Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat, wie die Tagesschau am Sonntag, dem 22. Januar meldete, die Verkehrswende abgesagt. Es sei mir verziehen, wenn der folgende Text eventuell Elemente von Sarkasmus enthält. Die Überschrift des Artikels spricht schon Bände: „Wissing will Autoverkehr nicht einschränken“.
Autoverkehr einschränken oder vermeiden? Die Frage stellt sich schon beim Lesen des ersten Absatzes, da ist von Reduzierung und Einschränkung die Rede, beides sind keine Synonyme. Das gilt besonders im von Wissing angesprochenen Güterverkehr.
Ja, über die Straße wurden letztes Jahr zehnmal so viele Güter wie über die Schiene transportiert, aber ist der Ausbau des Straßennetzes, sind zusätzliche Spuren auf Autobahnen oder sogar neue Autobahnen die Lösung?
Ich meine, das ist keine Lösung, wir brauchen gerade für den Gütertransport einen Ausbau der Schieneninfrastruktur und eine Stärkung der Bahn. Besonders für den Langstreckentransport und für den Transitverkehr ist das erforderlich.
Ja, der Ausbau des Schienennetzes dauert lange, der des Straßennetzes aber auch.
Bäume pflanzen …
Es wird Napoleon nachgesagt, dass er nach einer Truppeninspektion befahl, entlang der Landstraßen Bäume zu pflanzen, damit die Truppen im Schatten marschieren können. Ein Adjutant wies ihn darauf hin, dass diese Bäume erst in 20 Jahren genug Schatten spenden würden.
Napoleon erwiderte: „Deshalb müssen wir sofort anfangen!“
Genau so ist das mit dem Ausbau des Transports per Schiene. Wenn wir weiter nur sagen „Das dauert zu lange“, dann wird es in 20 Jahren immer noch zu lange dauern und wir haben nichts erreicht.
Natürlich hinkt der Vergleich mit Napoleon, der dachte als seiner Meinung nach erster Kaiser einer Dynastie in Jahrzehnten. Unsere Politiker denken in Wahlperioden von 4 Jahren.
Im Güterverkehr ist übrigens die Schiene alternativlos, aus mehreren Gründen. Sehen wir ab von Umwelt- und Klimaschutz oder dem Verkehrskollaps, dann kommen wir zum Fachkräfteproblem. Nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr und Logistik fehlten im letzten Jahr ungefähr 80.000 Fahrer und es kommen bei 30.000 Abgängen in den Ruhestand nur 15.000 neue dazu.
Setzt man jetzt in Relation, dass ein Fahrer mit zwei Standardcontainern unterwegs ist, die auf einen Güterwagen passen, dann sollte das zu denken geben. Übrigens könnte der Schienentransport auch mit automatisiert fahrenden Zügen vollelektrisch auf Güterzugstrecken und mit automatisierten Be- und Entladestationen funktionieren. Muss man wollen und machen.
Für mich ist die Vermeidung von Güterkraftverkehr, besonders auf Langstrecken und im Transit, durch Stärkung des Schienenverkehrs wichtig.
Automobile Freiheit
Volker Wissing sagt, ich muss es einfach zitieren: „Autofahren bedeutet Freiheit, Flexibilität und Privatsphäre, im ländlichen Raum und im Alter außerdem Teilhabe und Selbstbestimmung.“
Damit spricht er natürlich vielen Menschen in Deutschland aus tiefster Seele. Dass mehr Straßenverkehr auch automatisch, also durch Staus und verstopfte Straßen, zu automobilen Freiheitseinschränkungen führt, das erspart er sich.
Vom ÖPNV ist natürlich keine Rede, wenn Oma und Opa, auch im ländlichen Raum, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Auto fahren können, dann war’s das eben mit Teilhabe und Selbstbestimmung. Soviel automobile Freiheit muss schon sein.
Straßenbau im überragenden öffentlichen Interesse
Ja der Straßenbau, da haben wir doch gerade die A9, zwischen Leipzig und Berlin, von zwei auf drei Spuren ausgebaut in den 2000ern. Nicht nur, dass es schlecht gemacht war, dafür sprechen die ständigen Ausbesserungsmaßnahmen, die schon bis zu grundhaften Erneuerungen gehen. Jetzt ist die A9 schon wieder zu „eng“, weil der Verkehr zunimmt. Bauen wir sie also in den nächsten 20 Jahren auf 4 Spuren aus und stellen dann fest: „Es ist wieder zu eng“.
Vielleicht bauen wir ja doch noch vorhandene Güterstrecken aus und bauen auch mal neue?
Der Straßenbau hat auch noch andere Probleme, so werden für zusätzliche Straßen wieder Enteignungen (Vorsicht, hier geht’s um Bauern und den ländlichen Raum) durchgeführt werden, es werden weiter Wälder durchschnitten und Biotope zerstört. Und für die Stadtbewohner: Da gibt es keinen Platz für neue Straßen!
