Mit einer halbstündigen Rede leitete Oberbürgermeister Burkhard Jung am 17. Mai die verkehrspolitische Stunde im Stadtrat ein. Die war von einigen Ratsfraktionen gefordert worden, die mit der Umorganisation des Verkehrsraums für den Hauptbahnhof einfach nicht zufrieden sein wollten und daraus eine prinzipielle Diskussion über die Leipziger Verkehrspolitik machen wollten. Jung machte mit acht Thesen klar, dass die alte Verkehrspolitik in Leipzig so keine Zukunft haben kann.
Dabei ging er auf die hundertjährige Vorgeschichte dessen ein, was heute als autogerechte Stadt nicht nur in Leipzig zu erleben ist. Denn die Erfindung des Autos, das vor 100 Jahren zum Massenverkehrsmittel zu werden begann, hat die Stadt verändert.
Und zwar so sehr, dass viele heute in diesen Städten Lebenden sich gar nicht mehr vorstellen können, wie eine Stadt aussehen könnte, in der nicht die Straßen mit Autos verstopft sind, egal, ob sie dort 23 Stunden am Tag parken oder fahren und den größten Teil des Verkehrsraums für sich beanspruchen.
Das Diktum der autogerechten Stadt
Dabei ging Jung auch auf die eigenen Planer ein, die dieses Primat des Autos in allen Verkehrsplanungen so verinnerlicht haben, dass sie sich dessen meist gar nicht mehr bewusst sind. Dieses Ideal der autogerechten Stadt werde „wie ein Diktum vor sich her getragen“, sagte Jung.
Manche verstanden da gleich ein Diktat des Autoverkehrs. Aber ein Diktum ist etwas anderes als ein Diktat. Ein geschulter Lehrer wie Burkhard Jung weiß das. Und wer es leugnet, dass Verkehrsplaner in Deutschland die autogerechte Stadt als Lehrmeinung gelernt haben und in ihrer täglichen Arbeit anwenden, der sieht tatsächlich nicht, wie unsere Städte genau deshalb so aussehen, wie sie aussehen.
Insbesondere nach 1945, als der Umbau der deutschen Städte zu autogerechten Städten so richtig Fahrt aufnahm, hat sich diese Sicht auf „Freiheit auf vier Rädern“ ausgebildet. Mit dem Ergebnis, dass gerade die schwächeren Verkehrsteilnehmer rücksichtslos an den Rand gedrängt wurden. Nicht nur das Radwegesystem in Leipzig hat lauter Lücken. Die Bedingungen für Fußgängerinnen und Fußgänger sind größtenteils noch unzumutbarer – Fußwege sind zu schmal oder kaputt oder zugeparkt.
Und an dieser Stelle benannte er ein Thema, das erst in den letzten Monaten so richtig auf den Tisch kam: die völlig unzureichende Arbeit des Leipziger Ordnungsamtes. Er habe sich die Zahlen von Dresden und Chemnitz angeschaut und könne nur feststellen, dass Leipzig beim Thema Verkehrssicherheit Schlusslicht sei. Absolutes Schlusslicht.
Es braucht eine gerechte Verkehrsraumaufteilung
Und besonders erschütternd fand er, dass die sächsische Polizei seit drei Jahren die Verkehrssicherheitsschulungen für die Schulkinder nicht mehr auf öffentlichen Straßen durchführt, weil sich selbst die Polizei nicht mehr zutraut, die Sicherheit der Kinder dabei zu gewährleisten.
Was auch mit einer zunehmenden Aggressivität im Verkehr zu tun hat, die auch in Leipzig zu beobachten ist – es wird gedrängelt, gehupt, bei Rot gefahren. Radfahrer nimmt er da gar nicht aus.
Wobei die Aggressivität eben auch damit zu tu hat, dass die Dominanz des Autoverkehrs überall für Konflikte, Engstellen und unüberschaubare Situationen sorgt. Auch für Kinder. Und Jung findet es natürlich unzumutbar, dass Kinder sich auf dem Weg zur Schule durch geparkte Autos drängeln müssen. Und er schaut dabei nach Paris, wo es längst selbstverständlich ist, dass Straßen vor Schulen nicht nur Tempo 30 verpasst bekommen, sondern für den Kfz-Verkehr komplett gesperrt werden.
Denn genau darum geht es: Straßen, die wieder den Menschen zurückgegeben werden, die Aufenthaltsqualität bekommen, wo man auf einer Bank sitzen kann oder im Freisitz. Wo auch Platz für Grün ist. Die Stadt der Zukunft ist für Jung eine, in der Menschen eben nicht in ihre Häuser und Wohnungen verbannt sind, weil die Straße ganz und gar dem Autoverkehr gehört. Wo wieder öffentliche Räume der Begegnung entstehen und damit wieder zu Orten der Gemeinschaft werden.
