Wie Iwan Pawlovs Hund sabberte, wenn die Glocke läutete, so geht manch Autofahrer sofort in reflexartige Protesthaltung, wenn die beiden Worte „Tempo“ und „Dreißig“ hintereinander erwähnt und mit der Präposition „in“ und dem Namen der Heimatstadt genannt werden. Die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ hat diesen Reiz in den letzten anderthalb Jahren immer wieder – unverschuldet – ausgelöst.
Sie kämpft dabei keineswegs für Tempo 30 statt Tempo 50, sondern nur darum, dass Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen für bestimmte Abschnitte leichter durchgesetzt werden kann. Im ausführlichen Interview mit der Leipziger Zeitung (LZ) erläutert Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne), der auch Sprecher dieser Initiative ist, das Anliegen und die Umsetzung in der Stadt Leipzig genauer.
Thomas Dienberg ist nicht nur Baubürgermeister und Sprecher der Initiative „Lebenswerte Städte“, er ist zugleich – und das ist in diesem Zusammenhang wichtig – Bahn- und Busfahrer, Autofahrer, aber auch Radfahrer. Den Vorwurf, er würde für das Ziel der Initiative, nämlich Tempo 30 leichter auf Straßen einführen zu können, die Autofahrer verraten, kann er somit entspannt von sich weisen.
Kommunales Anliegen mit überparteilicher Zustimmung
Und überhaupt „geht es uns nicht um eine Regelumkehr“, so Dienberg, also dass generell Tempo 30 statt Tempo 50 gilt, sondern lediglich darum, Tempo 30 leichter auf kommunalen Straßen einführen zu können, für „mehr Beinfreiheit für die Kommunen“, wie er es formuliert. „Zwei kleine Artikel in der Straßenverkehrsordnung verhindern dies“, so Dienberg. Dort ist genau geregelt, wo und wann Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen eingeführt werden darf: vor Schulen, vor Kindergärten, vor Altersheimen oder aus Lärmschutzgründen.
In Ortschaften, durch die der Durchgangsverkehr nur so durchbrettert, geht das nicht so einfach. Und das ist ein Grund, warum die Initiative, die vor anderthalb Jahren mit sieben Mitgliedsstädten startete, nunmehr aus 500 Kommunen besteht. „Die meisten Mitglieder kommen aus Bayern“, erläutert Dienberg, der zudem betont, dass die Mitgliedschaft offenbar nichts mit der Parteizugehörigkeit der Bürgermeister zu tun hat.
So halten sich Kommunen, an deren Spitze Unions-, SPD- oder parteilose Bürgermeister stehen, in etwa die Waage. Die Machtlosigkeit bei der Einführung von Tempo-Einschränkungen in der eigenen Kommune aus unterschiedlichsten Gründen bewegt die Mitgliedsstädte.
Hürden groß und Aufwand immens
In Leipzig hat Dienberg erlebt, dass es an Stellen, an denen es Sinn ergeben würde, Tempo 30 einzuführen, um Unfallschwerpunkte abzubauen oder den Lärm zu reduzieren, bisher rechtlich nicht oder nur mit großem Arbeitsaufwand möglich ist. „Und es ist frustrierend, dies den Ortschaftsräten und den Stadtbezirksbeiräten sagen zu müssen.“ Außerdem sei das doch in Zeiten der „Mobilitäts- und Verkehrswende“ eine relativ preisgünstige Maßnahme, die zur Umsetzung beitragen würde, die aber an rechtlichen Hürden scheitert.
Dienberg hat daraufhin ein paar Kollegen aus dem Bauausschuss des Deutschen Städtetages angesprochen, unter anderem aus Augsburg, Ulm und Aachen und die Initiative mit in Gang gebracht. Als Initiative wollte man den Bundesverkehrsminister zur Thematik ansprechen. „Das ist besser, als wenn jeder einzeln zu seiner Verkehrsbehörde geht.“ Nach ersten Kontaktaufnahmen in der Anfangszeit, braucht es aktuell Druck auf Bundesebene, um das Vorhaben voranzubringen, wie der Baubürgermeister im Interview erklärt.
Bei der Einführung von Tempo 30, was es laut dem Baubürgermeister schon auf der Mehrheit der Leipziger Straßen gibt, geht es der Stadt nicht um Wohngebiete, sondern um sogenannte klassifizierte Straßen. „Das sind Hauptverkehrsstraßen, die Wohngebiete erschließen, an denen aber trotzdem gewohnt wird.“ Aus Lärmschutzgründen kann man dort zwar Tempo 30 einführen, aber dafür braucht man umfangreiche Gutachten. „Das kostet Geld, das kostet Zeit, das kostet Personal. Das machen wir, aber ich würde es gern ohne diesen Aufwand machen.“
Modellversuch für Leipzig in Planung
Im Leipziger Stadtrat, so ruft es der Baubürgermeister in Erinnerung, gab es im April 2021 einen Antrag, dass der Oberbürgermeister Burkhard Jung ein abgegrenztes Stadtgebiet für einen Modellversuch zur Einführung von Tempo 30 vorschlagen soll. Eigentlich bis zum vierten Quartal 2021. Nun sei man, laut Dienberg, in der konkreten Planung.
