Im Koalitionsvertrag haben CDU, Grüne und SPD die Gründung einer sächsischen Mobilitätsgesellschaft vereinbart. Sie soll neben dem Bildungsticket einen ‚Sachsentarif’ einführen, um den Tarifdschungel der Verkehrsverbünde zu lichten. Darüber hinaus soll sie unter anderem Qualitätsstandards für den Schienennahverkehr festlegen, Mindestbedienstandards absichern und die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken prüfen. Doch eine Gründung ist nicht abzusehen, ergab eine Landtagsanfrage von Marco Böhme.

Das Drama ist ganz auf sächsische Art selbst gekocht. Denn 1990/1991, als die Möglichkeit bestand, eine für das ganze Land tätige Landesverkehrsgesellschaft zu gründen, entschied sich die allein regierende CDU dafür, fünf Zweckverbände aus der Taufe zu heben, die jeder für sich den Regionalverkehr in ihrer Region verantworten. Eine Kleinteiligkeit, die sich immer mehr als Hemmnis erweist. Egal, ab es um Planungen für Verkehre geht, die den Verbandsraum überschreiten, oder um sachsenweit gültige Tarife – zuletzt erlebt in den zähen Verhandlungen um das Bildungsticket.

2018 war das, da sprach sich Verkehrsminister Martin Dulig erneut für die Gründung dieser Gesellschaft aus: „Einen zukunftsfähigen ÖPNV werden wir nur erhalten, wenn wir lokale Egoismen überwinden und der Freistaat die Verantwortung wieder selbst übernimmt, indem er die Zuständigkeiten in eine Landesverkehrsgesellschaft überführt.“

Zähe Verhandlungen

Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Mobilität und Klimaschutz, hat erneut zum Stand der Gründung nachgefragt (Drucksache 7/13768) und auch die Auskunft erhalten, dass zwar nun endlich eine Gründungsvereinbarung erarbeitet worden sei, aber das Verkehrsministerium sich dazu erst einmal mit dem Finanzministerium austauschen muss. Ein Zeitplan, bis wann man zu einer Vereinbarung kommen will, wurde nicht mitgeteilt.

Überdies sei das Projekt Sachsentarif beendet worden, weil inzwischen das Deutschlandticket eingeführt worden ist. Es wäre mit einheitlichen Beförderungsstandards innerhalb Sachsens verbunden gewesen.

„Dieser Koalition bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich bin skeptisch, ob die Mobilitätsgesellschaft noch rechtzeitig gegründet wird“, sagt Marco Böhme. „Das dauert alles viel zu lange und scheitert womöglich am CDU-geführten Finanzministerium. Ich befürchte, dass diesem Vorhaben dasselbe Schicksal beschieden ist wie dem neuen Vergabegesetz: Die Koalition kann sich nicht auf die Details dessen einigen, was sie im Grundsatz 2019 bereits vereinbart hat. Das ist weder professionell noch zukunftsweisend. Die Mobilitätsgesellschaft und ein sachsenweiter Verkehrsverbund müssen endlich her, damit die Kleinstaaterei zumindest ein bisschen reduziert wird.“

Aus Böhmes Sicht ist es ein Irrglaube, dass das Deutschlandticket den Sachsentarif überflüssig gemacht hätte.

„Wer sich das Ticket im Abo leisten kann, muss sich um das Tarif-Dickicht nicht mehr sorgen, das stimmt. Doch bei weitem nicht alle heutigen wie potenziellen Fahrgäste haben das Ticket oder können es sich leisten. Sie leiden weiter unter den unterschiedlichen Tarifstrukturen“, sagt Böhme.

„Zum Deutschlandticket und zu den herkömmlichen Tickets haben die Zweckverbünde Sonderregelungen geschaffen: Mancherorts kann ein Rad mitgenommen werden, anderswo nicht. Mancherorts gilt als Kind, wer maximal 12 Jahre alt ist, anderswo liegt diese Grenze bei 14 Jahren. Auch die Mitnahme von Hunden ist nicht einheitlich geregelt.“

Es sieht ganz so aus, dass es noch ein sehr langer Weg ist, bis in Sachsen der öffentliche Nahverkehr aus einer Hand geplant wird. Die über 30 Jahre alten kleinstaatlichen Strukturen erweisen sich als zähes Hemmnis.

„Das betrifft sowohl fahrgastgerechte Vergabeverfahren für Fahrzeuge und Strecken als auch die Senkung der Ticketpreise, die Barrierefreiheit und einen Taktfahrplan“, zählt Böhme auf. „Die Mobilitätsgesellschaft – die ja schon ein Kompromiss ist – liegt in weiter Ferne. Das ist ein weiteres Armutszeugnis.

Wir haben mit unserem ÖPNV-für-alle-Gesetz vorgelegt (Erklärvideo auf Facebook), wie man es besser macht und u. a. eine Landesverkehrsgesellschaft gründet – damit ein sächsischer Verkehrsminister überhaupt was zu sagen hat! Wir dürfen nicht vergessen, dass der Bund das 49-Euro-Ticket eingeführt hat. Gäbe es das nicht, wäre in Sachsen immer noch nichts besser – nach vier Jahren Regierungszeit.“

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