseehaus zur Böhmestraße. Da wird natürlich im besten Fall Fußverkehr adäquat mitgeplant, wie zum Beispiel in der Bornaischen Straße.
Dann gibt es manchmal größere Baumaßnahmen, da können wir leider den Fußverkehr nicht mit reinkriegen, weil nur die LVB baut. Da müssen wir sagen, okay die LVB hat ihr Programm die Achsaufweitung schnell durchzuziehen. Das bedeutet, die LVB baut jetzt hier schnell die Schienen und lässt die Fußwege links und rechts liegen. Das ist bedauerlich, aber es ist dann einfach in Anbetracht der Zeitschiene manchmal notwendig.
Und dann haben wir natürlich einzelne Maßnahmen für den Fußverkehr, die an neuralgischen Punkten oder im Nebennetz gemacht werden müssen. Da müssen wir, glaube ich, noch besser werden, wie angesprochen besteht eine Diskrepanz zwischen urbanem Kern und Stadtrandlagen. In Mölkau gibt es momentan nicht die große LVB-Maßnahme, die dort eine Straßenbahnlinie baut. Trotzdem sind dort im Bestand die Fußwege sehr desolat. Wir sehen sehr stark, dass es enorme Unterschiede in den Leipziger Stadtvierteln und Ortsteilen gibt, was die Qualität der Gehwege anbelangt.
Der schlechteste Ortsteil, was die Gehwege angeht, ist wohl Mölkau, aber Mölkau war auch bis 1999 eigenständig. Und man kann nicht alles sofort nachholen, was in der Vergangenheit in Mölkau halt nicht an Gehwegen gemacht worden ist.
Ich nehme an, wenn ich jetzt die Ortsvorsteher fragen würde, dann würden die sagen, Mölkau wäre gar nicht der schlechteste. Ich denke hier nur an den fehlenden Gehweg an der Merseburger Straße in Rückmarsdorf.
Es gibt auf jeden Fall enorme Unterschiede in der Qualität der Gehwege, die wir als Stadt auch auf dem Schirm haben. Durch erhobene Geodaten wissen wir, wo es Gehwege gibt und wo nicht, wie breit diese sind und in welchem Zustand sie sich befinden. Da gibt es schon Unterschiede, dass in manchen Ortsteilen viel schmaler gebaut worden ist und in manchen wurde halt großzügiger geplant.
Darüber hinaus gab es im letzten Jahr eine sehr starke Bürgerbeteiligung zum Fußverkehrsentwicklungsplan, wo wir alle Bürger aufgefordert haben „meldet eure Missstände“. Da kann man sehen, dass aus manchen Stadtvierteln sehr viel gemeldet wurde und aus manchen Stadtvierteln kommt fast gar nichts.
Wenn wir über barrierefreie Gehwege sprechen, dann geht es ja nicht nur um Gehwegabsenkungen und dass das Pflaster einigermaßen sicher ist. Wir reden ja auch über Blindenleitanlagen und ähnliches. Außerhalb des Innenstadtringes ist das ja eher die Ausnahme. Gibt es eine längerfristige Planung, um die Barrierefreiheit in der ganzen Stadt herzustellen?
Ja, das ist unser Auftrag, wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und wir müssten daher die barrierefreien Verkehrsanlagen eigentlich schon gestern flächendeckend gebaut haben.
Aber die Flächenhaftigkeit hier herzustellen, ist insbesondere personell eine Herkulesaufgabe.
So kann es kommen, dass, wenn wir endlich die Planung fertig haben, sich keine Baufirma findet, die diese eher kleinen Maßnahmen umsetzt.
Wir mussten zum Beispiel einen neuen Fußgängerüberweg an der Lilienstraße immer wieder verschieben.. Unter anderem, weil sich auf diese Ausschreibung keine Baufirma gefunden hatte. Ich kann halt nicht selbst hingehen und den Fußgängerüberweg bauen, wir sind da an Rahmenbedingungen gebunden, die manchmal schmerzlich sind. Nun wird aber hoffentlich ab März 2024 gebaut.
Trotzdem wollen wir natürlich flächendeckend bei jedem sowieso laufenden Bauprojekt Barrierefreiheit herstellen. Als die LVB zum Beispiel die Gleise in der Ratzelstraße in Grünau erneuert hat, wurde festgestellt, dass die separaten Gleisanlagen, in Höhe der Grünauer Siedlung, an vielen Stellen eine starke Barrierewirkung für Fußgänger haben. Im Bestand war zu sehen, dass Menschen die Gleisanlagen im Schotterbett überquerten. Wir haben hier interveniert und so wurden im Zuge der LVB-Maßnahme ebenso neue barrierefreie Querungshilfen gebaut, welche jetzt die Quartiere von Grünau-Siedlung miteinander verbinden
Wenn es um Barrierefreiheit geht, stellt sich auch die Frage, wie Ihre Zusammenarbeit mit dem Behinderten- und dem Seniorenbeirat und Betroffenenverbänden ist. Ich nehme an, es gibt eine Zusammenarbeit.
