Das Deutschlandticket, das am 1. Mai in Funktion tritt, wird viele Menschen dazu bewegen, den ÖPNV stärker zu nutzen. Aber es wird ein Problem nicht lösen, das auch dann weiterhin die Mobilitätswende verhindern wird: die riesigen Löcher im ÖPNV-Netz. Denn wenn kein attraktives ÖPNV-Angebot da ist, werden viele Menschen – gerade in ländlichen Regionen – vom 49-Euro-Ticket keinen Nutzen haben. Aber ein Linke-Vorschlag für ein ÖPNV-Gesetz scheiterte erst einmal.
Kurz vor der Einführung des Deutschlandtickets hat am Dienstag, dem 4. April, der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr dem Landtag die Ablehnung des von der Linksfraktion eingebrachten Gesetzes zur Verbesserung der Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Freistaat Sachsen („ÖPNV-für-alle-Gesetz“ Drucksache 7/9942, Zusammenfassung hier) empfohlen.
Unter anderem heißt es im Gesetzesvorschlag: „Für das gesamte Gebiet des Freistaates Sachsen ist ein angebotsorientierter Bedienungstakt vorzusehen, um den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln für alle zu ermöglichen. Der öffentliche Personennahverkehr soll insbesondere Wohngebiete, Arbeits- und Ausbildungsstätten, Bildungs-, Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, Einkaufsgelegenheiten, Sportzentren, kulturelle und soziale Einrichtungen sowie Erholungsgebiete verkehrlich erschließen und verknüpfen.
Das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs soll eine regelmäßige, pünktliche, schnelle, bequeme und sichere Verkehrsbedienung sicherstellen, umweltfreundlich und barrierefrei ausgestaltet sein und einen optimierten Übergang zu anderen Verkehrsmitteln im Sinne einer multimodalen Verknüpfung ermöglichen.“
Ein gut vertaktetes ÖPNV-Netz fehlt
Genau dann ergibt ein D-Ticket nämlich Sinn: Wenn man überall in Sachsen jederzeit in ein gut vertaktetes ÖPNV-Netz einsteigen kann. Das es aber nicht gibt. Schon in einer Großstadt wie Leipzig wird das problematisch, je weiter man am Stadtrand wohnt. Denn die Verkehrsunternehmen in ganz Sachen (und auch ganz Deutschland) sind allesamt auf Schmalkost gesetzt. Größtenteils finanzieren sie sich aus den Zahlungen der Fahrgäste (über 70 Prozent in Leipzig) und Zuschüssen der Kommune. Der Freistaat hält sich vornehm zurück.
Doch genau der wäre in der Pflicht, wenn überall im Land ein ÖPNV-Angebot geschaffen werden sollte, das den Bedürfnissen der Menschen tatsächlich entsprechen würde.
„Der Freistaat Sachsen erstattet den Landkreisen, den kreisfreien Städten sowie den kreisangehörigen Städten und Gemeinden die ihnen für die Erledigung neuer Aufgaben nach den Artikeln 1 und 2 dieses Gesetzes entstehenden Aufwendungen, Kosten und finanziellen Mehrbelastungen sowie die ihnen auf Grund der Artikel 1 und 2 dieses Gesetzes nachträglich und unmittelbar verursachten finanziellen Mehrbelastungen bei der Erledigung bereits übertragener oder bestehender Aufgaben vollständig und in voller Höhe (Vollkostenfinanzierung und Vollkostendeckung)“, heißt es im Gesetzentwurf der Linken.
Aber an so einem Punkt schmeißt der sächsische Finanzminister sein Veto in den Ring. Und das war’s.
„Mit der Ablehnung unseres ‚ÖPNV-für-alle-Gesetzes‘ in der Ausschusssitzung wurde vorerst die Chance vertan, passgenaue Mobilitätsangebote für alle mit einem zeitgemäßen Klimaschutz zu verbinden“, erklärt Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion für Klimaschutz und Mobilität. „Gerade in ländlichen Gebieten ist durch den Abbau öffentlicher Verkehrsmittel das Auto zur individuellen Fortbewegung derzeit kaum ersetzbar. Wo weder Bus noch Bahn fahren, hilft auch kein günstiges und bundesweit nutzbares Ticket.“
Das halbe Land ohne ÖPNV-Anschluss
Und so bleibt das Hauptproblem bestehen: Knapp die Hälfte der Bevölkerung in Sachsen ist nicht an öffentliche Verkehrsmittel in Wohnortnähe angeschlossen.
„Das wollen wir mit klaren Mindestbedienstandards ändern. Sie sollen sicherstellen, dass jede Gemeinde in Abhängigkeit von ihrer Einwohnerzahl, bei mehr als 500 Einwohnern mindestens im Zwei-Stunden-Takt, bei mehr als 5.000 Einwohnern mindestens im Ein-Stunden-Takt und bei mehr als 10.000 Einwohnern mindestens im Halb-Stunden-Takt bedient wird“, so Böhme.
„Kinder und junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren sollen den ÖPNV kostenfrei benutzen können. Sie sind wie keine andere Gruppe in Deutschland besonders stark von Armut bedroht – gleichzeitig ist Mobilität eine Grundvoraussetzung für Ausbildung und Beruf. Deswegen forderten wir zur letzten Landtagssitzung sogar ein Null-Euro-Ticket für Studierende, Fachschülerinnen und Schüler, Azubis sowie Freiwilligendienstleistende. Das wäre eine echte Entlastung.“
Natürlich würde mit der Umsetzung auch sichtbar werden, wie radikal in den vergangenen 30 Jahren der ÖPNV im Freistaat Sachsen zurechtgestutzt wurde. Vonseiten der verantwortlichen Kommunen aus simplen Sachzwängen. Denn wenn sie den ÖPNV ganz allein finanzieren müssen, sind sie geradezu gezwungen dazu, jede Buslinie einzustellen, die keine Schwarze Null bringt, Takte auszudünnen und das Angebot auf das nur absolut Nötige (wie den Schulbus) einzudampfen.
Das hat dann aber mit einem attraktiven ÖPNV-Netz nichts mehr zu tun. Parallel haben Bahn und Zweckverbände dutzende Schienenverbindungen stillgelegt, die „sich nicht mehr rechneten“ und über deren Neueröffnung jetzt wieder diskutiert wird.
Aber natürlich wird das erst einmal richtig viel Geld kosten, die abgebauten Strukturen wieder herzustellen, neue Fahrzeuge zu kaufen und Fahrpersonal zu gewinnen. Das wäre dann tatsächlich das dringend notwendige Projekt Mobilitätswende, das auch in Sachsen überfällig ist.
Deswegen ist sich auch Böhme sicher, dass die Ablehnung im Ausschuss noch nicht das letzte Wort war: „Mit der Ablehnung unseres Gesetzes ist selbstverständlich dessen Notwendigkeit nicht entfallen. Für die Durchsetzung einer sozialen und ökologischen Verkehrspolitik bedarf es weiterer Initiativen und Kämpfe. Was möglich ist und wie das gehen kann, haben die gemeinsamen Auftritte von Gewerkschaften und Klimainitiativen in den vergangenen Wochen zumindest angedeutet.“
Keine Kommentare bisher