Die Zukunft der Mobilitรคt muss sich viel stรคrker auf Schienen abspielen. Aber die vergangenen Jahrzehnte waren eher dadurch gekennzeichnet, dass Zugverbindungen wegen โ€žfehlender Rentabilitรคtโ€œ gekappt wurden. Ganze Regionen โ€“ auch in Sachsen โ€“ gerieten aufs Abstellgleis. Doch das soll sich รคndern. Am Sonntag, dem 10. September, gab Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig bekannt, welche Schienenstrecken die grรถรŸten Chancen haben, revitalisiert zu werden.

Im August 2021 hatten sich Verkehrsminister Martin Dulig und die verkehrspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen darauf verstรคndigt, mehrere Schienenstrecken aus einer Erstbewertung von 22 potenziellen sรคchsischen Eisenbahnrouten intensiv und detailliert auf eine Aktivierungsmรถglichkeit hin zu untersuchen. Die vertieften Untersuchungen sind notwendig, um unter anderem die Voraussetzungen fรผr infrage kommende Fรถrderungen des Bundes, zum Beispiel im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG), zu schaffen.

Die ersten Untersuchungsergebnisse liegen nun vor

โ€žIch bin froh, dass nach einem langen Prozess, von dem auch alle Beteiligten im Vorfeld nicht ahnten, dass er so zeitintensiv verlaufen wรผrde, nunmehr die Ergebnisse vorliegen und die Abstimmungen beendet sindโ€œ, sagte Verkehrsminister Martin Dulig am Sonntag.

โ€žWas immer bedacht werden muss: Die stillgelegten Strecken in Sachsen wurden nicht von der Regierung stillgelegt oder weil auf diesen zu viel Verkehr war. Sondern die Zweckverbรคnde haben den Betrieb einstellen lassen, weil die Nachfrage der potenziellen Bahnnutzer nicht mehr gegeben war. Mit den vertieften gutachterlichen Prรผfungen haben wir untersuchen lassen, ob ein wirtschaftlicher Betrieb, auch im Hinblick auf sich verรคndertes Mobilitรคtsverhalten der Menschen in unserem Freistaat, wieder gegeben sein kรถnnte.

Wir haben die Ergebnisse in der Koalition diskutiert und die nun weiter folgenden Schritte erรถrtert, um den Bahnverkehr in Sachsen wieder attraktiver zu machen.โ€œ

Die Potentialanalysen der Einzelstrecken.

Dรถbeln-MeiรŸen kรถnnte an den Start gehen

Zwischen dem Sรคchsischen Staatsministerium fรผr Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) und der Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie GmbH (NRE) wurde bereits im Sommer 2021 ein Planungsvertrag fรผr die Reaktivierung der Strecke Dรถbeln โ€“ MeiรŸen fรผr den SPNV abgeschlossen, der derzeit auf die aktuellen Rahmenbedingungen angepasst wird. Der Eisenbahninfrastrukturbetreiber NRE wird nunmehr einen Gutachter mit den entsprechenden Planungsleistungen beauftragen.

Da sich die Strecke in einem schlechten Erhaltungszustand befindet und fรผr die anstehende Reaktivierung noch einige Vorleistungen zu erbringen sind, wurde bereits mit dem Eisenbahninfrastrukturbetreiber NRE eine vorgezogene Erhaltungsinvestition auf dem Streckenteil Nossen โ€“ MeiรŸen vereinbart, um den Zugang per Schiene zum strategisch wichtigen Tanklager in Rhรคsa sicherzustellen. Neben einer Bundesfรถrderung und einem Eigenanteil der NRE fรถrdert der Freistaat Sachsen diese MaรŸnahme mit ca. 1,7 Millionen Euro. Diese BaumaรŸnahmen sollen 2024 abgeschlossen sein und hรคtten bei der eigentlich geplanten Reaktivierung sowieso durchgefรผhrt werden mรผssen.

Gute Aussichten fรผr zwei weitere Strecken

Die vom sรคchsischen Verkehrsministerium zusรคtzlich fรผr die Strecken Marienberg โ€“ Pockau-Lengefeld, Beucha โ€“ Brandis โ€“ Trebsen, Ebersbach โ€“ Lรถbau und Niedercunnersdorf โ€“ Oberoderwitz (Herrnhuter Bahn) beauftragten Potenzialanalysen inklusive der groben Kostenberechnungen fรผr die Infrastruktur und einer Abschรคtzung der im Betrieb entstehenden Betriebskosten sind abgeschlossen und ausgewertet.

Im Rahmen der Gutachten wird insbesondere fรผr die Strecken Marienberg โ€“ Pockau-Lengefeld sowie Beucha โ€“ Brandis โ€“ Trebsen weiteres Potenzial gesehen, so das SMWA. Fรผr beide Strecken weisen die Analysen ein ausreichendes Fahrgastpotenzial, moderate Investitionskosten und Zuschussbedarfe auf.