Ja, die gibt es, beziehungsweise versuchen wir das auch zu institutionalisieren. Wir haben eine AG-Fuß, analog zur AG-Rad, da gibt es auch gute Erfahrungswerte. Dort binden wir Betroffenenverbände oder NGOs in einer sehr frühen Planungsphase, oder in einer frühen Bearbeitungsphase mit ein. Mit dabei ist zum Beispiel der Blinden- und Sehbehindertenverband oder der Behindertenverband oder der Deutsche Kinderschutzbund. Wir versuchen diese Gruppen generell, also auch bei strategischen Elementen, sehr stark frühzeitig einzubinden.
Es ist natürlich wichtig, genau diese Betroffenenverbände zu beteiligen, weil diese die Experten sind. Ich bin zu Fuß gut unterwegs, ich kann mich da vielleicht reindenken, aber ich bin nicht betroffen, deswegen brauchen wir natürlich diese Expertise.
Genauso wichtig ist uns aber auch die generelle Beteiligung der Bürgerschaft. Ich wohne zwar in Leipzig, aber ich kenne mich z.B. in Liebertwolkwitz nicht aus. Es ist natürlich genauso wichtig zu wissen, wo drückt der Schuh in Liebertwolkwitz? Die Expertise für diese ganzen vielen kleinteiligen und großen Maßnahmen, also was ist wichtig vor meiner Haustür, die muss natürlich von den Akteuren vor Ort eingestreut werden.
Jetzt gibt es ja die üblichen Konflikte, einmal zwischen Autofahrern und Fußgängern. Zum Beispiel bei Straßenquerungen, aber eben auch beim Gehwegparken. Im Bremer-Urteil hat das Gericht nun tatsächlich mal festgestellt, dass Fußgänger auch Rechte haben, zumindest das auf Nutzung der Gehwege. Es gibt natürlich auch Konflikte bei der Nutzung von Flächen durch Fußgänger und Radfahrer. Ich denke an die Diskussion, die ja nun schon seit Jahren geführt wird, über das Radfahren in der Innenstadt. Es gibt immer wieder Radfahrer, die sagen, wir wollen durch die Innenstadt durchfahren und zwar nicht nur auf den Straßen, die für den Radverkehr zugelassen sind. Also auch in den Fußgängerzonen. Wie kann man das auflösen?
Natürlich nicht nur mit Verboten, sondern auch mit Angeboten und mit Kompromissen. Die Lösung in der Leipziger Innenstadt mit einer zeitlichen Begrenzung des Radverkehrs hat sich sehr gut bewährt, daran würde ich nichts rütteln. Man muss bedenken, dass es Straßenabschnitte in der Innenstadt gibt, auf denen wir 70.000 zu Fußgehende am Tag haben. Das ist doppelt so viel wie der Kfz-Verkehr vor dem Hauptbahnhof. Bei hoher Nutzungsintensität kann es zu Konflikten mit dem Radverkehr, aber auch mit dem Lieferverkehr kommen.
Da ist es nicht mehr verträglich, zusätzlichen Radverkehr reinzuziehen. Deswegen ist es gut, dass diese Abschnitte nur dem Fußverkehr vorbehalten sind.
Gleichzeitig muss man sich natürlich Gedanken machen zu Alternativen, damit Radfahrende nicht erst auf die Idee kommen, da einfahren zu wollen, sprich, da geht es auch um den Radverkehr auf dem Ring. Durch die neuen Radverkehrsanlagen in „Verkehrsgrün“ verbessert sich auch das Angebot für den Fußverkehr spürbar, da sich nicht mehr derselbe Verkehrsraum geteilt werden muss.
Es braucht in unserer Stadt auch Bereiche, wo der Fußverkehr ungestört flanieren kann und man sich mal keine Gedanken machen muss, ob man gleich vom Gehweg runter fällt, oder wo man auch mal meinen dreijährigen Sohn mit dem Laufrad mal laufen lassen kann, ohne immer gucken zu müssen. Jedoch nicht nur in der Innenstadt, sondern eigentlich im gesamten Stadtgebiet. Die Merseburger Straße zwischen Karl-Heine und Aurelienstraße wird so ein Pilotprojekt.
