Bei der sogenannten Verkehrswende soll der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) eine zentrale Rolle spielen. Anstatt eines Autos sollen sich möglichst viele Menschen ein Ticket für Bus und Bahn anschaffen. Leipzig hat dieses Ansinnen unter anderem im 2018 einstimmig vom Stadtrat beschlossenen „Nachhaltigkeitsszenario“ für den ÖPNV verankert – auch wenn die CDU-Fraktion wegen angeblich deutlich veränderter Rahmenbedingungen ihre Zustimmung mittlerweile „aufgekündigt“ hat.
Damit diese Verkehrswende gelingen kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Vor allem der Bund muss ausreichend Geld für Fahrzeuge und Infrastruktur zur Verfügung stellen, die Bevölkerung muss die Angebote annehmen – und es muss genügend Menschen geben, die als Bus- oder Bahnfahrer*innen arbeiten möchten. Letzteres ist schon jetzt nicht der Fall.
Fast Totalausfall auf der S10
Ein Beispiel: Dass in einer Juliwoche dieses Jahres auf der S10 zwischen Grünau und Hauptbahnhof nur drei der 260 geplanten Fahrten tatsächlich stattfinden konnten, schaffte es im August sogar in eine Überschrift auf der Homepage der „Tagesschau“. Zuerst hatte die LVZ über diese Zahlen berichtet. Demnach seien 257 Züge in der Woche vom 17. bis 21. Juli ausgefallen.
„Das Problem sind die fehlenden Triebfahrzeugführer“, zitierte die LVZ den für den Nahverkehrsraum Leipzig zuständigen Zweckverbandsleiter Bernd Irrgang. Zuständig als beauftragtes Unternehmen ist die DB Regio. Auch auf der Strecke zwischen Grimma und Leipzig gebe es viele Ausfälle.
Der Mangel an Fahrzeugen und Fahrer*innen betrifft Unternehmen in ganz Deutschland und lässt sich kurzfristig kaum beheben. Vielerorts wird beteuert, massiv in die Ausbildung neuer Fahrer*innen zu investieren. Doch einerseits dauert das mehrere Jahre und andererseits stellt sich beispielsweise bei den LVB die Frage, wie viele der Ausgebildeten dann in Leipzig bleiben wollen.
Azubis bleiben teilweise nicht lange
Die Straßenbahnfahrerin Heike Hessel arbeitet seit fast 40 Jahren bei den LVB. Im Gespräch mit der Leipziger Zeitung schildert sie ihren persönlichen Eindruck, dass viele Azubis relativ schnell wieder kündigen würden. Das habe sowohl mit der Bezahlung als auch mit zunehmendem Stress beim Straßenbahnfahren zu tun. Beim Streik für bessere Löhne habe sie selbst zwei Lehrlinge an ihrer Seite gehabt, die sich beide unsicher gewesen seien, ob sie bei den LVB bleiben möchten.
Hessel ist Teil des Bündnisses „Wir fahren zusammen“, das Klimaaktivist*innen und ÖPNV-Beschäftigte vereint. Beim jüngsten „Klimastreik“ Mitte September saß sie bei der Pressekonferenz auf dem Podium.
Schon seit Jahren bemühen sich die LVB darum, neues Personal auch im Ausland zu rekrutieren. Gerade erst waren Vertreter*innen der LVB in Vietnam, um dort künftige Mitarbeiter*innen anzuwerben. Erfolgreich waren die Verkehrsbetriebe bereits in Spanien, auch wenn es laut Hessel durchaus Verständigungsprobleme gibt. So gab es Fälle, in denen spanische Busfahrer*innen Umleitungen fahren sollten, aber die entsprechenden Anweisungen nicht verstanden hätten. Grundsätzlich gebe es aber keine größeren Probleme, sich mit spanischen Mitarbeiter*innen zu verständigen.
Mangel auf vielen Linien spürbar
Laut dem eingangs erwähnten „Tagesschau“-Artikel konnten die LVB im Sommer nur 90 Prozent jener Fahrten durchführen, die eigentlich geplant waren. Das sei vor allem abends spürbar gewesen. Doch auch zu anderen Zeiten war der Personalmangel in den vergangenen Monaten deutlich zu spüren. So war die Buslinie 60, die den Osten mit dem Westen verbindet, häufig nur noch im 15-Minuten-Takt unterwegs, teilweise am frühen Abend sogar schon nur noch im Halbstundentakt.
Nicht vorrangig wegen der Situation im ÖPNV, aber auch deshalb, darf man auf eine milde Grippe- und Coronasaison im Winter hoffen. Anderenfalls könnten bei hohem Krankenstand wieder komplette Linien ausfallen.
Mitarbeit: Yaro Allisat
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Es gibt 2 Kommentare
@fra
Die S-Bahn Mitteldeutschland hat im letzten Jahr 40 Triebfahrzeugführer und 40 Zugbegleiter ausgebildet. Daher fahren seit ein paar Wochen alle Bahnen regulär wie bestellt. Die LVB haben im letzten Jahr mehrere hundert Busfahrer und Straßenbahnfahrer ausgebildet, deshalb kann die neue Buslinie 71 fahren und der 10er-Takt ist auch verlängert worden. Das Problem ist damit zwar nicht kurzfristig gelöst worden (der Mangel bestand seit 2017), aber es scheint im Moment gelöst zu sein.
Hoffen wir mal das das Problem in Griff bekommen wird, ansonsten werden viele beim PKW bleiben.