Gerade einmal drei alte Tatra-Wagenzüge, so bemerkte Ronald Juhrs von den LVB, waren am frühen Freitagmorgen noch auf Leipzigs Straßenbahnschienen unterwegs – und die Ära der alten Tatra-Bahnen dürfte bald Geschichte sein: Besucher des Stadtfestes können noch bis Sonntag ein Modell der künftigen Leipziger Tram-Generation XXL bestaunen, die in zwei Jahren in den Linienbetrieb gehen soll. Um Feedback wird ausdrücklich gebeten.

Das Design erinnert zunächst an die typischen, modernen Wagenzüge der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), doch sind einige Verbesserungen angekündigt: Am Freitag, dem 2. Juni, enthüllten die LVB auf dem Augustusplatz feierlich ein erstes Modell der nächsten Tram-Generation namens „XXL Plus.“

Ein weiterer Schritt vom allmählichen Abschied der alten Tatra-Wagen, deren Zeitalter in Dresden übrigens schon am Samstag zu Ende geht.

Neues Modell bietet mehr Platz und technische Neuerungen

Das Modell der neuen Straßenbahnen ist ein aufwendig gebautes, sogenannte Mock-up auf Holzbasis, das zum Stadtfest auf dem Augustusplatz zu sehen sein wird. Es liefert einen Eindruck, wie der ÖPNV der Zukunft in einer wachsenden Stadt wie Leipzig aussehen könnte: Mit einer Länge von 45 Metern pro Wagenzug und einer Breite von 2,40 Metern – letzteres ein Novum – sollen 25 Prozent mehr Platzkapazität auf den Linien herrschen, sagte Ronald Juhrs, LVB-Geschäftsführer für Technik und Betrieb, bei der Vorstellung des Modells am Freitag.

Fünfergruppe von Männern.
V.l.n.r.: Marc Backhaus (LVB-Sprecher), Thomas Dienberg (Baubürgermeister), Ronald Juhrs (LVB-Geschäftsführer Technik und Betrieb), Bernd Flaskamp (Geschäftsführer HeiterBlick GmbH) und Stefan Scharbius (Projektleiter) vor dem verhüllten Modell. Foto: Lucas Böhme

Daneben ist ein hochmoderner Arbeitsplatz für die Fahrerinnen und Fahrer der LVB vorgesehen, bei dem Kameras rundum gestochen scharfe Aufnahmen ins Fahrerhaus liefern, eine innovative Fahrzeugsteuerung Energie einspart und ein Assistenzsystem das Fahrpersonal unterstützt.

Auch bislang eher benachteiligte Nutzergruppen sollen bessere Berücksichtigung finden, indem zum Beispiel Vorbehaltsflächen für Rollstühle und Kinderwagen in den Bahnen erfasst und angezeigt werden. Eine Klimatisierung ist ebenfalls vorgesehen. „Wir sind stolz, dass es ein gemeinsames sächsisches Projekt ist“, so Ronald Juhrs am Freitag.

Millionenschwere Kooperation in Sachsen

Denn die Bestellung der neuen Fahrzeuge realisieren die LVB im Rahmen des Projekts „Sächsische Plattform – Straßenbahn der Zukunft“ gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben in Zwickau und Görlitz, was bei den Einmal- und Entwicklungskosten viel Einsparpotenzial bietet. Im Dezember 2021 war ein Liefervertrag zwischen den drei Verkehrsunternehmen und dem Herstellerkonsortium LEIWAG (bestehend aus dem Stadt- und Straßenbahnhersteller HeiterBlick GmbH und Kiepe Electic GmbH) unterzeichnet worden. Dabei sollen die neuen Fahrzeuge im Beschaffungsprozess weiterentwickelt und dafür die aktuellsten Innovationen mit genutzt werden.

Der Freistaat Sachsen fördert das Vorhaben mit 68 Millionen Euro für die ersten 25 XXL-Trams. Die Planungen reihen sich in die 2018 vom Stadtrat beschlossene Mobilitätsstrategie zum Ausbau des ÖPNV ein.

