Die Verkehrsprobleme in Leipzig knackt man nur, wenn sich das Verhalten der meisten Verkehrsteilnehmer ändert. Da geht es um Gewohnheiten, die in der Zeit der Corona-Pandemie schon einmal leichte Veränderungen erfuhren. Denn da merkten eine Menge Leute, die sonst auch die kürzesten Wege mit dem Auto zurücklegten, dass man die täglichen Einkäufe zu Fuß erledigen kann. In Hintergrund verändern sich sowieso längst die Gewichte.
Das wird deutlich, wenn die Autor/-innen des Berichts zur Bürgerumfrage 2021 sich die Sache mit dem Fahrrad genauer anschauen. Denn dass die Rufe nach einem besseren Radwegenetz immer lauter werden, hat damit zu tun, dass keine andere Verkehrsmittelnutzung so wächst wie die des Fahrrads.
„20 Prozent der Leipziger/-innen fahren (fast) täglich mit dem Fahrrad. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 16 Prozent. Der Anteil derer, die mehrmals in der Woche mit dem Rad fahren, ist im gleichen Zeitraum von 31 auf 35 Prozent angestiegen. Vor allem bei jungen Erwachsenen unter 35 Jahren steht das Fahrrad hoch im Kurs; in dieser Altersgruppe ist fast die Hälfte mehrmals in der Woche mit dem Fahrrad unterwegs“, können sie feststellen.
„Eine gesteigerte Nutzungshäufigkeit lässt sich für die mittlere Altersgruppe zwischen 35 und 49 Jahren konstatieren. Der Anteil derer, die mehrmals pro Woche mit dem Fahrrad unterwegs sind, stieg seit 2011 von 29 auf 41 Prozent. Auch die jungen Erwachsenen (unter 35 Jahre) haben im Betrachtungszeitraum ihre Fahrradnutzung nochmals gesteigert. Von 39 Prozent häufigen Nutzerinnen und Nutzern stieg der Anteil auf 46 Prozent am aktuellen Rand.“
Wer Geld hat, kauft sich ein E-Bike
Und dann gibt es da noch einen zumindest seltsamen Effekt: „In den Altersjahrgängen ab 50 Jahren verhält sich die Nutzungshäufigkeit stabil. Trotz der deutlichen Zunahme der E-Bikes (insbesondere im Seniorenalter) fahren Seniorinnen und Senioren nicht häufiger Fahrrad als noch 2011.
Somit haben die E-Bikes nicht dazu geführt, mehr Seniorinnen und Senioren für das Fahrradfahren zu gewinnen. Es liegt nahe, dass der wachsende Ausstattungsgrad mit E-Bikes zu einer Substitution der konventionellen Räder geführt hat. Gemäß Tabelle 5-2 besitzen 23 Prozent der Rentnerpaarhaushalte E-Bikes.“
Dabei zeigt die Bürgerumfrage, wie emsig in einigen Leipziger Bevölkerungsgruppen inzwischen E-Bikes gekauft werden.
„Die Verbreitung der E-Bikes hat in den letzten Jahren in Leipzigs Haushalten deutlich zugenommen. Seit 2012 werden E-Bikes als Verkehrsmittel separat erfragt. Lag damals der Ausstattungsgrad noch bei circa 1 Prozent der Haushalte und somit im Bereich des geradeso statistisch messbaren, verfügt heute jeder zehnte Leipziger Haushalt über ein oder mehrere E-Bikes.
Leipzig liegt damit noch knapp unter dem deutschlandweiten Durchschnitt. Nach Befunden der laufenden Wirtschaftsrechnung des Statistischen Bundesamtes verfügt in Deutschland jeder achte Haushalt (13 Prozent) über mindestens ein Elektrofahrrad“, stellt der Bericht fest.
Aber der Kauf von E-Bikes ist trotzdem ein Luxussegment im Leipziger Radverkehr:
„Nicht nur bei Rentnerhaushalten erfreuen sich Elektrofahrräder größerer Beliebtheit, auch in gutsituierten Haushalten sind sie häufiger vorhanden. 16 Prozent der Leipziger Haushalte mit einem Haushaltseinkommen von 3.200 Euro und mehr besitzen ein oder mehrere E-Bikes. Deutschlandweit hat das Statistische Bundesamt für Haushalte mit mindestens 3.500 Euro einen Ausstattungsgrad von 20 Prozent festgestellt (Statistisches Bundesamt, 2021).“
Das Auto ist ebenfalls eine Frage des Einkommens
Und so wie die Ausstattung mit E-Bikes eine Frage des Einkommens ist, ist es auch der Autobesitz.
„Zudem kann ein Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen und der Ausstattung mit Privat-Pkw gesehen werden. Unter den Haushalten mit Einkommen ab 3.200 Euro besitzen signifikant mehr Haushalte (über 80 Prozent) mindestens einen Privat-Pkw (im Mittel 1,2). Analog hierzu nimmt auch die Anzahl der vorhandenen Firmen-Pkw (bei 12 Prozent aller Haushalte mindestens ein Firmen-Pkw) und Motorräder/Mopeds (bei 8 Prozent der Haushalte) mit dem Einkommen zu“, bilanzieren die Autorinnen des Berichts.
„Auch hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der Haushaltsmitglieder bestehen Unterschiede: Mindestens einen privaten Pkw besitzen 63 Prozent der Haushalte von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit, aber nur 42 Prozent der Haushalte mit Mitgliedern ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Auto ist zudem häufiger in Haushalten mit Kind(ern), in Haushalten von Erwerbstätigen und bei mittleren und höheren Bildungsabschlüssen vorhanden.“
Im Ergebnis besitzen 62 Prozent der befragten Haushalte mindestens ein Automobil und die Zahl der Pkws ist auch in den letzten Jahren weiter gestiegen.