Die Konsequenzen eines nachhaltigen Mobilitätskonzeptes
Jung hat – anders als so mancher Stadtrat – das 2018 vom Stadtrat beschlossene nachhaltige Mobilitätskonzept weitergedacht in all seinen Konsequenzen, auch wenn die zentrale Aufgabe noch immer nicht gelöst ist: die Stärkung des ÖPNV. Weil dafür schlicht die Gelder fehlen und schon die Aufrechterhaltung des Status quo ein Kraftakt sei. Dabei entscheide sich die Zukunft des ÖPNV erst recht, wenn man endlich auch die Beziehungen ins Umland stärkt. Die habe man nämlich in der Vergangenheit sträflichst vernachlässigt, sodass eben viele Menschen mit dem Auto pendeln müssen, weil verlässliche Bus- und Bahnverbindungen fehlen.
Aber da könne es nicht die Lösung sein, wieder mehr Platz für den Autoverkehr zu schaffen.
Gerade die Neuorganisation des Verkehrs vorm Hauptbahnhof zeige ja, dass es das gar nicht braucht. Tatsächlich habe man mit der Neuordnung der Fahrbahnen für viel mehr Menschen mehr Sicherheit geschaffen und die Konflikte erheblich reduziert. Und Stau gäbe es auch nicht.
Seine Vision einer menschengerechten Stadt, in der auch und gerade die Innenstadt wieder zu Fuß erlebbar werden müsse, fasste er in acht Thesen, die er auch ausführlich erläuterte.
Die acht Thesen
Kurz zusammengefasst lauten sie:
These 1: Der öffentliche Raum muss den Zufußgehenden weitgehend zurückgegeben werden.
These 2: Gesundheit und Sicherheit müssen Vorfahrt haben.
These 3: Nur mit einer nachhaltigen Verkehrswende ist auch die Klimawende in Leipzig zu schaffen.
These 4: Fußgänger und Fußgängerinnen gehören ins Zentrum der Verkehrsplanung.
These 5: Straßenbahnen und Busse sind das Rückgrat der Mobilität und müssen weiter gestärkt werden.
These 6: Wir brauchen ein flächendeckendes und sicheres Radwegenetz.
These 7: Wir brauchen starke und leistungsfähige Verkehrsadern auch für den Wirtschaftsverkehr.
These 8: Lassen Sie uns gemeinsam die Menschen in ihrer Lebenswelt in den Mittelpunkt stellen und miteinander deshalb das Beste für das Gemeinwohl suchen.
Und wer es ganz ausführlich haben möchte, kann Jungs Rede im Video komplett verfolgen.
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Ich habe mir das, ich möchte sagen, weit überwiegende Rührstück des Oberbürgermeisters in Auszügen angeguckt (für die Ausführungen von Bürgermeister Dienberg fehlte mir die Zeit). Ich kann nur den Kopf schütteln, ist habe versucht das Gute zu finden, ich habe es so gut wie nicht geschafft. Das Stadtoberhaupt wollte Vergangenheit und Gegenwart schwarzmalen und hat es ordentlich hinbekommen. Und er hat sehr wohl, wie auch Klaus Staeubert das in der LVZ zitiert hat, “mehr Freiheit vom Diktat des Autos” verlangt. Warum trägt er so sinnlos dick auf? Angst? Er wolle Politik für Menschen machen, meint er, ja was denn sonst, möchte man fragen?
Warum hat man, um ein Bebauungsbeispiel aus den letzten Jahren anzuführen, an der Gohliser Straße größere Teile der seit Menschengedenken vorhandenen Grünfläche für einen Kindergarten geopfert? Und vorher die unweite Gaudigschule verkauft, in der dann u.a. einer aus dem “Panik-Orchester” von Udo Lindenberg eine der hineingeflanschten Wohnungen bezog, wenn ich mich richtig erinnere? Warum hat man zugelassen, daß kaum eine der kriegs- oder verfallbedingten Lücken von einst als Lücke, etwa in der Emilienstraße, belassen werden konnte? Wieso tut der Oberbürgermeister, als ob es keine Höfe hinter den Häusern gibt? Und von den Parks ist mir kein Wort in Erinnerung geblieben.
Und wenn Sie, lieber Autor, schreiben “Straßen, die wieder den Menschen zurückgegeben werden, die Aufenthaltsqualität bekommen, wo man auf einer Bank sitzen kann oder im Freisitz. Wo auch Platz für Grün ist. Die Stadt der Zukunft ist für Jung eine, in der Menschen eben nicht in ihre Häuser und Wohnungen verbannt sind, weil die Straße ganz und gar dem Autoverkehr gehört. Wo wieder öffentliche Räume der Begegnung entstehen und damit wieder zu Orten der Gemeinschaft werden.”
dann zeichnen Sie ein düsteres Bild im Stile von Heinrich Zille, der die Geschundenen der Berliner Unterschicht in ihren Elendsquartieren auch für uns Nachgeborene festgehalten hat.
Und daß Sie sich für Ihren Text den Duktus und auch die Diktion von Burkhard Jung zulegen, fällt Ihnen vielleicht gar nicht auf. Es ist nicht passend.