„Wahrlich keine einfachen Zeiten für den ÖPNV“

In seinem Grußwort bei der Präsentation des Mock-ups hob Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) stark auf diese Mobilitätswende ab, die längst in vollem Gange sei, auch wenn manche Debatten darüber hinwegtäuschten. Immerhin, so war zu vernehmen, sollen bis Ende 2023 20 Prozent der Leipziger Omnibusse elektrisch sein. Mit einem Mix aus Fußverkehr, Radverkehr und einem gut aufgestellten ÖPNV könne die Transformation bewältigt werden, so Dienberg, der zugleich aber einräumte: „Es sind wahrlich keine einfachen Zeiten für den ÖPNV.“

Denn die Nachwirkungen der Corona-Zeit schlagen für die LVB ebenso durch wie die Krisen auf der Welt. Ein hoher Krankenstand bei Fahrerinnen und Fahrern, Einnahmeverluste, Inflation und Planungsverzögerungen setzen den LVB massiv zu. Die drastischen Folgen massiv gestiegener Kosten zeigen sich etwa bei den Bauvorhaben Landsberger Straße und Zeppelinbrücke. Neben der Sorge um die Infrastruktur ist auch die Frage der Personalgewinnung ein Dauerbrenner. Permanent werden neue Fahrerinnen und Fahrer gesucht, doch die Zahl der Bewerbungen deckt den Bedarf bei Weitem nicht ab, so LVB-Sprecher Marc Backhaus gegenüber der LZ.

Erster regulärer Einsatz in zwei Jahren geplant

Wohl auch deswegen werben die LVB beim anstehenden Stadtfest um Jobinteressenten, die sich, gern als Neueinsteiger, einen Wechsel in die Fahrerkabine vorstellen können. Bis Sonntag kann der moderne Fahrerarbeitsplatz der Zukunft im XXL-Modell auf dem Augustusplatz bestaunt und auch mal probegesessen werden, vorne und im Fahrgastraum. Der erste Andrang am Freitag zeigte, dass das Interesse an den neuen Bahnen offenbar schon einmal vorhanden ist. Das Feedback des Fahrpersonals hatte es schon gegeben, bevor das Modell der neuen Bahnen nun der Öffentlichkeit präsentiert wird.

25 davon sind für Leipzig bestellt, geplant werden perspektivisch aber 55 weitere für die Messestadt. Abhängig vom Wachstum Leipzigs habe man sich für die Zukunft sogar Optionen auf bis zu 100 Züge gesichert, sagte Geschäftsführer Ronald Juhrs.

Und wann ist es endlich so weit? Die Testphase der neuen Wagen soll planmäßig Ende des Jahres 2024 beginnen. Bei erfolgreichem Zulassungsprozess, so Juhrs, sei man optimistisch, dass ab Mitte 2025 der erste XXL-Wagenzug regulär durch die Stadt rollt, zuerst auf der Linie 16.

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Es gibt 12 Kommentare

Wieder super durchdacht! Echt ne schöne dicke Kante am Einzelsitz, damit der Gang auch ja nicht einen Zentimeter breiter wird 🙂
Die Vierersitze sind dafür hoffentlich jetzt auch durch vier Erwachsene bequem zu besitzen (I doubt).

> “Zum Beispiel seien dann vier Sitzplätze pro Reihe möglich, statt bislang nur drei.”
Es war gestern auf Drehscheibe online zu sehen, was an Sitzen so kommt. Etwas nach unten scrollen, dann sieht man, wie die zehn Zentimeter extra, für die das Netz umgebaut wird und wurde, in Fahrzeug genutzt wurden…
https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?005,10454698

@Tobias
Guck dir mal die Taktung in Berlin an. Die Metrolinien fahren durch sehr dicht bebautes Gebiet. Sobald es aber etwas mehr Leipzig ähnelt, bist du bei einem 20er-Takt, teils schlechter. Durch Überlagerung von Linien sind es dann oft 6 Fahrten/Stunde in Berlin, in Leipzig 12 bis 15 Fahrten.

Ja, sehr geehrter User “Tobias”, die LVB haben anscheinend ausgeschlossen, die Taktung zu verkürzen. Vermutlich mit dem simplen Argument, daß das erforderliche Personal nicht zu bezahlen sein würde (mal abgesehen davon, daß man die neuen superlangen Bahnen nicht zerteilen kann, um ggf. auch kürzere Züge dann öfter fahren lassen könnte). Großstädte von Format wissen, daß es zunächst auf eine höchstmöglich enge Taktung ankommt, und erst dann kommt ggf. noch ein Anhänger dran.