Es gibt auch weitere Konflikte, zum Beispiel beim Bau von Fußgängerampeln. Die Fußgängerampel in der Käthe-Kollwitz-Straße Höhe Schreberstraße wurde gebaut, die in der Zschocherschen Straße / Markranstädter Straße wurde wieder verschoben. Bei letzterer gibt es eine Haltestelle, das Überqueren der Straße ist gefährlich und es ist auch nicht möglich Tempo 30 einzurichten, das gibt das Gesetz nicht her. Was kann die Stadt besser machen?
Ja, es ist ja nicht so, dass die Fußgängerampel in der Zschocherschen Straße verschoben wurde, weil wir die in der Käthe-Kollwitz-Straße, also am Schreberbad, gebaut haben.
Das war auch nicht so gemeint.
Das in der Käthe-Kollwitz-Straße fing vor vier Jahren an, da war ich gerade frisch im Amt, ich habe mich mit dem Petenten auf der Straße getroffen, und die Möglichkeiten durchgesprochen. Es hat trotzdem bedauerlicherweise vier Jahre bis zur Umsetzung gedauert, das Kind des Petenten geht nun sicherlich nicht mehr zur Grundschule. Es ist total bedauerlich, dass Planungsabläufe so lange dauern, das tut mir auch weh.
Wenn wir sozusagen vom Bedarf ausgehen, dann müssen wir viel schneller sein, besonders, wenn wir eine Mobilitätswende auf die Beine stellen wollen und das 1,5-Grad-Ziel wirklich ernst nehmen. Dann müssten wir aber schon gestern ganz viele Neubau-Strecken für die Straßenbahn fertig gebaut haben, damit wir das irgendwie schaffen.
Also, wir sind auf dem richtigen Weg, aber der Weg dauert zu lang.
Wir haben auch noch eine andere Herausforderung. In Leipzig gibt es Gehwege mit 5 bis 8 verschiedenen Pflasterungen. Diese Leipzig-typischen Pflasterungen, wie Mosaikpflaster, sind erhaltenswert, aber die Instandsetzung und Instandhaltung ist zeit- und personalaufwändig.
Ja, das sind natürlich auch Zielkonflikte, die wir haben. Aber das ist auch ein enormer Schatz, den man als Stadt hat. Unsere Gehwege, wie sie in der Vergangenheit gebaut worden sind, mit den Materialien, die verwendet wurden, würde die Stadt sich heutzutage nicht mehr finanziell leisten können. Gerade die Granit-Krusten-Platten, die im urbanen Kern vielerorts anzutreffen sind, die sind nach heutigen Maßstäben unbezahlbar.
Wir wollen die natürlich weiter benutzen, weil sie einfach ein großartiger Baustoff sind. Und sie haben auch städtebaulich eine ganz andere Qualität als Asphalt. Wenn ich jetzt im Waldstraßenviertel anfangen würde, die Gehwege mit Asphalt zu asphaltieren, dann habe ich nicht bloß mit den Werkstoffen ein Problem, sondern besonders mit den Anwohnern.
Die Granit-Krusten-Platten zum Beispiel sind schwierig zu verlegen. Sie werden nicht umsonst auch als Schweinebäuche bezeichnet, weil sie oben angeschliffen, aber unten sehr uneben sind. Das macht den Einbau super aufwendig . Sie sind aber eigentlich ein guter, hochwertiger Baustoff für Gehwege. Wenn ich natürlich Lieferverkehr habe und der Sprinter vom Paketdienst oder ein LKW ständig darauf fahren, dann senken die Platten sich oder verkanten, dafür sind sie nicht gemacht.
Dann habe ich natürlich das große Thema der Bäume, die sogenannte Wurzelauftriebe verursachen und ebenfalls die Gehwege zerstören. Da gibt es einen sehr großen Zielkonflikt. Wenn die Straßen unsachgemäß gebaut worden sind, und dann die Bäume unter den Gehweg wurzeln und die Platten hoch drücken, kann nichts anderes gemacht werden, als entweder den Baum zu fällen oder die Gehwegplatten raus zunehmen und einfach eine wassergeschlämmte Decke in dem Bereich anzubieten. Ich werde es nicht baulich lösen können, weil die Wurzeln immer wieder die Platte hochdrücken werden.
Beides ist nicht optimal, den Baum fällen ist die schlechtere Variante. Das gäbe auch einen berechtigten Aufschrei.
Wir haben da keine optimale Lösung, also muss man auch damit klarkommen, dass dann in bestimmten Abständen vielleicht auch mal Unebenheiten sind, beziehungsweise wenn es regnet, sich eine Pfütze bildet, weil dort eine wassergeschlämmte Decke ist. Das Mosaikpflaster hat auch eindeutige Vorteile, man kann zum Beispiel viel schneller Leitungen verlegen. Im Bereich der Leitungen das Pflaster rausnehmen, dann wieder das Pflaster drauflegen ist einfacher, als eine Asphaltdecke aufzuschneiden und neu zu asphaltieren.
