Recht grimmig klang es, als die Linksfraktion im Stadtrat zur Ratsversammlung am 5. Juli anfragte, welche Gründe es eigentlich hatte, dass das neue Mitteldeutsche S-Bahn-Netz nun ein Jahr später startet und auch noch Fahrtakte in den Abendstunden ausgedünnt werden. Doch so manches, was bis dahin in diversen Medien kolportiert worden war, trifft so nicht zu. Die Stadt hat vor allem den ZVNL ausführlich darauf antworten lassen.
„Die verspätete Ausschreibung zog nach allgemeinen Marktkenntnissen eine erhebliche Verzögerung der Beschaffungsaktivitäten für Fahrzeuge nach sich, das heißt, dass zum Bekanntmachungszeitpunkt der Ausschreibung den Verantwortlichen der Verkehrsunternehmen bereits klar war, dass eine rechtzeitige Fahrzeugbeschaffung zu vertretbaren Preisen zum Fahrplanwechsel/Vertragsbeginn Dezember 2025 nicht mehr zu erreichen war“, hatte die Linksfraktion in den Raum gestellt.
„Wegen einer vergaberechtlichen Rüge vom 8. März 2022 erfolgte die Verlegung der Inbetriebnahme des MDSB2025plus um ein Jahr. Zugleich änderten die Fahrzeughersteller aufgrund der Lieferkettenproblematik (Pandemiefolgen) sowie des erhöhten Bestellaufkommens und der Inflationsfolgen in zwei größeren Schritten die Fahrzeugpreise.“
Aber dagegen verwahrte sich in der Antwort die Geschäftsführung des Zweckverbands für den Nahverkehr Leipzig (ZVNL): „Grundsätzlich wurden die Gremien des ZVNL sowie das sogenannte Arbeitsgremium jederzeit in den Ausschreibungsprozess eingebunden. Die Geschäftsstelle des ZVNL hat sich darüber hinaus nicht verweigert, im Detail auch mit einzelnen Verbandsmitgliedern das Vorhaben zu erörtern.
Bei der Einordnung des Vergabeverfahrens hinsichtlich der Komplexität und des organisatorischen Aufwands muss beachtet werden, dass drei sächsische Aufgabenträger und drei Bundesländer an dem Verfahren beteiligt sind und es sich um einen der deutschlandweit größten Verkehrsverträge handelt. Die Harmonisierung der Gremienläufe und Entscheidungen sowie die Abstimmung der Mindestanforderungen dauert in einem solch umfangreichen Projekt für gewöhnlich Jahre und nicht Wochen.
Bei einem so großen Auftragsvolumen sind zudem umfassende Sorgfalt und Genauigkeit geboten, wofür entsprechende Zeiträume nötig sind.“
Das aufgebauschte Fahrzeugproblem
Und dazu kam dann auch noch eine neue Strecke, die mit den vorhandenen Zügen nicht befahren werden kann: Es handelt sich um die Stecke nach Grimma und Döbeln. Sie ist nicht elektrifiziert. Hier brauchte es also eine völlig neue Antriebstechnologie, um sie endlich ins S-Bahn-Netz einbinden zu können.
„Die im Jahr 2009 gescheiterte Einbindung der Strecke nach Grimma/Döbeln bedingte auch den Einsatz völlig neuer Antriebstechnologien, deren Systementscheidung detailliert herzuleiten war. Es konnte hier nicht auf Erfahrungen zurückgegriffen werden, weshalb eine umfangreiche Studie (VinnoMir) mit fünf externen Fachgutachtern aller Fachgebiete beauftragt wurde“, erläutert der ZVNL.
„Der förmliche Schlussbericht lag zum 30.06.2021 vor, die Ergebnisse mussten in den Ausschreibungsmodulen finalisiert und einvernehmlich mit allen Aufgabenträgern abgestimmt werden. Insofern kann nicht von einer Verspätung gesprochen werden.“
Das war also das einzige wirkliche Fahrzeugproblem im neuen Netz.
Ansonsten werden die bekannten Traktionen auch ab 2026 weiter rollen, so der ZVNL: „Mit Beginn der Ausschreibung im Dezember 2021 wurde durch keinen Bieter angezeigt, dass ein Inbetriebnahmetermin wegen nicht zeitgerechter Lieferung der Fahrzeuge zum Dezember 2025 nicht möglich sei. Mit Veröffentlichung der Unterlagen haben sich auch alle bekannten Fahrzeughersteller zum Verfahren angemeldet und hatten somit Zugang zu allen Ausschreibungsunterlagen. Außerdem war ausdrücklich der Einsatz von Gebrauchtfahrzeugen zulässig, so dass hier ohnehin jene aus der MDSB I-Flotte (51 Fahrzeuge) vorhanden sein mussten.
