Die aktuelle Verkehrspolitik in der Bundesrepublik ist eine Politik mit falschen Gewichten. Stur hält ein Bundesverkehrsminister am weiteren Ausbau des Autobahnnetzes fest, obwohl immer deutlicher wird, dass nicht nur die Deutsche Bahn gnadenlos unterfinanziert ist und über drei Jahrzehnte an der falschen Stelle gespart hat. Auch der Schienennahverkehr droht tief in die roten Zahlen zu fahren. Streichungen im Fahrplanangebot der Mitteldeutschen S-Bahn wurden am 5. Juli ebenfalls Thema in der Ratsversammlung.
Diese Streichungen sollen vor allem in den Tagesrandzeiten wirksam werden, treffen aber vor allem auch Pendler, die von der Schicht nach Hause wollen. Und viele von ihnen leben nun einmal im Leipziger Umland.
„Derzeit laufen die Vorbereitungen für die künftige Betreibung des S-Bahn-Netzes MDSB2025plus-Netz (Mitteldeutsches S-Bahn-Netz ab 2025) durch den Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL). Der ZVNL hat die Ausschreibung des ab Dezember 2025 (Ende der Vertragslaufzeit des bisherigen Verkehrsvertrages) beabsichtigten MDSB2025plus-Netzes (Verkehrsleistung, Ausrüstung, Struktur und Finanzierung) am 16. Juni 2021 mit Beschluss der Verbandsversammlung (VV) bestätigt.
Die Beteiligung der Verbandsversammlung ist erst nach Intervention und auf Druck der Fraktion Die Linke im Stadtrat gegenüber dem ZVNL erfolgt. Mit deutlicher Verspätung wurde die Ausschreibung erst am 19. Dezember 2021 im europäischen Vergabeportal öffentlich bekannt gemacht“, stellte die Linksfraktion in ihrer Anfrage fest.
„Die verspätete Ausschreibung zog nach allgemeinen Marktkenntnissen eine erhebliche Verzögerung der Beschaffungsaktivitäten für Fahrzeuge nach sich, das heißt, dass zum Bekanntmachungszeitpunkt der Ausschreibung den Verantwortlichen der Verkehrsunternehmen bereits klar war, dass eine rechtzeitige Fahrzeugbeschaffung zu vertretbaren Preisen zum Fahrplanwechsel/Vertragsbeginn Dezember 2025 nicht mehr zu erreichen war.
Wegen einer vergaberechtlichen Rüge vom 8. März 2022 erfolgte die Verlegung der Inbetriebnahme des MDSB2025plus um ein Jahr. Zugleich änderten die Fahrzeughersteller aufgrund der Lieferkettenproblematik (Pandemiefolgen) sowie des erhöhten Bestellaufkommens und der Inflationsfolgen in zwei größeren Schritten die Fahrzeugpreise.“
Die unerwarteten Preissteigerungen von 2022
Was schon ärgerlich genug ist, denn die Erweiterung des Angebots im Mitteldeutschen S-Bahn-Netz ist ja kein Selbstzweck. Manche Städte kämpfen seit zehn Jahren darum, endlich Teil des S-Bahn-Netzes zu werden. Und viele Menschen würden nur zu gern auf die S-Bahn umsteigen, wenn nur das Angebot endlich dichter wäre.
Aber die Zweckverbände, die das Netz finanzieren, sind auf die viel zu knappen Regionalisierungsmittel des Bundes angewiesen. Mit denen können auch die steigenden Beschaffungskosten für neue Bahnen nicht aufgefangen werden.
Die Antwort hat dann nicht die Stadt selbst geschrieben, sondern die Geschäftsführung des Zweckverbands für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL). Und die mache deutlich, was für einen langen Vorlauf die Ausschreibung eines S-Bahn-Netzes hat: „Mit Beginn der Ausschreibung im Dezember 2021 wurde durch keinen Bieter angezeigt, dass ein Inbetriebnahmetermin wegen nicht zeitgerechter Lieferung der Fahrzeuge zum Dezember 2025 nicht möglich sei.
