Am Ende gab es sogar noch einmal richtig Lob für Leipzig als Stadt des Wandels. Ein Wandel, der sich jetzt zunehmend auch im Verkehrsraum bemerkbar macht. Denn die Zukunft der Städte wird eine der wirklich smarten Verkehrsarten sein. Und das Fahrrad wird dabei eine ganz zentrale Rolle spielen. Auch dafür setzte die Velo-city 2023, die am Freitag, 12. Mai, zu Ende ging, ein Zeichen.

„Leipzig hat eine lange Geschichte im Bereich ‚Leading the Transition‘“, sagte zum Abschluss Jill Warren, Geschäftsführer der European Cyclists Federation (ECF), welche die Velo-city veranstaltet. „Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht an die zentrale Rolle Leipzigs beim Fall der Berliner Mauer vor 34 Jahren. Daher ist es sehr passend, dass Leipzig jetzt an der führenden Stelle der Städte steht, die einen grünen Wandel anstreben. Die Stadt bewegt sich weg von einer autozentrierten Denkweise, hin zur Klimaneutralität und zu mehr Lebensqualität für ihre Bürger und Bürgerinnen.“

Das war ein direktes Lob für die langsam sichtbar werdenden Veränderungen gerade im Leipziger Radnetz, die auch während der Velo-city zu erleben waren.

Mit über 1.500 Teilnehmern am Weltradgipfel, einem Programm mit über 80 Veranstaltungen und mehr als 430 Rednern und Rednerinnen aus aller Welt, hat Leipzig diese Woche auch aus Sicht des ECF Velo-city-Geschichte geschrieben.

Das Lob in einem Satz: „Die Gastgeberstadt Leipzig ist eine der grünsten und zukunftsorientiertesten Städte Europas und damit ein idealer Ort, um Wissen auszutauschen, Innovationen vorzustellen und Maßnahmen zur Förderung des Radfahrens als sicheres, gesundes und nachhaltiges Verkehrsmittel anzuregen.“

Ziel: fahrradfreundliche Städte

Und auch aus Sicht der ECF verdeutlichte die Konferenz die ehrgeizigen Bemühungen Leipzigs, den städtischen Raum umzugestalten und nachhaltigen Verkehrsmitteln wie dem Radfahren, dem Zufußgehen und dem öffentlichen Nahverkehr Vorrang einzuräumen.

Die Velo-city 2023 sei deshalb auch nicht nur eine Plattform für den Wissensaustausch gewesen, „sondern auch ein Katalysator für Maßnahmen, der die Teilnehmer dazu inspirierte, sich in ihren jeweiligen Gemeinden erneut für die Schaffung fahrradfreundlicherer Städte einzusetzen und dem nachhaltigen Verkehr als Mittel zur Förderung eines gesünderen, aktiveren und lebenswerteren städtischen Umfelds Vorrang einzuräumen.“

„Ich war begeistert von der tollen Atmosphäre hier. Man spürt den positiven Geist und das Engagement“, lobte auch Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig. „Ich bin mir sicher, dass die Radfahrergemeinschaft eine ganz besondere ist: sehr offen, freundlich und meist lächelnd. Leipzig ist stolz darauf, Gastgeber der Velo-city gewesen zu sein. Und Leipzig wird eine Velo-city bleiben. Nachhaltige Stadtentwicklung kann sich nur an den Menschen orientieren. Wir bauen unsere Städte für die Menschen – menschenfreundliche Städte.“

Ein Manifest für das Radfahren

Velo-city hat eine lange Tradition darin, Politiker und Entscheidungsträger zu Investitionen in den Radverkehr zu inspirieren. Auch in diesem Jahr unterzeichneten Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus 16 Städten eine Erklärung, die das Radfahren zu einem vollwertigen Verkehrsmittel für alle machen soll.

Denn darum geht es ja, wenn Städte tatsächlich einmal fahrradfreundlich werden sollen. Während vor allem niederländische Städte schon einen jahrzehntelangen Vorlauf bei der Schaffung fahrradfreundlicher Strukturen haben, sind die meisten deutsche Städte noch immer autogerecht und gerade der motorisierten Bevölkerung fällt es schwer, die positive Entwicklung im Radwegenetz zu akzeptieren.

Der Erklärung zufolge wird das Radfahren in den Städten zu einem vollwertigen Verkehrsmittel, wenn ein zunehmender Anteil der öffentlichen Mittel für die Förderung des Radverkehrs eingesetzt wird, wenn in den Städten eine hochwertige und sichere Radverkehrsinfrastruktur gebaut wird, wenn mehr Anreize für das Radfahren im Verkehr, in der Freizeit und im Tourismus geschaffen werden.

Und natürlich, wenn die Behörden Maßnahmen ergreifen, um den Straßenraum gerecht zu verteilen und dabei nachhaltigen Verkehrsträgern wie dem Radfahren, dem Zufußgehen und dem öffentlichen Nahverkehr Vorrang einzuräumen, während gleichzeitig das Verkehrsaufkommen und die Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs verringert werden.