Die Strecke Marienberg โ€“ Pockau-Lengefeld bietet dabei unter Kostengesichtspunkten die besseren Voraussetzungen. Hier belaufen sich die Investitionskosten auf rund 15 Millionen Euro, der erwartete jรคhrliche Zuschussbedarf fรผr die Durchfรผhrung von Verkehrsangeboten betrรคgt 2,3 Millionen Euro. Die zu erwartende Nutzung liegt durchschnittlich bei 410 Personen pro Tag und rund 2,8 Millionen Personenkilometer pro Jahr.

โ€žFรผr diese Strecke werden wir mit dem Infrastrukturbetreiber Erzgebirgsbahn in die Gesprรคche eintreten, mit dem Ziel, einen Vertrag zur Vorplanung sowie der sich anschlieรŸenden standardisierten Bewertung zu schlieรŸenโ€œ, so Martin Dulig.

Fรผr die Strecke Beucha-Brandis-Trebsen belaufen sich die Investitionskosten gemรครŸ Gutachten auf rund 32 Millionen Euro, der Zuschussbedarf wird mit 2,1 Millionen Euro ausgewiesen. Die zu erwartende Fahrgastzahl liegt durchschnittlich bei 380 Personen pro Tag und rund 2,9 Millionen Personenkilometer pro Jahr.

Doch diese Strecke wird trotz der vergleichsweise guten Parameter vorerst zurรผckgestellt, bis die infrastrukturellen Voraussetzungen geklรคrt sind, so das SMWA. Da nur eine umsteigefreie Verbindung bis Leipzig-Hauptbahnhof sinnvoll sei, mรผssten heute vorhandene Kapazitรคten zur Aufnahme dieser zusรคtzlichen Verbindungsstrecke erweitert werden. Dies scheint aus heutiger Sicht nur durch den Bau eines weiteren Gleises im Stadtgebiet Leipzig realisierbar.

Schlechte Ausichten fรผr die Herrnhuter Bahn

Fรผr die Strecken Lรถbau โ€“ Ebersbach und Niedercunnersdorf โ€“ Oberoderwitz (Herrnhuter Bahn) ergeben sich, auch in Kombination beider Streckenabschnitte, keine ausreichenden Fahrgastpotenziale im Verhรคltnis zu den notwendigen Investitionskosten. Zudem weist das Gutachten einen รผberaus hohen Zuschussbedarf fรผr den spรคteren Betrieb auf, teilt das Verkehrsministerium mit.

Bei der Strecke Lรถbau โ€“ Ebersbach liegt die erwartete Fahrgastzahl bei durchschnittlich 290 Personen pro Tag und rund 2,1 Personenkilometer pro Jahr. Die Investitionskosten belaufen sich gemรครŸ Gutachten auf rund 26 Millionen Euro. Der jรคhrliche Zuschussbedarf fรผr den Streckenbetrieb wird mit 6,5 Millionen Euro ausgewiesen.

โ€žWir werden nun mit dem Landkreis Gรถrlitz und dem zustรคndigen Zweckverband prรผfen, ob und wie eine wirtschaftliche Voraussetzung fรผr eine Aktivierung der Strecke geschaffen werden kannโ€œ, erklรคrte Dulig.

Fรผr die Strecke Niedercunnersdorf โ€“ Oberoderwitz belaufen sich die Investitionskosten auf 49 Millionen Euro, der jรคhrliche Zuschussbedarf liegt bei 7,3 Millionen Euro. Die zu erwartende Nutzerzahl liegt bei durchschnittlich 350 Personen pro Tag und rund 3,7 Millionen Personenkilometer pro Jahr.

โ€žDiese Variante werden wir daher, so wurde es mit den Koalitionsfraktionen diskutiert, nicht offensiv weiterverfolgenโ€œ, betont Martin Dulig. โ€žGegebenenfalls ergeben sich hier neue Mรถglichkeiten, sofern sich die Rahmenbedingungen wie durch eine Erhรถhung der Regionalisierungsmittel bzw. erweiterter Fรถrdermรถglichkeiten durch den Bund entsprechend verbessern.โ€œ

Erst einmal zwei Strecken anpacken

โ€žMit den verkehrspolitischen Sprechern der Koalitionsfraktionen haben wir uns auf Grundlage der Ergebnisse und der im Landeshaushalt zur Verfรผgung stehenden Mittel darauf verstรคndigt, uns vorerst auf die Strecken Dรถbeln โ€“ MeiรŸen und Pockau-Lengefeld-Marienberg weiter zu fokussieren und die mรถgliche Aktivierung beider Strecken weiter zu verfolgenโ€œ, sagt Verkehrsminister Martin Dulig. โ€žMit der Erzgebirgsbahn werden aktuell die Vertragsgrundlagen fรผr die Planungsaufnahme abgestimmt, um schnell mit den Planungen beginnen zu kรถnnen. Ebenso stehen wir in Abstimmung mit dem ZVMS zu den im Betrieb entstehenden Betriebskosten.โ€œ