Aber es ist, sagen wir mal so, Arbeitskräfte aufwendig und somit auch teuer. Der Quadratmeterpreis für einen Gehweg ist oft höher als für die Fahrbahn, ohne Frage. Natürlich, auf der anderen Seite, jemandem, der im Rollstuhl sitzt, ist der asphaltierte und glatte Gehweg vielleicht wichtiger. Das sind die üblichen Konflikte, die es gibt.
Als gebürtiger Leipziger bin ich eigentlich froh, dass wir diese verschiedenen Arten von Gehwegen haben. Auch gibt es teilweise noch verschiedene Straßenpflaster, die meisten sind zwar asphaltiert, sieht man mal ab von einigen, teils denkmalgeschützten Straßenzügen. Sie haben das große Problem als VTA und Sie als Fußverkehrsverantwortlicher, dass Sie gar nicht so schnell neue Fußwege bauen und die im Bestand befindlichen Fußwege grundsanieren können, wie hinter Ihnen wieder wegbrechen. Da wäre natürlich ein Instandhaltungsprogramm, zumindest für die bereits sanierten, wichtig.
Ja, es gibt diese Probleme, wo wir natürlich besser werden müssen. Meines Erachtens haben wir sehr gute Erfahrungen mit Rahmenzeitfirmen, also es gibt private Firmen, die per Rahmenzeitverträgen beauftragt werden. Da muss nicht jedes Mal neu ausschreiben werden, dass der Gehweg instandgesetzt werden muss, sondern die sind mit einem Rahmenvertrag gebunden und haben bestimmte Kapazitäten vorzuhalten. Das sollte man auf jeden Fall beibehalten.
Aber man kann sich schon die Frage stellen, ob man parallel auch noch eigene Kapazitäten aufbauen muss. Also, wie früher vielleicht, dass es einen Bauhof gibt, der bestimmte Aufgaben erfüllt, die immer anfallen. Der im Frühling, wenn durch den Winter Schäden entstanden sind, unkompliziert handelt. Andere Städte machen das so, Leipzig hoffentlich bald auch.
Dabei gibt es finanzielle und personelle Herausforderungen, es wird auch Widerspruch der Privatwirtschaft geben, wenn die Stadt selbst diese Aufgaben übernimmt. Aber man sollte es ins Auge fassen.
Eine Frage zum Abschluss, Sie sind ja noch jung und ich hoffe, dass Sie noch lange in der Funktion bleiben: Wie ist Ihre Vision für die nächsten Jahre?
Ich sehe generell, da ist ganz viel Musik drin. Es ist viel Veränderung schon im Entstehen. Es werden schon andere, vielleicht neue Weichen gestellt und das Zielbild ist die Abkehr von der autogerechten zur hin zur menschengerechten Stadt.
Wir nehmen andere Mobilitätsarten in den Fokus als vor zehn Jahren, vor allem für die Menschen, die in der Stadt wohnen. Es ist eher so ein bisschen die Frage, wie schnell schaffen wir das? Was sind die Bedürfnisse? Wo können wir besser und schneller werden?
Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass wir den Fußverkehr noch viel stärker in den Vordergrund stellen.
Ich glaube, den größten Effekt, den wir für den Fußverkehr erzeugen können, ist eine Stadt der kurzen Wege. Das ist die sehr starke Verschränkung zwischen Mobilitätsplanung und Städteplanung. Also wir brauchen eine Stadt, die sich in ihrer Stadtstruktur schon dazu eignet, ganz viele kurze Wege zu haben, dass ich nicht auf das Auto angewiesen bin, dass ich den Bäcker vor der Haustür habe, dass der Kindergartenplatz im besten Fall in fußläufiger Entfernung ist etc. Oder, dass ich meine Wege auch mit dem Rad erledigen kann.
Am besten sollte ich gar nicht angewiesen sein, sehr viele Ortsveränderungen herbeiführen zu müssen, weil die Stadt und der öffentliche Raum mich einlädt, zu Fuß, mit dem Rad oder mit der Bimmel unterwegs zu sein. In einer solchen Stadt ist es nicht mehr notwendig, ein privates Auto zu haben. Hier brauchen wir einen radikalen Wandel und eine Flächengerechtigkeit für nachhaltige und effiziente Verkehrsmittel. Am Status Quo festzuhalten, wäre wahnwitzig und töricht.
Das Ganze natürlich, ohne meine gewollte Mobilität einzuschränken. Da stimme ich zu. Nehmen wir das als Schlusswort. Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und viel Erfolg.
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