Nächster Halt: Velo-city 2024 Gent

Das belgische Gent wird bei der nächsten Ausgabe von Velo-city im Jahr 2024 Gastgeber des Weltradgipfels sein. Die Konferenz in Leipzig endete mit der Übergabe der Velo-city-Flagge an die Gastgeberstadt des nächsten Jahres. Filip Watteeuw, stellvertretender Bürgermeister von Gent für Mobilität, öffentlichen Raum und Stadtplanung, nahm die offizielle Velo-city-Flagge entgegen. Die Fahne wird nun auf eine über 700 km lange Reise gehen und von Leipzig nach Gent transportiert. Per Fahrrad, versteht sich!

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Es gibt 2 Kommentare

Mir fällt plötzlich ein Versehen in meiner Erzählung auf, mein Erlebnis mit dem Pulk von Radlern war bereits am Freitag letzter Woche, dem letzten Tag von Velo-city, nicht erst am Sonnabend, wo ich allerdings ebenfalls bei “Tante Rosi” eingekehrt war.

Nichts, liebe Redaktion, spricht gegen Radfahren, zumal es in Leipzig schon lange und inzwischen recht gut zu machen ist, abgesehen von bestehenden Einschränkungen, über deren Ausmaße geteilte Meinungen herrschen. Die zuende gegangene Veranstaltung mit dem Wortspiel-Titel “Velo-city 2023” mag sich so etwas wie “Mainstreaming the Bicycle” vorgenommen haben, was nicht in Gänze schlecht ist, aber irgendwie als Kampagne daherkommt, und ich selbst gucke staunend darauf und frage mich nach dem Woher und dem Wohin. In Leipzig hat es anscheinend allerlei Begleitveranstaltungen gegeben, etwa die mit dem Happening vor dem Hauptbahnhof, als Erwachsene sich auf Kommando auf die Fahrbahn legten, um mit einem so gebildeten Schriftzug allgemein “Tempo 30” innerorts zu fordern.

Seltsam in ähnlicher Weise sind große Gruppen von Radfahrerinnen und Radfahrern, die als Happening in der Stadt umherfahren, um sich zu zeigen und andere anscheinend animieren wollen, es ihnen gleichzutun. So saß ich am Sonnabend am frühen Abend versonnen plaudernd im Außenbereich meiner Lieblings-Spelunke “Tante Rosi” und wurde auf einmal schlagartig aus jeglichem Gedanken herausgerissen, als ein Lastenradler mit einem wummernden Monsterlautsprecher daherkam, der sich als Anführer von vielleicht weiteren 80 im Pulk fahren Leuten, allesamt auf Velos aller möglicher Bauformen, entpuppte. Entgeistert starrte ich auf die Menge und sah nicht etwa in fröhliche Gesichter. Nein, ich sah überwiegend Mißvergnügte, deren Zusammenhalt von einer Art Binnenmoral gefestigt zu sein scheint, die vermutlich darin besteht, Kfz zu verdammen und das Velo als conditio sine qua non für sich und alle anderen anzupreisen. Während der Wummerer sich mit weiteren Radlern in mehreren Runden unterbrechungsfreier Kreiselfahrt auf dem Kreisverkehr an der Industriestraße vergnügte, stockte der Zug etwas, ich machte etwa den Landtagsabgeordneten Marco Böhme von Die Linke auf einem Gefährt seiner Partei aus, oder den Veloenthusiasten Volker Holzendorf von B90/Die Grünen.

Nachdem ich langsam meine Entgeisterung ablegen konnte und mit meiner Begleitung das Erlebte reflektierte (ich mußte mir dazu umgehend ein weiteres großes Hausbier holen), zirkulierten meine Gedanken noch länger um das Warum. Warum fahren Erwachsene Leute zu Dutzenden im Pulk umher (braucht man dafür eigentlich eine Anmeldung oder Genehmigung)? Weil sie finden, Velofahren ist ansteckend und eine Kettenreaktion ist unausweichlich? Um sich ihrer selbst zu vergewissern? Um die Gäste der “Velo-city 2023” zu erfreuen? Um sich zu zeigen? Wegen des Distinktionsgewinns? Um Haß auf Kfz zu artikulieren?

Alle meine Großeltern, die zudem alle noch im 19. Jahrhundert geboren waren, fuhren schon zur Kaiserzeit regelmäßig mit dem Rad, meine Eltern (in Sonderheit meine Mutter, die in den Achtzigern noch als Rentnerin alle zwei Jahre neue Pneus brauchte, mein Vater war da schon unter der Erde) ebenso. Meine Familie fährt umfassend mit dem Rad. Und ich frage mich, wer das nicht tut. Es ist möglich, es war möglich, und es wird weiter und vermutlich an vielen Stellen besser möglich sein. Und es ist schon lange nichts Besonderes mehr.

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