Die LVZ schrieb vor ca. 4 Jahren: “Bereits mit der nächsten Bestellung von Straßenbahnen … würden 2,40 Meter breite Wagen geordert. Das sind zehn beziehungsweise 20 Zentimeter mehr als bei den bisher in der Messestadt eingesetzten, unterschiedlichen Typen. ‘Zehn Zentimeter klingt nicht viel’, sagte Dubrau. Doch die Menge der Fahrgäste könne dadurch um bis zu 25 Prozent steigen. Zum Beispiel seien dann vier Sitzplätze pro Reihe möglich, statt bislang nur drei.” Daß man bei einer Verbreitung von 2,30m auf 2,40m einen vierten Sitz unterbringen könnte, hätte Jens Rometsch damals auch mit Blick auf die Statur von Dorothee Dubrau eigentlich sofort als absurd auffassen müssen. Und selbst mit dem Tatra-Maß (und vermutlich aller Bahnen zuvor) von 2,20m als Bezug komme ich nur auf 12/11, und das sind nicht mal 110%. Um auf 125% zu kommen, muß man auch die Kürze der alten Bahnen betrachten, aber die PR gebietet einfach, daß man Äpfel und Birnen zusammenwirft, und derlei führte schon gemäß meiner Mathelehrerin Ute Gebauer (1937-2022) zu Kompott.

Bei Einführung der Linie K anno 1897 gab es acht Fahrten pro Stunde: https://www.leipzig-lexikon.de/VERKEHR/ST_AP.HTM Unsere Vorfahren wußten sozusagen, was gut ist, auch und gerade, weil vermutlich jeweils nur ein Wagen ohne Anhänger fuhr. Für die knapp 9km von der Taborkirche zum Torgauer Platz war knapp eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Dafür hat man ca. 14 Triebwagen benötigt (mit Fahrer und Schaffner).

Tempi passati.

Was ich mir viel lieber wünsche als irgendwelche Design-Straßenbahnen ist, dass ein großstadttauglicher Takt etabliert wird mit Trams alle 5 Minuten und Busse maximal aller 10 Minuten zu den Hauptverkehrszeiten. Gute Umstiegsmöglichkeiten und Linienwege ebenfalls.
Aber die LVB setzen ja eher auf das Gegenteil.

Die neuen Bahnen werden 2025 auf der 16 die XL ersetzen und ab 2027 auf der 15 hoffentlich einsetzbar sein. Auf der 16 wird sich die Kapazität dadurch deutlich erhöhen, auf der 9 oder 12 auch, weil dort die NGT8 durch XL ersetzt werden.
Ob Tatra ersetzt werden oder nicht: Es kommt mit den neuen Bahnen ab 2025 zu einer deutlichen Erhöhung der Gesamtkapazität im Liniennetz. Auch wenn es im direkten Vergleich nicht so aussieht.

Ich sehe auch keine Klimaanlage, die im Text erwähnt würde. Oder wenigstens eine leistungsfähige Lüftungsanlage. Etwas, was eine Anschaffung für die nächsten 20, 30 Jahre haben sollte. Was alle seit den 80ern neu angeschafften Fahrzeuge in Stuttgart haben. Ich sag es ja nur.

Witzig auch, dass zwar betont wird, daß kaum noch Tatras in Leipzig fahren, aber dann genau diese Großzüge als Vergleichsnormal für eine Prozentrechnung “auf unseren Linien” herhalten sollen.
Eigentlich hat man ja dann irgendwann mehrere hundert Prozent mehr Kapazität als bei den “alten Rumpelbahnen” (danke an den Autor für die Änderung, es ist am Ende einfach eine Frage der Pflege und Wartung von Gleis und Fahrzeugen)…
Wer unrumpelige alte Fahrzeuge sehen will, kann heute nach Dresden fahren zum Tatra-Abschied.

Eine Frage rein aus Neugier: Sind die Busse auf der Linie 60 so belastet, dass der Neubau einer Straßenbahn wirklich angezeigt ist? Leipzig hat ja deutschlandweit gesehen ein eher sehr großes Gleisnetz, was unterhalten werden will.

