Seit Montag hatten Arbeitgeber und Gewerkschaften in Potsdam wieder intensiv verhandelt – jetzt aber steht seit der Nacht auf den heutigen 30. März 2023 fest: Auch Runde drei blieb ohne Durchbruch, die Tarifgespräche für 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind vorerst gescheitert. Woran sind die Verhandler/-innen gescheitert und wie geht es nun weiter?
„Für uns steht nach wie vor ein sozial gerechter Abschluss im Mittelpunkt. Die Arbeitgeber waren trotz deutlicher Bewegung nicht bereit, den Beschäftigten beim Mindestbetrag ausreichend entgegenzukommen“, erklärte ver.di-Vorsitzender Frank Werneke (55) in der Nacht zu Donnerstag in Potsdam. Der Gewerkschafter sprach von einem unauflösbaren Interessenkonflikt, weil die Vorschläge seitens der Arbeitgeber die Kaufkraft gerade unterer und mittlerer Einkommensgruppen nicht gesichert hätten.
Forderungen und Angebot liegen weiter auseinander
In der offenen Tarifrunde fordert ver.di für Beschäftigte von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro monatlich bei zwölf Monaten Laufzeit. Dabei soll es in Zeiten von Krise und Inflation vor allem um die Stärkung schwächerer Einkommensgruppen gehen.
Die Arbeitgeber hatten nach eigener Angabe zum Schluss ein Angebot vorgelegt, welches acht Prozent mehr Einkommen und mindestens 300 Euro vorsah, außerdem eine steuerfreie Einmalzahlung von 3.000 Euro, von denen 1.750 Euro bereits im Mai hatten gezahlt werden sollen.
Angaben, die so nicht ganz zu stimmen scheinen, mindestens aber verschleiern, wie weit der Abstand zu den Forderungen der Arbeitnehmer wirklich ist. Da ist zum einen die Laufzeit der Vereinbarung, ordnet Paul Schmidt, Landesbezirksfachbereichsleiter Verkehr bei Ver.di Sachsen auf Nachfrage ein: „Wir haben mindestens 500 Euro oder 10,5 Prozent Lohnaufwuchs in 12 Monaten gefordert, die Arbeitgeberseite spricht von 150 Euro für 2023 und nochmals 150 Euro im kommenden Jahr“.
In der Tat ist der Unterschied damit deutlich größer, als die Arbeitgeber aktuell verbreiten, da sich durch die Streckung auf zwei Jahre eine Steigerung um nicht ganz ein Drittel dessen ergibt, was Ver.di im Namen der öffentlich Angestellten fordert. Blieben beispielsweise bei Steuern und Abgaben von 50 Prozent bei 500 Euro Zuwachs 250 Euro bereits ab 2023 jährlich netto mehr in der Tasche, wären es bei 150 Euro eben noch ganze 75 Euro Nettolohnzuwachs im ersten und 150 Euro im zweiten Jahr.
Ein Jahr, in welchem es nach dem Ver.di-Vorschlag seit November 2022 bereits wieder zu neuen Verhandlungen käme, was den Unterschied noch weiter erhöhen dürfte.
Die Laufzeitverlängerung der neuen Tarifvereinbarung selbst wäre nicht das Problem, so Schmidt gegenüber LZ, aber der Lohnzuwachs über die zwei Jahre sei einfach deutlich zu wenig. „Ich kann verstehen, dass die Arbeitgeber Planungssicherheit wollen“, so Schmidt weiter. Dann müssten sie allerdings eine deutlich verbesserte Lohnanhebung über die 24 Monate hinweg vorlegen.
Die Verhandlung hinter der Verhandlung
Auch die Verhandlungsführung seitens der Arbeitgeber ist offensichtlich sehr diffus. Nach Rückmeldungen aus Gewerkschafterkreisen haben sich bei den Verhandlungen erst einmal Bund und Kommunen intern verständigen müssen, wie sie nun eigentlich vorgehen wollen.
Der bekannte Konflikt: die seit Jahren chronisch unterfinanzierten Städte und Gemeinden können den Lohnaufwuchs nicht schultern und verlangen angesichts der Inflationslasten, Energiepreissteigerungen und nun die Lohnforderungen des Öffentlichen Dienstes (ÖD) deutlich mehr Unterstützung von der Bundesebene für ihre Kommunalhaushalte.
Erst vor wenigen Tagen vermeldete der Sächsischen Städte- und Gemeindetag (SSG) beispielsweise für die sächsischen Kommunen im Jahr 2022 ein Rekorddefizit von etwa 262 Millionen Euro. Gerade mittlere und kleine Gemeinden operieren dabei längst mit Minushaushalten für 2023 unter Zuhilfenahme von Kassenkrediten – eine Lohnerhöhung wie von Ver.di gefordert könnten sie kaum noch leisten.
Damit spielt sich auf dem Rücken der Tarifverhandlung für etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer eine seit Jahren schwelende Finanzierungsdebatte der Städte ab, die im Kern erst einmal mit ihren Forderungen nichts zu tun hat. Und dennoch Einfluss auf die Verhandlungen und den Schlingerkurs der Arbeitgeberseite nimmt.
So sei bislang selbst das Wort „Angebot“ nicht ganz korrekt. Laut Paul Schmidt habe die Arbeitgeberseite noch gar keinen schriftlichen Vorschlag vorgelegt, sondern es bislang bei mündlichen Äußerungen nach dem Schema „was wäre, wenn wir vorschlagen würden“, belassen.
Friedenspflicht ab Sonntag, keine Warnstreiks über Ostern
Dabei geht es in den Tarifgesprächen um nichts weniger als die Bezahlung etlicher Angehöriger des öffentlichen Dienstes, wozu etwa Bus- und Straßenbahnfahrer, Verwaltungsangestellte, Erzieher, Ärzte, Pflegepersonal und viele mehr gehören.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen solle es nun in die Schlichtungsrunde gehen, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52) als Verhandlungsführerin für den Bund. Die SPD-Politikerin zeigte sich enttäuscht über den Abbruch der Gespräche, an welchen sie selbst jedoch nach LZ-Informationen aus Gewerkschaftskreisen einen ganzen Tag gar nicht teilnahm.
Drei Tage nach Ausruf des Schlichtungsverfahrens tritt dann eine Friedenspflicht in Kraft, die laut ver.di am Sonntag, dem 2. April, beginnen soll.
Im Klartext bedeutet dies, dass es zumindest von kommendem Sonntag an bis nach Ostern keine neuen Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Dienst geben wird. Sollte ein Schlichtungsvorschlag allerdings auch scheitern, wäre das Tor für flächendeckende und unbefristete Arbeitsstreiks offen.
Keine leichte Aufgabe für die Schlichter, da sie eigentlich im Hintergrund mit den Finanzierungsforderungen der Kommunen an den Bund zu tun haben werden.
Schlichtung: Ex-Ministerpräsident Milbradt soll Arbeitgeber vertreten
Den Vorsitz der Schlichtungskommission sollen der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (78) für die Arbeitgeberseite und der ehemalige Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr (72) für die Gewerkschaften übernehmen.
In den vergangenen Wochen hatte es bundesweit immer wieder Warnstreiks wegen des schwelenden Tarifkonflikts gegeben. Zuletzt hatten erst am Montag, dem 27. März, zahlreiche Beschäftigte ihre Tätigkeit niedergelegt. Auch in Leipzig wurde gestreikt, sodass unter anderem viele Horte und Kitas geschlossen blieben, Busse und Bahnen der LVB blieben ganztägig in den Depots stehen. Es war der größte Arbeitskampf in Deutschland seit den neunziger Jahren.
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