Im Energie- und Klimaschutzplan steht es als Maßnahme Nr. IV.9 „Realisierung Basismodul Hauptachsen“. Das sind die Hauptlinien der Straßenbahn, von denen man oft genug das Gefühl hat, es könnten auch Bummelzüge irgendwo im Wald sein, weil sie bei jeder Sehenswürdigkeit stehen bleiben und ewig brauchen, bis sie sich zum Promenadenring durchgeschlagen haben. Dabei sind sie das Rückgrat der „Mobilitätsstrategie 2030“.
Denn wenn die Straßenbahnen auf den Hauptlinien flüssiger unterwegs sind und in dichteren Takten fahren, verändert sich das Fahrgefühl im Liniennetz der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) deutlich.
Die Hauptachsen sind nach dem Nahverkehrsplan 2019 zuallererst die Linien 16 und 15, die schon weitgehend so ausgebaut sind, dass hier ab 2024 die neuen, 2,40 Meter breiten Straßenbahnen fahren können. Nur einige wenige Stellen – auf der Linie 15 z. B. in Höhe Völkerschlachtdenkmal und auf der Zeppelinbrücke – müssen bis dahin noch aufgeweitet werden.
Auch das braucht inzwischen schon sehr straffe Planungen. Ab 2025 soll aber auch die Linie 11 dazu kommen, wo es auf der Georg-Schumann-Straße noch einige Engstellen gibt. Und danach soll eigentlich auch auf den Linien 3 und 7 der Einsatz der neuen Fahrzeuge möglich sein.
Gestörte Kommunikation
Aber dass die Stadt da im Verzug ist, macht inzwischen auch Leipzigs Verwaltungsspitze gehörige Kopfschmerzen. Da haben ganz unübersehbar einige Abstimmungen und Absprachen in den vergangenen Jahren nicht geklappt, war die Kommunikation gleich mehrfach gestört.
Und so legt das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) jetzt den Entwurf für eine neue „Gremienstruktur für den Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030“ vor.
„Mit dem Beschluss des Rahmenplans zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030 wurde festgelegt, dass die Zusammenarbeit der Verwaltung und Kommunalunternehmen im Mobilitätsbereich so auszurichten ist, dass sie eine zielgerichtete Umsetzung aller notwendigen Maßnahmen aus den Handlungsfeldern 1 bis 10 des Rahmenplans ermöglicht. So ist eine Organisation(sstruktur) zu schaffen, die die Vertreter/-innen aller mit Mobilitätsthemen befassten Ämter der Stadtverwaltung und Akteure der L-Gruppe systematisch einbindet“, heißt es in der Vorlage des VTA.
„Ziel ist es, mit der dezernatsübergreifenden Gremienstruktur die für die Umsetzung der Maßnahmen des Rahmenplans erforderlichen Arbeits-, Abstimmungs- und Entscheidungsstrukturen zu etablieren. Auf diese Weise sollen diese noch zielgerichteter und – sofern aufgrund geänderter Rahmenbedingungen erforderlich – in Einzelfällen auch beschleunigt umgesetzt werden.“
Deutliche Planungsdefizite bis 2020
Diesen Rahmenplan hat der Stadtrat im Juli 2020 beschlossen. Im Beschlusspunkt 8 wurde damals deutliche Kritik an den Planungen der Stadt formuliert:
„Das im Rahmenplan beschriebene Planungsdefizit ist vollständig auszugleichen. Zusätzliche Vor-/Planungsmittel werden entsprechend der Vorlage VII-DS-01404 ‘Bereitstellung zentraler Vor-/Planungsmittel als flexibles Handlungsinstrument zur Beschleunigung von Investitionen – Bestätigung außerplanmäßiger Aufwendungen gemäß § 79 Abs. 1 SächsGemO bereitgestellt. Die dafür erforderlichen Personal- und Sachmittel werden im Entwurf des Haushaltes 2021/2022 eingeplant. Im Rahmen der Vorlage der Haushaltspläne für die Folgejahre wird angestrebt, dass das beschriebe Planungsdefizit nicht erneut auftreten wird.“
Schön wär’s. Die Stadt ist bis heute aus diesem Planungsdefizit nicht heraus. Jeder einzelne Baustein zur Beschleunigung auf den Hauptachsen wird zu einem langwierigen Gezerre um Gelder, Termine und Baukapazitäten. Die bisherigen Abstimmungsgremien zwischen Stadt und LVV funktionieren so nicht und erzeugen nur Verdruss und Reibereien.