Mit Veröffentlichung der Unterlagen haben sich auch alle bekannten Fahrzeughersteller zum Verfahren angemeldet und hatten somit Zugang zu allen Ausschreibungsunterlagen. Außerdem war ausdrücklich der Einsatz von Gebrauchtfahrzeugen zulässig, so dass hier ohnehin jene aus der MDSB I-Flotte (51 Fahrzeuge) vorhanden sein mussten. Auch dies zeigt, dass die in der Anfrage geäußerte Vermutung, zum Zeitpunkt der Bekanntmachung sei eine rechtzeitige Fahrzeugbeschaffung bis Dezember 2025 zu vertretbaren Preisen bereits nicht mehr möglich gewesen und dies entspräche einer allgemeinen Marktkenntnis, so nicht gegeben war.
Erst im Verlauf des Verfahrens wurde aufgrund der Anpassung einzelner Anforderungen in Folge von Bieterrückfragen und zur Verbesserung des Wettbewerbs zwischen den Herstellern die Angebotsfrist verlängert und eine Verschiebung der Betriebsaufnahme initiiert, um den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Risiken abnehmen zu können.“
Die komplette Antwort des ZVNL.
Es war das Jahr 2022, das dann richtig ins Kontor haute: „Erst nach Beginn des Ukrainekriegs Ende Februar 2022 und verstärkt ab Mitte 2022 wurde erkennbar, dass es zum anhaltenden Zusammenbruch und Schaffung neuer Lieferketten kommen würde. Durch die Sanktionen zu Gaslieferungen kam es in dessen Folge zu sehr drastischen Erhöhungen des Energiepreises und weiterhin zu sprunghaften Preiserhöhungen in allen Bereichen sowie zu einer Erhöhung der Lohnkosten. Dies stellt ein außerordentliches neues Ereignis dar, das mit Beginn der Ausschreibung am 15.12.2021 nicht vorhersehbar war.“
Eigentlich hätten die Mittel gereicht
Ohne diese Preisauftriebe wäre der Betrieb des Netzes finanziell gesichert gewesen, betont der ZVNL: „Der ZVNL verfügt über ein Budget von 104 Mio. € jährlich (Plangröße 2027) für das MDSB2025plus-Netz, was 93.317.388 € im Preisstand 2022 entspricht. Dem kommen entsprechende Erlöse von ca. 40,638 Mio. € (Realwert 2021) hinzu, die aufgrund der neuen Tarifprodukte und der damit vorhandenen Unsicherheit der Erlösentwicklung nicht höher dynamisiert wurden. Damit können die kalkulierten Kosten des Vertrages in Höhe von 144 Mio. € (Plangröße 2027) bewältigt werden.“
Der Bund habe zwar „mit der 8. Änderung zum RegG zusätzliche Mittel für Mehrkosten bis zum Jahr 2031 bereitgestellt.“ Das Problem aber ist: „Bis zum heutigen Zeitpunkt liegt keine verbindliche Zusage zur Erhöhung finanzieller Zuwendungen an die Zweckverbände in Sachsen vor.“
Was dann auch Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg nur ausweichend antworten ließ, als Linke-Stadträtin Franziska Riekewald am 5. Juli in der Ratsversammlung nachfragte. Er könne die Einschätzung der Geschäftsführung des ZVNL nur weitestgehend teilen.
Angebote sprengten die erste Ausschreibung
Was dann am 31. August 2022 an Angeboten vorlag – auch für die batteriegetriebenen Züge nach Grimma, das nun endlich auch ins S-Bahn-Netz einbezogen werden soll -, sprengte die finanziellen Möglichkeiten des ZVNL. Der Start des neuen S-Bahn-Netzes musste zwangsläufig um ein Jahr – von 2025 nach 2026 – verschoben werden. Und das ausgeschriebene Paket musste verkleinert werden.