@Rudi und @Sebastian
ja, auf der Vorstellung des Nahverkehrsplanes vor 5? Jahren sagte der Sprecher der LVB, dass sich die 25% auf die Tatras beziehen. Wobei die Gewinne da vor allem über die Durchgängigkeit erzielt werden. Ich stimme hier voll zu, dass die 25% völlig irreführender Marketingsprech ist, denn geschätzt ~22% mehr Platz als eine Tatra haben dann auch die XXLer mit 2,30m Gleismittenabstand.
Aber das passt doch völlig ins Bild der LVB:
– lieber keine sinnvollen Anschlüsse oder Verlängerungen von Buslinien, am Ende könnte da noch Bedarf erzeugt werden
– Neubauten Fehlanzeige.
– über Jahre versäumt genug Personal zu finden, bzw. mit unterdurchschnittlicher Bezahlung vergrault.
Als besonderes Schmankerl möchte ich an die “virtuellen Gleise” erinnern, die Herr Middelberg perspektivisch auf der Südsehne sah.

@Lucas
Der Bezug sind die Tatra-Großzüge, die Leipzigs ÖPNV über 5 Jahrzehnte maßgeblich geprägt haben. Die neuen Bahnen bieten ca. 25% mehr Platz als ein Tatra-Gr0ßzug

Hallo Sebastian,

danke für Ihren Kommentar und Ihre Hinweise.

Ohne auf jedes Detail einzugehen: Bezüglich der Tatras hatte ich schon die Assoziation eines Rumpelns (im Vergleich zum verhältnismäßig sanften Fahrgefühl neuerer Modelle), ich weiß nicht, ob wir vom Gleichen reden? In Sachen Platzkapazität sprach Roland Juhrs von “25 Prozent mehr Platzkapazität auf unseren Linien.” Hier war die Formulierung des Textes in der Tat möglicherweise missverständlich und wurde entsprechend geändert.

> “Mit einer Länge von 45 Metern pro Wagenzug und einer Breite von 2,40 Metern – ein Novum – sollen 25 Prozent mehr Platzkapazität in einer Bahn herrschen, sagte Ronald Juhrs […]”
Der bisher größte Triebzug der LVB hat ebenfalls eine Länge (über Kupplung) von etwa 45 Metern und ist 2,30 m breit. Er hat 106 Sitz- und 160 Stehplätze.
Wenn man ihn um eine Hand breit seitlich vergrößert, dann kommt eine Grundflächenerhöhung von 4-5 % raus. Selbst wenn einige der überbreiten Einzelsitze nun zu einer echten 2+2-Bestuhlung umgewandelt werden, wie soll dabei 25 % mehr Beförderungskapa herauskommen? Vor allem, wenn noch Sitzplätze für Rollstühle und, richtig “gut” gedacht, FAHRRÄDER wegfallen? Hat man eventuell die Stehplatzdichte erhöht? Und dabei angenommen, dass die Freifläche für Räder dann nicht durch Räder oder Kinderwagen, sondern durch dicht stehende Passagiere benutzt wird?
Es ist gut, wenn in neue Fahrzeuge investiert wird, aber ich hab die leise Vermutung, dass hier etwas hochgejubelt wird, was mal wieder ein nicht zuende gedachter Wurf ist. In der anderen sächsischen Großstadt werden auch gerade überbreite Straßenbahnen angeschafft, dort aber nicht nur eine Hand breit breiter, sondern 35 cm breiter. Und dafür wurde und wird das Netz seit Jahren umgebaut. Nicht für 10 cm.

Auch die Gestaltung des Arbeitsplatzes ist richtig ergonomisch. Hat Heiterblick hier selbst Hand angelegt? 13 Taster auf einem Haufen in einem Rechteckraster, unterteilt in ein paar Farben und Piktogramme. Aus meiner Sicht nicht das, was man im Jahr 2023 unter Arbeitsergonomie versteht.

> “die Ära der alten Rumpelbahnen dürfte bald Geschichte sein”
Werden der Leoliner und der Niederflurbeiwagen etwa auch ausgemustert? Tatras “rumpeln” eigentlich nicht; eventuell hat der Autor hier etwas verwechselt.

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