Am 6. August verรถffentlichte Sachsens Wirtschaftsministerium eine neue Folge der SMWA-Sendereihe โMartin Dulig | Konkretโ. Dafรผr schwang sich der Minister auch selbst aufs Rad. Und trotzdem wirkte das Thema der Sendung wie eine Replik auf eine deftige Kritik des Sรคchsischen Rechnungshofes, der im Juni erst die Zahlen des SMWA zum Ausbau des sรคchsischen Radwegenetzes auseinander genommen hat.
โRadfahren in Sachsen wird seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert. Die einen kritisieren rรผcksichtslose Radfahrer, die sich nicht an die Regeln halten. Die anderen argumentieren, dass Radfahrern das Leben schwer gemacht wird und im Freistaat zu wenig fรผr sicheres Radfahren getan wirdโ, fasste das Wirtschaftsministerium die Kontroverse zusammen, die eigentlich keine Kontroverse ist.
Denn wรคhrend das Straรennetz in Sachsen gut ausgebaut ist, fehlt es aller Enden an sicheren Radwegen. Die wurden eben nicht einfach mitgebaut, als die tausende Kilometer von Bundes-, Staats- und Landstraรen entstanden.
โMartin Dulig | Konkretโ โ Fahrrad statt Auto โ Wie viel Radland steckt in Sachsen?
โDabei ist die Renaissance des Fahrrads in Sachsen lรคngst an allen Ecken und Enden zu spรผren. Die Fahrradwirtschaft boomt und hat in den letzten Jahren eine erstaunliche Wirtschaftskraft entwickeltโ, stellte das Wirtschaftsministerium fest. โNachholbedarf gibt es allerdings bei der Radverkehrsinfrastruktur. Mit der Radverkehrskonzeption gibt es seit 2014 einen strategischen Rahmen und Ziele. Die Planung und der Bau eines Radweges sind jedoch ebenso aufwรคndig wie die einer Straรe.โ
Doch genau die Ziele dieses Radwegeplans kritisierte der Sรคchsische Rechnungshof im ersten Teil seines Jahresberichts fรผr 2023 deutlich.
Und zwar nicht, weil die Ziele nicht sinnvoll gewesen wรคren, sondern weil die Ziele mit dem aktuellen Ausbautempo und den verfรผgbaren finanziellen Mitteln nicht erreicht werden kรถnnen.
Ziel: 672 Kilometer
โIn der Radverkehrskonzeption 2014 hat das Staatsministerium fรผr Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) Abschnitte im Streckennetz der Bundes- und Staatsstraรen ermittelt, an denen Radwege erforderlich sind. Diese Radwege hat es โ wie o. g. โ entsprechend der Dringlichkeit priorisiertโ, schreibt der Rechnungshof in seiner Analyse.
โIn der Klasse A folgt daraus ein geplanter Bedarf von 538 km, welcher bis zum Jahr 2025 zu bauen ist. Die tatsรคchlich umzusetzenden Baulรคngen รผbersteigen mit rd. 672 km diesen konzeptionellen Wert. Die Abweichungen ergeben sich u. a. daraus, dass die Radwege nicht zwingend parallel zur Straรe verlaufen, bereits vorhandene Wege nachgenutzt werden bzw. sich รnderungen/Anpassungen im Planungsprozess ergeben.โ
Die Klasse A sind jene Radwege an Bundes- und Staatsstraรen, die das SMWA bis 2025 realisiert haben wollte. Insgesamt 672 Kilometer, von denen aber bis 2002 erst 19,1 Kilometer auch gebaut wurden. Fรผr 2023 steht als Umsetzungsziel die Zahl von 42,7 Kilometern.
Logisch, dass der Rechnungshof feststellt: โVon der Umsetzung seines selbst gesteckten Zieles, alle Radwegabschnitte der hรถchsten Prioritรคt (Klasse A) bis 2025 realisieren zu wollen, ist der Freistaat Sachsen weit entfernt.โ
Wenn die nรถtigen Radwegeplaner fehlen
Die jeweils aufs Korn genommenen Ministerien haben vor Verรถffentlichung des Rechnungshofberichts natรผrlich immer die Mรถglichkeit, zu den Befunden Stellung zu nehmen. Und das tat auch das SMWA. Und auf einmal merkt man, dass das Sรคchsische Verkehrsministerium mit Start des Radwegeprogramms 2014 genau dieselben Probleme hatte wie Leipzig bei seinem Spรคtstart in den Radwegeausbau.