O.k., dass man Straßen instandsetzen muss, vielleicht auch mal Kreuzungen und anderes ausbauen muss, das ist unstrittig.
Das „überragende öffentliche Interesse“ soll alle Maßnahmen, wie oben beschrieben, rechtfertigen.
Schiffsverkehr
Hier geht es nicht um Volker Wissing, sondern um die Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden. Sie sagte, nötig sei unter anderem, „zahlreiche umweltschädliche Subventionen abzubauen und einen großen Teil des Güterverkehrs weg von der Straße auf Schiene und Schiff zu verlagern.“
Im ersten Teil, den Schienenverkehr betreffend, stimme ich zu. Was ist aber mit dem Schiffsverkehr gemeint? Etwa Binnenschifffahrt? Das passt nicht ganz zur Forderung, dass Flüsse renaturiert werden sollen, dass keine weitere Kanalisierung stattfinden soll und dass z.B. die Elbe nicht weiter vertieft werden soll.
Die Binnenschifffahrt ist für mich keine Alternative.
Fazit: Wir brauchen, meiner Meinung nach, dringend ein wirkliches Beschleunigungspaket für den Ausbau des Schienen-Güter-Transports. Dieser muss schneller, zuverlässiger und am Ende auch preisgünstiger als der Straßentransport werden.
Das dauert, dessen bin ich mir bewusst, aber wie Napoleon sagte: „Deshalb müssen wir sofort anfangen!“
P.S. Zu Tempolimit, ÖPNV und weiteren Themen habe ich mich schon geäußert, ich erspare es mir hier.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
Es gibt 4 Kommentare
Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen Ihr Selbsthass zugute kommt. Oder sind Sie eventuell gar kein Deutscher? In diesem Fall bitte die Relationen zu anderen Ländern und Ihrem Stau- und Verkehrsaufkommen einbeziehen. Und das Wort “rasen”… Trifft das auf “die Deutschen” so gut zu Ihrer Meinung nach?
@ Sebastiansays: Symbolpolitik Ja! Weil das Symbol auch so gelesen werden könnte: Endlich haben diese vom Autowahnsinn erfassten Deutschen kapiert, dass dieses Rasen sinnlos und gefährlich, Umweltzerstörerisch und viiiiiel teuer ist!
Und jetzt höre ich schon wieder die Böll-den Sprüche von wegen Arbeitsplätze sichern – also eigentlich: (weg)fallende Dividenden! Der Verlust dieser „Einnahmen“ träfe ohnehin unter die, die ohnehin schon lange viel zu viel von Allem haben. Da muß niemand traurig sein. Und Arbeitsplätze kann und wird es in anderen Bereichen genug geben. Vor allen da, wo es noch Sinn macht.
Die “Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe–Basel”, auf der ich oft unterwegs bin, erlebte ihren ersten Spatenstich, als sich z.B. Erich Honecker mit damals 75 Jahren noch recht rüstig vorkam: 1987. Man glaubt heute 2041 fertig zu sein. Mehr als ein halbes Jahrhundert! Das sind dann mehr 200 Jahre nach Inbetriebnahme von Teilen der alten Strecke, die 1855 fertig war. Die Neubaustrecke ist wesentlicher Teil der “Neue Eisenbahn-Alpentransversale”. Daß man dieses Projekt im Rheintal so hat schleifen lassen, kann man nicht nur unglücklichen Umständen zuschreiben.
Man kann als verantwortlicher Politiker theoretisch sowohl gegen ein Tempolimit sein, zum Beispiel weil man die Meinung vertritt, dass es mehr Symbol- als CO2-Politik wäre, und trotzdem die Bahn stärken! Ist mir unbegreiflich, warum es immer nur “ganz dagegen” oder “ganz gegen das andere” sein kann.
Es gibt natürlich kurze oder mittlere Distanzen, die eher mit LKW zu transportieren sind, aber gerade der angesprochene Transitverkehr, und mit Sicherheit noch mehr als dieser, könnten über die Schiene abgewickelt werden. Die Schweiz als klassisches Transitland macht es vor.
Könnten wir das denn eigentlich leisten, sollte es demnächst beschlossen werden?
Nicht nur Straßenverkehr ist teuer zu unterhalten oder zu bauen, auch der Schienenverkehr erfordert enorme Investitionen. Der elektrische Trassenbau noch mal wesentlich mehr. Auch dort gehen unplanmäßig Betonschwellen kaputt, wie es auch beim Autobahnbau (Herr Köhler spricht die A9 an) schief gehen kann. Man sollte diese Investitionen endlich beginnen, solange Öl noch halbwegs günstig ist und vor allem: vorhanden. Und vor allem endlich die lange geplanten Europatrassen umsetzen, die unsere Nachbarländer teils schon vollständig bei sich gebaut haben.