Wie groß dieses Wohngebiet sein wird, wie lange der Modellversuch dauern wird, wann er beginnt, erläutert Thomas Dienberg im Interview und stellt noch mal klar: „Wir preschen da nicht los, wie uns unterstellt wird, so als ob die Schilder schon auf dem Bauhof stehen.“ Wichtig sei der Modellversuch, um die Effekte dieser Einführung zu überprüfen.
Außerdem spricht Thomas Dienberg über die Argumente der Befürworter und der Gegner sowie die weiteren Schritte, um das Vorhaben der Initiative voranzubringen.
Es gibt 10 Kommentare
Naja. Wer jegliche Verbesserungen zum Voranbringen nachhaltiger und effizienter Mobilitätsformen als „Behinderung von Autofahrern“ begreift, macht doch eigentlich ziemlich klar, was er von einer sachlichen Diskussion zum Thema hält. Gähn…
Der pawlowsche Autofahrerhund ist also sachlich. Und wenn man dem Autor den Spiegel der Satire vorhält, ist das unsachlich und man müsste noch üben. Offensichtlich muss man als Kommentator solange noch üben bis man den politischen Inhalt des Artikel voll übernimmt und sinnfrei nachäfft. Jetzt habe ich es endlich verstanden, ich bin aber auch so schwer von Begriff….
Warum muss ein guter Artikel über die Pläne der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ unbedingt mit Autofahrer Bashing anfangen.
An die Redaktion: Können Sie meinen soeben abgeschickten Beitrag etwas durchformatieren? Hier sind die Absätze leider verschwunden, so dass es zu einem Textbrei verkommt? Danke.
Dies ist kein Kommentar!
@gerd_stefan: Als Radfahrer stört mich Tempo 30 öfter, ja. Man wird ja so schon so oft ausgebremst.
Es gibt allerdings viele Autofahrer, denen jedes Tempo in der Stadt zu neidrig ist – die betrachten es als Provokation wenn man mit dem Auto Tempo 50 auf dem Schleussiger Weg oder Tempo 30 in der Rödelstra0e fährt. Weil, es ginge ja schneller und sie haben es eilig.
Manch Fahrradfahrer bekommt Schaum vorm Mund gleich sobald das Thema Tempo 30 aufgerufen, wie ein Bernhardiner. Nein es geht nicht gegen Autofahrer, es geht um Hunde…mm
Es geht hier doch gar nicht gegen „die“ Autofahrer. Die Balance aller Verkehrsformen, das gute Miteinander- darum geht es. Ein guter Kompromiss lässt die einzelnen Maximalpositionen hinter sich.
Dazu gehört dass die Dominanz des MIV eingeebnet werden muss. Solange die konfliktbehahfteste Verkehrsform den Ton angibt werden die anderen benachteiligt.
Die Opfermentalität mancher Autofahrer empfinde ich als Verdrehung der Kausalkette.
Mein Kommentar war nichts anderes als ein satirisches Gegenstück zu ihrer tierisch sngesalbten Einlaufkurve. Natürlich kann man das Hausrecht nutzen falls man das was man selbst macht beim anderen nicht aushält.
Das mit der Satire üben wir dann also noch mal. Sie darf alles sein, nur eben nicht plump und simpel. Dass Sie sie zudem für Diskreditierungsversuche gegenüber der LZ zu nutzen versuchen, ist in der Tat eine “Macht”, welche wir Ihnen nicht zugestehen. Versuchen Sie einfach sachlich – qua Bedeutung also bei der Sache selbst zu bleiben – und niemand hat ein Problem.
Der Kommentar wurde gelöscht. Melden Sie sich gern wieder, wenn Sie etwas Anderes als substanzloses Medienbashing äußern wollen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.Die Moderation.
“Den Vorwurf, er würde für das Ziel der Initiative, nämlich Tempo 30 leichter auf Straßen einführen zu können, die Autofahrer verraten, kann er somit entspannt von sich weisen.”
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Man muss nur weiter lesen, ohne selbst viel Schreibarbeit zu haben, um das Ziel der Initiative darzustellen:
“Außerdem sei das doch in Zeiten der „Mobilitäts- und Verkehrswende“ eine relativ preisgünstige Maßnahme, die zur Umsetzung beitragen würde…”
Alles klar. Es geht gar nicht gegen Autofahrer! Wir wollen die doch bloß bisschen behindern.
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“Wie Iwan Pawlovs Hund sabberte, wenn die Glocke läutete, so geht manch Autofahrer…”
Richtig professioneller Einstieg in einen Artikel, der angeblich beitragen möchte zur Entspannung zwischen den Interessenten im Verkehrsmix. Ich glaube Karl-Eduard hätte es nicht besser gemacht.