Es ist erstaunlich, dass die Verwaltung so spät reagiert. Aber die Sache kommt einem sehr bekannt vor, denn genauso spät reagiert die Stadt, als sich der Mangel an Kita-Plätzen in Leipzig abzeichnete. Am Ende musste eine Taskforce aus dem Boden gestampft werden, die sich fortan konsequent um die Planung, die Finanzierung und den Bau neuer Kindertagesstätten in Leipzig kümmern sollte.
Unbehagen seit 2016
Was der Stadt noch keine Lehre war. Denn 2016 raste die Stadt direkt in den nächsten Mangel hinein – diesmal den an verfügbaren Schulen und Schulplätzen für die wachsende Zahl von Kindern. Auf Antrag der CDU-Fraktion wurde deshalb 2016 eine Taskforce gegründet, die sich um nichts anderes kümmert, als Planung, Finanzierung und Bau neuer Schulen, Schulerweiterungen und Modernisierungen. Und auch da funktioniert.
Und ebenfalls 2016 begann der Ärger des Stadtrats mit der Verwaltung beim Thema ÖPNV. Angefangen damit, dass die Planer eingestehen mussten, dass sie selbst bei den Ausbauplänen zu den Hauptachsen hinterherhinkten und eigentlich auch keine Idee hatten, wie der ÖPNV in Leipzig einmal attraktiv ausgebaut werden könnte.
Damit sie auf Ideen kamen, beauftragte der Stadtrat die Planer, ihm mindestens zwei Varianten für die künftige Mobilitätsstrategie vorzulegen. Ein Auftrag, den die Stadt tatsächlich erfüllte. Sie legte sogar einen ganzen Stapel vor – vom Weiter-so-Modell bis zur Nachhaltigen Mobilitätsstrategie.
2018 beschloss der Stadtrat eben das ambitionierteste Modell: die Nachhaltige Mobilitätsstrategie. 2019 wurde die erstmals im neuen Nahverkehrsplan verankert. Und weil man in dem ganzen Prozess merkte, dass für ein ambitioniertes Erweiterungsprogramm überhaupt keine Pläne vorlagen, gab es dann 2020 den Rahmenplan obendrauf.
Mit dem mehr als dezenten Hinweis auf die nicht funktionierende Organisationsstruktur, „eine Vielzahl der bisher im Mobilitätsbereich zwischen den beteiligten Partnern bestehenden Gremien und Regelterminen“, wie sie die Vorlage des VTA beschreibt.
„Exemplarisch können die ehemalige ‚Bedarfskonferenz‘ oder auch die ‚Leiterberatung‘ zwischen VTA und L-Gruppe genannt werden.“
Beide haben also mehr schlecht als recht funktioniert und sollen jetzt endlich ersetzt werden. Durch einen „Lenkungsausschuss Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030“, also eine Taskforce oder Steuerungsgruppe. Es ist egal, wie man es nennt.
Umsetzung bis (spätestens) 2032
Dazu kommen dann noch vier Steuerungsgruppen, die sich um Infrastruktur, Nachhaltige Mobilität, Verkehrsmanagement und die (Neu-)Aufteilung des Verkehrsraums kümmern. Denn wenn die Straßenbahnen hier zügig rollen sollen, muss aufgeräumt werden, müssen Ampelschaltungen anders werden und Kreuzungen sich verändern.
Und natürlich ist man sich in der Verwaltung bewusst, dass die Hindernisse oft gar nicht draußen auf der Straße liegen, sondern im (Nicht-)Zusammenspiel der Ämter.
„Für etwaige Zielkonflikte, die im Zuge der Realisierung von Maßnahmen zutage treten, versucht das Kernteam amtsübergreifend eine gemeinsame Lösung zu finden. Eine weitere, wesentliche Aufgabe des Kernteams ist es, die abschließende Priorisierung über die eingesetzten Ressourcen (Personal und Finanzen) vorzunehmen. Zudem wird hier die Kommunikation zum Rahmenplan und zur Mobilitätsstrategie an sich vorabgestimmt“,
Zur Beschleunigung der Bahnen auf den Hauptachsen will die Stadt insgesamt 666,8 Millionen Euro einsetzen. Bis 2032 soll das Programm umgesetzt sein. Auf die LVB entfallen dabei Investitionskosten von 292,1 Millionen Euro, auf die Stadt 210,3 Millionen. Beschließen muss das der Stadtrat nicht extra, denn das kann die Verwaltung allein organisieren.
Die Lenkungsgruppe ist direkt dem Oberbürgermeister unterstellt, auch wenn die Leitung bei Baubürgermeister Thomas Dienberg liegt. Und bestehen bleiben soll sie, bis alle Maßnahme zur Beschleunigung auf den Hauptachsen auch umgesetzt sind.
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