Auch dies zeigt, dass die in der Anfrage geäußerte Vermutung, zum Zeitpunkt der Bekanntmachung sei eine rechtzeitige Fahrzeugbeschaffung bis Dezember 2025 zu vertretbaren Preisen bereits nicht mehr möglich gewesen und dies entspräche einer allgemeinen Marktkenntnis, so nicht gegeben war. Erst im Verlauf des Verfahrens wurde aufgrund der Anpassung einzelner Anforderungen in Folge von Bieterrückfragen und zur Verbesserung des Wettbewerbs zwischen den Herstellern die Angebotsfrist verlängert und eine Verschiebung der Betriebsaufnahme initiiert, um den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Risiken abnehmen zu können.“
Preissprünge sprengten 2022 den Ausschreibungsetat
Doch was sich noch Anfang 2022 so gut anließ, geriet dann im Lauf des Jahres in die heftigen Marktentwicklungen, die das Jahr 2022 kennzeichneten: „Die Entwicklung des Fahrzeugmarktes ließ zudem mit Auslaufen der Pandemiebeschränkungen eine positive Entwicklung hinsichtlich Lieferkettenproblematik und Inflationsfolgen erwarten. Erst nach Beginn des Ukrainekriegs Ende Februar 2022 und verstärkt ab Mitte 2022 wurde erkennbar, dass es zum anhaltenden Zusammenbruch und Schaffung neuer Lieferketten kommen würde.
Durch die Sanktionen zu Gaslieferungen kam es in dessen Folge zu sehr drastischen Erhöhungen des Energiepreises und weiterhin zu sprunghaften Preiserhöhungen in allen Bereichen sowie zu einer Erhöhung der Lohnkosten. Dies stellt ein außerordentliches neues Ereignis dar, das mit Beginn der Ausschreibung am 15.12.2021 nicht vorhersehbar war. So war in Sachsen auch die Ausschreibung zum Elektronetz Oberelbe ENOE (federführend ist der ZVOE in Dresden) betroffen.“
„Die Fortschreibung des Erwartungswertes und der Erlösprognose von 2021 wurden zugrunde gelegt. Diese wurden nunmehr in juristischer Instanz durch die 1. Vergabekammer in Sachsen geprüft und bestätigt“, geht der ZVNL auf die grundlegende Kostenplanung für das neue Netz ein.
„Der ZVNL verfügt über ein Budget von 104 Millionen Euro jährlich (Plangröße 2027) für das MDSB2025plus-Netz, was 93.317.388 Euro im Preisstand 2022 entspricht. Dem kommen entsprechende Erlöse von ca. 40,638 Millionen Euro (Realwert 2021) hinzu, die aufgrund der neuen Tarifprodukte und der damit vorhandenen Unsicherheit der Erlösentwicklung nicht höher dynamisiert wurden. Damit können die kalkulierten Kosten des Vertrages in Höhe von 144 Millionen Euro (Plangröße 2027) bewältigt werden.“
Ohne weiteres Geld vom Bund wird es nicht gehen.
„Die aktuelle und unerwartete Preisentwicklung wurde durch den Bund als solche anerkannt und mit der 8. Änderung zum RegG zusätzliche Mittel für Mehrkosten bis zum Jahr 2031 bereitgestellt. Über die 11. Änderung zur ÖPNVFinVO werden diese für die Jahre 2022/2023 an die sächsischen Zweckverbände weitergereicht. Es wird angenommen, dass diese zusätzlichen Zuwendungen auch in den Folgejahren realisiert werden. Bis zum heutigen Zeitpunkt liegt keine verbindliche Zusage zur Erhöhung finanzieller Zuwendungen an die Zweckverbände in Sachsen vor“, so der ZVNL.
Gespart wird bei Zugkilometern
Weil aber in der ersten Ausschreibungsrunde 2022 „das Angebot aus dem offenen Verfahren deutlich über dem Erwartungswert aller Bieter lag“, musste der ZVNL in der neuen Ausschreibungen dann einige Angebote reduzieren.
„Gegenüber der ersten Ausschreibung im offenen Verfahren wurden insgesamt 235.000 Zugkilometer reduziert. Für das Verhandlungsverfahren war diese Optimierung auch vor dem Hintergrund einer späteren Zubestellung – falls weitere finanzielle Mittel dem ZVNL und den Nachbaraufgabenträgern zugewiesen werden – sinnvoll.“
Diese Anpassung war dann selbst der Tagesschau eine Meldung wert, denn das sorgt so schön für Aufregung, wenn man titeln kann „Länger Warten auf die S-Bahn in Leipzig“.
Auf welchen Linien der Fahrtentakt ab 20 Uhr ausgedünnt wird, fasst der ZVNL so zusammen:
S1 – vier Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr)
S3 – drei Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr), Halbstundentakt zwischen Halle und Borna bis 20 Uhr
S4 – drei Fahrtenpaare nach 20 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 20 Uhr),
S5/S5x keine Anpassungen,
S6 – fünf Fahrtenpaare Leipzig Messe – Leipzig Stötteritz nach 19 Uhr gestrichen (Stundentakt ab 19 Uhr),
S10 – keine Änderung, Ausschreibung von 8 Fahrtenpaaren Leipzig Hbf oben – Schkeuditz
Gerade diese Leistungskürzungen interessieren aber die Linksfraktion besonders.