โIn seiner Stellungnahme teilt das SMWA mit, es habe frรผhzeitig erkannt, dass die ehrgeizigen Ziele der Radverkehrskonzeption 2014 im avisierten Zeitraum mit den vorhandenen Ressourcen des LASuV (Landesamt fรผr Straรenbau und Verkehr, Anm. d. Red.) nicht umgesetzt werden kรถnnenโ, hatte das SMWA angemerkt. Man hatte also รผberhaupt nicht die benรถtigten Planerinnen und Planer.
Und noch etwas kam hinzu: Die Planung der straรenbegleitenden Radwege ist genauso aufwรคndig wie der Bau richtiger Straรen und braucht nach Angaben des SMWA ebenso sieben bis acht Jahre Planungsvorlauf, bevor รผberhaupt losgebaut werden kann.
Aber es gibt noch ein Problem, wie der Rechnungshof anmerkte: Es steht รผberhaupt nicht genug Geld bereit, um alle geplanten Radwege in der geplanten Frist umzusetzen: โAuch bei etwaigen Verschiebungen einzelner Baumaรnahmen ergibt sich โ ohne weitere Verstรคrkungsmittel โ in der Gesamtschau der Jahre 2022 bis 2024 eine Differenz von rd. 14 Mio. โฌ zwischen Haushaltsanschlag und den vom SMWA fรผr die umzusetzenden Einzelmaรnahmen angegebenen Baukosten. Angegebenen Baukosten i. H. v. 28,2 Mio. โฌ steht ein Haushaltsanschlag von 14 Mio. โฌ gegenรผber.โ
Und auch im SMWA sieht man das Problem, denn in der Stellungnahme heiรt es dazu: โBedingt durch den seit 2020 vollzogenen โPlanungshochlaufโ kรถnnen zwischenzeitlich deutlich mehr Radwege an Bundes- und Staatsstraรen zur Baureife gebracht werden. Wรคhrend die von Bund und Land bereitgestellten Finanzmittel 2023 auskรถmmlich sein dรผrften, stรผnden ab 2024 mutmaรlich nicht mehr genug Finanzmittel zur Verfรผgung, um alle baureifen Projekte umzusetzen.โ
Die problematische Windschutzscheibenperspektive
In Sachsen gibt es 1.860 km straรenbegleitende Radwege an Bundes-, Staats- und Kreisstraรen (Stand 01/2023).
Gerade beim Radwegebau sieht Martin Dulig aber noch gewaltigen Nachholbedarf in Sachsen: โZur Wahrheit gehรถrt, dass die Aufbaujahre, also die Jahre, in denen auch die Infrastruktur ausgebaut wurde, vor allem aus der Windschutzscheibenperspektive gemacht wurden. Die Fuร- und Radwege sind nicht im gleichen Maรe gewachsen wie das Straรennetz fรผr den Autoverkehr.โ
Indirekt gesteht Dr. Saskia Tietje, Prรคsidentin des LASuV, in der SMWA-Sendung auch zu, dass die Ziele aus dem Radwegeplan sehr ambitioniert sind: โDer Radverkehr hat fรผr uns eine herausragende Bedeutung. Wir wollen fรผr eine attraktive und sichere Radverkehrsinfrastruktur sorgen. Bei unseren Straรenbauprojekten denken wir immer auch an den Radwegebau. Aktuell haben wir rund 320 km Radwege an Bundesstraรen in Planung oder im Bau und noch einmal etwa so viele an Staatsstraรen.
Der Planungs- und Bauprozess fรผr Radwege dauert aber letztlich genauso lange wie fรผr eine Straรe.โ
Ganz grundlos hat Martin Dulig das Thema in seiner Sendung nicht aufgegriffen. Denn die von ihm zitierte Windschutzscheibenperspektive fรผhrt eben auch sachsenweit dazu, dass die Polemik gegen neue Radwege nicht nachlรคsst, obwohl das Radwegenetz aus Radfahrerperspektive voller Lรผcken und Lรถcher ist und ein enormer Nachholbedarf besteht.
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