รœber die im Basisgutachten hinaus empfohlene Strecke Kamenz โ€“ Hosena haben die Planungen fรผr die Elektrifizierung des Gesamtabschnittes Arnsdorf โ€“ Kamenz โ€“ Hosena โ€“ (Hoyerswerda) im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen bereits begonnen. In diesem Zusammenhang sind auch die weiteren erforderlichen Planungen zur Elektrifizierung im Abschnitt Dresden โ€“ Bischofswerda zu sehen, zu denen derzeit die vertraglichen Abstimmungen zwischen dem Freistaat Sachsen und der DB AG laufen.

Fรผr die Reaktivierung der Muldentalbahn zwischen GroรŸbothen โ€“ Rochlitz โ€“ Narsdorf wird derzeit unter Federfรผhrung des ZVNL in Abstimmung mit dem Landkreis eine Vorstudie zur standardisierten Bewertung erstellt. Die Erstellung wird durch das SMWA finanziell unterstรผtzt und soll im Frรผhjahr 2024 vorliegen. Es ist hier vereinbart, dass weitere Planungsschritte erfolgen sollen, wenn die Ergebnisse hinsichtlich Nutzerzahlen, Investitionskosten und Betriebskosten denen der Strecken Marienberg โ€“ Pockau und Beucha Trebsen vergleichbar sind.

Die Leute wollen Bahnfahren

โ€žDie Leute wollen Bahnfahren. Nicht nur, weilโ€™s gut fรผr die Umwelt ist, sondern immer mehr, weil es schlicht bares Geld spartโ€œ, kommentiert der Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion, Henning Homann, die Vorstellung des Gutachtens.

โ€žMit dem Deutschland-Ticket ist Mobilitรคt mit Bus und Bahn so gรผnstig und so einfach wie nie zuvor. Jetzt wollen wir Schritt fรผr Schritt das Angebot ausbauen und beginnen damit, alte Strecken wieder zu nutzen. Und zwar dort, wo es auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Ich bin mir sicher, dass die neuen alten Angebote auf groรŸes Interesse bei den Kund:innen stoรŸen werden.โ€œ

Und auch der CDU-Tourismuspolitiker und Wahlkreisabgeordnete aus dem Erzgebirge, Jรถrg Markert, begrรผรŸte die Aussagen des Verkehrsministeriums am Sonntag: โ€žEndlich liegt das Gutachten zur Wirtschaftlichkeit mehrerer stillgelegter Bahnstrecken im Freistaat vor. Damit gibt es jetzt Klarheit bei Investitions- und Betriebskosten sowie zu erreichbaren Fahrgastpotentialen. Im Ergebnis freue ich mich besonders fรผr das Erzgebirge, da fรผr die Eisenbahnstrecke von Pockau-Lengefeld nach Marienberg nun vertiefende Untersuchungen, wie die Vorplanung und standardisierte Bewertung, zur Reaktivierung beauftragt werden.โ€œ

Und Markert betonte auch: โ€žGerade fรผr die Region um Marienberg, die auch stark vom Tourismus lebt, ist dies ein positives Signal! Denn viele Urlauber reisen gern bevorzugt mit dem Zug an und ab. Und auch fรผr Tagestouristen aus dem Chemnitzer Raum kรถnnte damit in absehbarer Zeit die Eisenbahn wieder eine echte Alternative darstellen. Davon kรถnnte dann das gesamte Erzgebirge profitieren.โ€œ

Er sieht aber auch das Problem, das dadurch entstanden ist, dass gerade aus den lรคndlichen Regionen viele Menschen lรคngst abgewandert sind in die GroรŸstรคdte. Womit das Potenzial mรถglicher Fahrgรคste von vornherein deutlich geringer ist.

โ€žDie Untersuchungsergebnisse zeigen aber insgesamt, dass es gerade in bevรถlkerungsschwachen Gebieten schwierig ist โ€“ und wohl auch bleibt, Eisenbahnstrecken wieder an das Kernnetz der Deutsche Bahn anzuschlieรŸenโ€œ, sagte Markert.

โ€žDie zunรคchst anfallenden Investitionskosten fรผr viele der untersuchten sรคchsischen Eisenbahnstrecken sind so hoch, dass derzeit eine vertiefende Betrachtung nicht infrage kommt. Dennoch besteht grundsรคtzlich die Chance, diese Strecken zu einem spรคteren Zeitpunkt wieder in den Blick zu nehmen. Die Eisenbahnstrecke von Pockau-Lengefeld nach Marienberg hat hingegen den Vorteil, dass diese bisher noch fรผr Transporte der Bundeswehr instand gehalten wurde und sich damit die Modernisierungskosten laut. Gutachten in einem vertretbaren Rahmen bewegen werden.โ€œ

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