Da war Baubürgermeister Thomas Dienberg selbst erschrocken, als er vom Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) die aktuelle Liste mit unkenntlichen Verkehrszeichen in Leipzig zugearbeitet bekam. 116 Verkehrsschilder sind so zugeklebt, dass sie nicht nur nicht mehr erkennbar sind, sondern auch das Eingreifen des Ordnungsamtes unmöglich machen. Die Linksfraktion hatte gefragt. Denn in vielen Ortsteilen der Stadt fallen diese über und über beklebten Schilder auf.
„In Leipzig sind sehr häufig Verkehrszeichen aufgrund verschiedener Aufkleber, Graffiti oder Vandalismus nicht erkennbar“, schrieb die Fraktion in ihrer Anfrage, die in der Ratsversammlung am 18. Januar beantwortet wurde. „Entsprechende Regelungen der Verkehrszeichen sind daher nicht mehr erkennbar und mögliche Verstöße wie z. B. im Parkraum können nicht mehr durch das Ordnungsamt angezeigt bzw. vollstreckt werden.“
Dabei ist die Liste, die das VTA mitgegeben hat, nicht einmal ansatzweise umfassend und beinhaltet nur die wirklich völlig unkenntlich gemachten Schilder.
„Eine vollständige Statistik wird zu diesem Sachverhalt im Ordnungsamt wegen der Schnelllebigkeit der Vorgänge nicht geführt. Die Problematik ist leider im gesamten Stadtgebiet vorzufinden“, stellt das Verkehrsdezernat fest. „Hauptsächlich sind stark belebte Straßen (Hauptverkehrsstraßen) oder Stadtgebiete, in denen Veranstaltungen stattfinden, stärker davon betroffen.
Die Anlage zu dieser Antwort enthält eine kurzfristig zusammengestellte Übersicht der derzeit nicht vollziehbaren Verkehrsregelungen in einer Größenordnung von 116 Sachverhalten. Die Bediensteten der Verkehrsüberwachung kontrollieren vor jeder Maßnahme, ob der Sichtbarkeitsgrundsatz (noch) erfüllt ist. Wird festgestellt, dass dies nicht der Fall ist, erfolgt die Meldung an das Verkehrs- und Tiefbauamt.“
Klebe-Ärger seit 5 bis 10 Jahren
Das Phänomen ist übrigens noch gar nicht so alt, sondern hat sich erst in den letzten fünf Jahren so richtig heiß gelaufen, weil augenscheinlich viele der Leute, die den Straßenraum als ihr Kleberevier betrachten, zwischenzeitlich die verfügbaren Quellen von Druckereien gefunden haben, wo sie sich unbehelligt riesige Stückzahlen ihrer Aufkleber bestellen können.
Mit letztlich teuren und auch gefährlichen Folgen für den Leipziger Verkehrsraum, wie das Verkehrsdezernat feststellt: „Das mutwillige und vorsätzliche Bekleben und Besprühen von Verkehrszeichen ist ein grundlegendes Problem und hat nach Einschätzung des Fachamtes in den letzten 5 bis 10 Jahren im gesamten Stadtgebiet stark zugenommen. Der Entwicklung wird vor allem durch Reinigen bzw. Erneuern von Verkehrszeichen versucht entgegenzuwirken.“
Aber der Blick in den Straßenraum zeigt: Die Verwaltung kommt gar nicht hinterher.
Und so wird oft auch dem Ordnungsamt die Möglichkeit genommen, Verkehrsverstöße zu ahnden, weil die entsprechenden Verkehrsschilder in der Straße völlig zugeklebt sind.
Das Verkehrsdezernat zitiert dazu ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06. April 2016 (3 C 10.15, Randziffer 22): „Es obliegt der Behörde, die nach § 45 StVO ein Park- oder Haltverbot anordnet, für deren ordnungsgemäße Bekanntgabe Sorge zu tragen. Denn Wirksamkeitsvoraussetzung für ein solches straßenverkehrsrechtliches Ver- oder Gebot ist eine ordnungsgemäße Bekanntgabe der entsprechenden Allgemeinverfügung (§ 43 Abs. 1 VwVfG) nach Maßgabe des Sichtbarkeitsgrundsatzes durch Verkehrszeichen.