„Es ist zu beachten, dass tatsächliche Leistungsanpassungen des Vertrages erst mit Betriebsaufnahme Dezember 2026 wirksam werden und in dieser Fragestellung nur der dem Vergabeverfahren zugrundegelegte Musterfahrplan Gegenstand der Diskussion sein kann“, so der ZVNL.
„Es wird hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verkehrsvertrag so gestaltet ist, dass zukünftig Zu- und Abbestellungen jederzeit möglich sind und diese Zubestellungen bei einem finanziellen Mittelaufwuchs wie auch durch finanzielle Einsparungen machbar sind.“
Wie schafft man so die Mobilitätswende?
Aber gerade dieser Vorgang macht eben auch deutlich, wie eng das finanzielle Korsett des ZVNL tatsächlich ist. Und dabei möchte man dort tatsächlich einen echten Beitrag zur Mobilitätswende leisten. Aber das gelingt nun einmal nicht, wenn die zugewiesenen Regionalisierungsmittel gerade für das Nötigste reichen.
„Um die Mobilitätswende zu erreichen und das Nachhaltigkeitsszenario umzusetzen, hat der ZVNL eine sehr umfangreiche Betriebsprogrammstudie durch DB Netz erstellen lassen, die bereits den Fernverkehr ab 2024 mit betrachtet. Aktuell wird ein technisch möglicher Leistungsaufwuchs durch die Begrenzung der finanziellen Mittel an den ZVNL und auch an die Nachbaraufgabenträger gebremst“, betont der ZVNL.
„Weiterhin ist bereits im Bestandsnetz die sehr prekäre Lage insbesondere bei der Verfügbarkeit an Triebfahrzeugführern ein limitierender Faktor. Die EVU unternehmen hierzu umfangreiche Maßnahmen zur Personalgewinnung. Mit Unterstützung des Landkreises Nordsachsen wird beispielsweise die Berufsschule in Schkeuditz mit Schwerpunkt Eisenbahnwesen weiterentwickelt. Durch das hohe Ausbildungsniveau und Einbindung in die Region sind hier für die örtlich agierenden EVU positive Effekte zu erwarten.
Diese Voraussetzungen, kombiniert mit einer langfristigen Vertragslaufzeit für das MDSB2025plus-Netz bis 2038, können dazu beitragen, die Mobilitätswende zu verwirklichen und das Nachhaltigkeitsszenario umzusetzen.“
Berechtigte Sorgen um die Pendler
Aber was wird dann mit den vielen Ein- und Auspendlern, die auch mit der S-Bahn unterwegs sind? Diese Frage bewegte die Linksfraktion ja besonders, seit die Tagesschau munter unter ein S-Bahn-Foto schrieb: „Die S-Bahn in Leipzig muss sparen und der Passagier muss warten.“
Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk beherrscht das Schüren von Emotionen mittlerweile genauso gut wie die Boulevardzeitungen. Die Tagesschau ließ dann auch gleich noch die suggestive Frage folgen „Scheitert die Mobilitätsstrategie in Leipzig?“
Als wenn das ausgerechnet in Leipzig entschieden wird und nicht in Ministerien in Dresden und Berlin, wenn es um die Finanzierung des Regionalverkehrs geht.
„Die obengenannten Kürzungen haben immer im Blick gehabt, dass die Reisenden möglichst wenig Einschränkungen treffen, bzw. Beförderungsalternativen zur Verfügung stehen“, betont die Antwort an die Linksfraktion. „Leipzig hat täglich rund 73.700 Aus- und 103.300 Einpendler. Diese große Nutzergruppe ist kaum von den Leistungskürzungen betroffen, durch die nur in den Abendstunden der Takt ausgedünnt, aber der Verkehr nicht eingestellt wird. Die Betriebszeit bleibt gewahrt.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Einkürzungen erst ab Dezember 2026 in Kraft treten und alle Aufgabenträger bis dahin bemüht sind, zusätzliche Mittel einzuwerben. So kann spätestens mit der im März 2026 erfolgenden Fahrplanbestellung 2026/2027 ein erweitertes Verkehrsprogramm bestellt werden. Der Verkehrsvertrag lässt dies zu.“
Nur das Geld muss dazu zur Verfügung stehen. Denn eins dürfte auch nach fünf Jahren Mobilitätsstrategie 2030 im Leipzig klar sein: Man bekommt nun einmal nicht mehr ÖPNV, wenn man nicht mehr Geld investiert.
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Also nichts mit Auto abschaffen, es wird auch nach 2026 gebraucht.