In seiner Antwort beschreibt es der ZVNL so: „Da das Angebot aus dem offenen Verfahren deutlich über dem Erwartungswert aller Bieter lag, mussten weitere Anpassungen/Reduzierungen vorgenommen werden. Gegenüber der ersten Ausschreibung im offenen Verfahren wurden insgesamt 235.000 Zug/km reduziert. Für das Verhandlungsverfahren war diese Optimierung auch vor dem Hintergrund einer späteren Zubestellung – falls weitere finanzielle Mittel dem ZVNL und den Nachbaraufgabenträgern zugewiesen werden – sinnvoll. Dies resultiert aus Anpassungen je Linie wie folgt:
S1 – vier Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr)
S3 – drei Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr), Halbstundentakt zwischen Halle und Borna bis 20 Uhr
S4 – drei Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr),
S5/S5x keine Anpassungen,
S6 – fünf Fahrtenpaare Leipzig Messe – Leipzig Stötteritz nach 19 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 19 Uhr),
S10 – keine Änderung, Ausschreibung von 8 Fahrtenpaaren Leipzig Hbf oben – Schkeuditz
Neben der Zug/km-Reduzierung wurde das Fahrzeugkonzept angepasst und insbesondere bei den Batteriezügen (Battery Electric Multiple Units/BEMU) stark geändert sowie weitere Wertsicherungsindizes aufgenommen. Gerade diese Maßnahmen wirkten kostendämpfend, so dass auf weitere Leistungsreduzierungen hier verzichtet wurde. Die dargelegten Anpassungen wurden durch die Verbandsversammlung am 28.11.2022 bestätigt.“
Leistungseinschränkungen erst im neuen Netz
Diese Leistungsanpassungen des Vertrages werden erst mit Betriebsaufnahme im Dezember 2026 wirksam, betont der ZVNL. „Es wird hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verkehrsvertrag so gestaltet ist, dass zukünftig Zu- und Abbestellungen jederzeit möglich sind und diese Zubestellungen bei einem finanziellen Mittelaufwuchs wie auch durch finanzielle Einsparungen machbar sind.“
Wobei Franziska Riekewald besonders die Frage umtrieb, wie sehr nun eigentlich gerade die Berufspendler von den Einschränkungen betroffen sein werden, denn gerade sie sind ja in den Abendstunden auf zuverlässig fahrende S-Bahnen angewiesen.
Der ZVNL sieht diese Problematik ebenfalls, betont aber: „Leipzig hat täglich rund 73.700 Aus- und 103.300 Einpendler. Diese große Nutzergruppe ist kaum von den Leistungskürzungen betroffen, durch die nur in den Abendstunden der Takt ausgedünnt, aber der Verkehr nicht eingestellt wird. Die Betriebszeit bleibt gewahrt. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Einkürzungen erst ab Dezember 2026 in Kraft treten und alle Aufgabenträger bis dahin bemüht sind, zusätzliche Mittel einzuwerben. So kann spätestens mit der im März 2026 erfolgenden Fahrplanbestellung 2026/2027 ein erweitertes Verkehrsprogramm bestellt werden. Der Verkehrsvertrag lässt dies zu.“
Aber eins machte Thomas Dienberg in der Ratsversammlung am 5. Juli auch deutlich: Wenn der Bund nicht deutlich mehr Geld an alle regionalen Zweckverbände gibt, wird es im Schienennahverkehr eng. Und gerade das wolle in Leipzig niemand, dass es langfristig tatsächlich auf Angebotsreduzierungen im S-Bahn-Betrieb hinausläuft. Immerhin geht es auch hier um die Mobilitätswende: Es müssten viel mehr Menschen mit einem dichter vertakteten S-Bahn-Angebot fahren können.
Keine Kommentare bisher
Wobei man ja feststellen muss, dass die Streichungen eh nur den jetzigen Zustand fixieren. Die ständigen Ausfälle erreichen ja bereits diesen Takt.