Die materielle Beweislast dafür, dass den Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes für die Aufstellung oder Anbringung der Verkehrszeichen genügt wurde, trägt nach den allgemeinen Grundsätzen im Streitfall die Behörde, die daraus Rechtsfolgen herleiten will. Das legt es für sie zugleich nahe, dass sie – um im Falle der Nichtnachweislichkeit eine Beweislastentscheidung zu ihren Lasten zu vermeiden – die ordnungsgemäße Aufstellung oder Anbringung der Verkehrszeichen und die Erfüllung der Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes in geeigneter Weise dokumentiert.“
Gegensteuern mit Anti-Haft-Folie
Die Klebe-Aktivisten verhindern mit ihren Aktionen also immer wieder auch eine reguläre Kontrolltätigkeit des Ordnungsamtes. Besonders seltsam wirkt das, wenn zwischen Fan-Aufklebern dann auch noch ein dicker „Outos“-Aufkleber prangt.
Wie oft durch solche zugeklebten Schilder die Ahndung von Verkehrsverstößen nicht erfolgen konnte, kann freilich nicht beziffert werden. Denn: „Es ist nicht möglich, zu diesem Sachverhalt seriöse Aussagen zu treffen, da eine solche Statistik nicht geführt wird. Entsprechende Auswertungen der Bußgelddaten sind auch im Nachhinein nicht möglich.“
Weil aber das Reinigen der Schilder aufwendig ist und dabei meist auch noch die reflektierende Schicht zerstört wird, montiert die Stadt seit drei Jahren Schilder mit einer besonderen Anti-Haft-Folie, erläutert das Verkehrsdezernat:
„Seit drei Jahren werden in Leipzig Verkehrszeichen montiert, die mit einer Anti-Haft-Folie überzogen sind. Diese Folie verhindert, dass Aufkleber auf die Verkehrszeichen aufgebracht werden können. Der Einsatz hat sich bewährt. Die neuen Verkehrszeichen sind weniger von Vandalismus betroffen und müssen seltener gereinigt werden, da Sticker und Aufkleber nicht mehr haften oder zumindest leicht zu entfernen sind.“
Wobei trotzdem die Ressourcen, um die Schilder immer wieder zu reinigen, begrenzt sind, wie das Dezernat betont: „Die Reinigung bzw. Erneuerung der Beschilderung erfolgt operativ. Verkehrszeichen, die der Sicherheit des Schulwegs, dem Radverkehr, dem Lärmschutz und dem fließenden Verkehr dienen, werden, in Abhängigkeit der Ressourcenverfügbarkeit der ausführenden Firmen und der finanziellen und personellen internen Ressourcen, mit einer besonders hohen Priorität gereinigt bzw. ausgetauscht. Darüber hinaus wird der Zustand der Beschilderung der Innenstadt im besonderen Maße kontrolliert. In der Innenstadt finden auch turnusmäßige Zustandskontrollen statt, um schnell handlungsfähig zu sein.“
Dass dabei sogar in einigen Leipziger Straßen auch noch veraltete Verkehrszeichen stehen, wurde dann am 18. Januar in der Nachfrage von Linke-Stadtrat Oliver Gebhardt noch als Thema gestreift. Auch das ist eine Kapazitätsfrage.
Aber das VTA sei bemüht, auch diesen Nachholbedarf abzuarbeiten, so Baubürgermeister Thomas Dienberg, der große Hoffnungen darauf setzt, dass mit der Montage von immer mehr Verkehrsschildern mit Anti-Haft-Folie das Problem der zugeklebten Schilder nach und nach gelöst werden kann.
Keine Kommentare bisher
Ich hatte Herrn Juhlke mal angerufen, ob dieses Ärgernis nicht einen Artikel wert wäre. Gut, dass es jetzt nun ein Thema wird. Es ist wirklich extrem. Besonders in meiner Nachbarschaft. Der neuste Schrei: Straßenschilder klauen. Warum? Keine Ahnung. Bekloppt eben.
Mir ist schon öfter aufgefallen, dass vor allem Fußballfans ihre Claims so abstecken. In manchen Vierteln wird alles von Lok-Fans zugeklebt oder beschmiert, andere Viertel sind in der Hand von Chemie.
Erinnert mich alles irgendwie an Hunderüden und Kater, die ihr Revier mit Pisse markieren.Schmutzig und stinkend. Oder wie Steinzeitmenschen: Komm meiner Sippe, meiner Höhle ja nicht zu nahe, sonst gibt’s was mit der Keule. Kindergarten, anders kann man das nicht nennen.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin selbst begeisterter Fußballfan (halt Bundesliga). Aber ich war noch nie in der Gefahr, vom Fan zum “Fan-atiker” zu werden. Schmierereien und Klebeaktionen finde ich total bescheuert. Egal, von welcher Seite.
Sportlich kenne ich die Qualität der beiden Vereine nicht. Aber wenn ich so lese, wie hier ein Krieg zwischen den beiden Vereinen tobt, dann spare ich mir vorerst das Eintrittsgeld für die regionalen Spiele.