Was aber trotzdem nicht bedeutet, dass das Auto das Hauptverkehrsmittel ist, auch wenn das oft so aussieht. Aber die meiste Zeit steht das Automobil nur ziemlich nutzlos in der Gegend herum. Die meisten ihrer Wege legen die Leipziger auf ganz andere Art zurück.
Auch wenn es im Bericht heißt: „Der motorisierte Individualverkehr (Pkw, Krad) stellt bei den Wegen zur Arbeit und zu Einkäufen aktuell den größten Anteil. Die in aller Regel nahezu täglichen Wege zur Arbeit werden von fast der Hälfte der erwerbstätigen Befragten mit dem Auto zurückgelegt. Auch (die regelmäßig stattfindenden) Einkäufe erledigen über 40 Prozent der Leipziger/-innen mit dem Auto.“
Tatsächlich aber dominieren in allen Bereichen die umweltfreundlichen Verkehrsarten in der Summe. Bei Wegen zur Arbeit hat das Auto nur mit 46 Prozent den größten Anteil. Das Fahrrad kommt hier übrigens auf 27 Prozent. Beim Einkaufen kommt das Auto auf 42 Prozent, während 34 Prozent der Einkäufe zu Fuß erledigt werden.
Warum das so ist, wollten die Statistiker diesmal etwas genauer wissen. Haben die Leipziger schon im zweiten Corona-Jahr wieder vergessen, wie leicht es ist, seine Einkäufe in der Nachbarschaft zu Fuß zu erledigen?
Zurück in alte Muster?
Irgendwie war das wohl so, wie der Bericht feststellt:
„Im ersten Pandemiejahr 2020 lag bei Wegen zum Einkauf der nichtmotorisierte Individualverkehr erstmalig seit Beginn der Erhebungen der Kommunalen Bürgerumfrage (1993) vor dem Pkw und Krad. Auch im zweiten Pandemiejahr liegt der nichtmotorisierte Individualverkehr leicht vor dem motorisierten Individualverkehr, allerdings haben Fahrradund Fußverkehr wieder geringe Anteile gegenüber dem Autoverkehr verloren. Die vergleichende Betrachtung der Verkehrsmittelnutzung für die dargestellten Wege (in die Leipziger Innenstadt, zur Arbeit, zu Einkäufen, Abbildung 5-5) ergibt insgesamt, dass in 2021 im Vergleich zu 2020 die Nutzung von Pkw/Krad und ÖPNV zugenommen haben, die Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad dagegen gesunken bzw. stagniert sind.“
Man ist also wieder in den alten Trott verfallen. Die Verhaltensänderung war für viele Autobesitzer nur zeitweilig.
Was auch mit der Struktur des Leipziger Verkehrsnetzes zu tun hat, bei dem sich ja die Verwaltung sogar mitten im Lockdown schwertat, einfach mal großflächig überall Pop-up-Radwege einzurichten, wo Radstreifen heute immernoch fehlen.
Das Verblüffende, so stellt der Bericht fest, ist nämlich, dass immer noch viele Leipziger selbst beim Einkauf um die Ecke das Auto benutzen:
„90 Prozent der Leipzigerinnen und Leipziger nutzen für Einkäufe des täglichen Bedarfs regelmäßig, d. h. mindestens wöchentlich, Geschäfte in Wohnnähe. Die überwiegende Mehrzahl der Befragten nutzt für diese wohnungsnahen Einkäufe hauptsächlich den nichtmotorisierten Individualverkehr (66 Prozent, vgl. Abbildung 5-6). Trotz Wohnungsnähe erledigt jedoch auch fast jede/-r fünfte Leipziger/-in fußläufig erreichbare Einkäufe hauptsächlich mit dem Auto.“
Da ist noch Luft nach oben, stellen die Autoren des Berichts fest.
Anders sieht es bei den Wegen zur Arbeit aus, wo es um völlig andere Distanzen geht – nämlich im Schnitt um 12,8 Kilometer im Vergleich zu 3,2 Kilometern bei Wegen zum Einkaufen.
„Bei Betrachtung des Anteils des motorisierten Individualverkehrs am Modal Split für Wege zur Arbeit fällt zunächst der Gradient von den inneren Teilen der Stadt zum Stadtrand auf. Es bildet sich somit ein zonales Muster heraus. Insbesondere in den 1999/2000 eingemeindeten Ortschaften ist die Pkw/Krad-Nutzung überdurchschnittlich hoch. In einigen Ortsteilen liegt der Anteil der Pkw/KradNutzer/-innen bei den Wegen zur Arbeit bei 90 Prozent, und zwar in Seehausen, Lindenthal, Burghausen-Rückmarsdorf, Althen-Kleinpösna und Portitz-Plaußig.“
Die Autonutzung hängt also direkt auch mit der Länge der Wegstrecken zusammen. Wer in Innenstadtnähe wohnt und dort auch arbeitet, fährt deutlich häufiger mit dem Rad oder geht zu Fuß. Je weiter man sich von der City entfernt, umso größer ist die Rolle eines ausgebauten ÖPNV-Netzes.
Und hier haben die Autoren des Berichts gleich mal sinnfällig gemacht, woran es hapert – sie haben nämlich die Linien der Straßenbahn mit eingezeichnet und man sieht recht deutlich, wie sehr das Netz – so wie es ist – die Nutzung des ÖPNV begünstigt bzw. verhindert.
Denn die Verbindung zum Arbeitsort muss schnell, sicher und zuverlässig sein. Und vor allem dicht getaktet. Hier entscheiden also ganz simple Zwänge, wofür sich die Leipziger entscheiden.
Zwänge, die so im aktuellen Nahverkehrsplan noch längst nicht abgebildet sind.
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