Man freut sich ja, dass der neue Energie- und Klimaschutzplan (EKSP) der Stadt Leipzig mit 83 einzelnen Maßnahmen untersetzt ist. Aber wenn man diese dann genauer aufblättert, sind die meisten mit viel zu wenig Geld untersetzt und die allerwenigsten haben ein Zieljahr, wann sie vollständig umgesetzt sein sollen. Das trifft auch auf alle Einzelmaßnahmen zur Mobilität zu. Ohne Mobilitätswende aber gibt es keine Klimaneutralität.
Der wichtigste Brocken steckt in Maßnahme „IV.13 Weiterentwicklung des Verkehrsangebotes im ÖPNV/SPNV“ des EKSP, eine Maßnahme, bei der man eigentlich schon konkrete Umsetzungsschritte erwartet hätte, denn der Beschluss des Stadtrates zum nachhaltigen Mobilitätskonzept stammt von 2018, der Beschluss zum aktuellen Nahverkehrsplan aus dem Jahr 2019.
2022 sollte eigentlich schon die Evaluation des Nahverkehrsplans vorgelegt werden, weil sich die Ratsversammlung 2019 sicher war, dass der gerade beschlossene Plan nicht im geringsten dem im selben Jahr ausgerufenen Klimanotstand genügt.
Aber eines ist dem Stadtrat bis heute nicht gelungen: Die Planer aus ihrem alten Trott zu befreien.
Schritte und Stufen
Der so wichtige Punkt im Maßnahmenplan lautet schlicht: „Die Maßnahme beinhaltet die schrittweise Erweiterung des Angebots durch Taktverdichtungen, Ausweitung Bedienzeiten, Neuordnung des Bus- und Straßenbahnnetzes, effizientere Linienführung und die Erschließungsverbesserung in den Stadtrandlagen.“
Im Grunde wird sogar vertröstet auf eine „Stufenweise Umsetzung Projekt ‘Netz24’ ab 2024 (Lösungsansätze für Untersuchungsaufträge U1, U4, U5a des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig)“.
Das „Netz 24“ der Leipziger Verkehrsbetriebe liegt noch gar nicht vor. Und es wird sich weiter verzögern, wie man der im Juli bereitgestellten Vorlage „Projekt Netz24 – zentraler Baustein zur Umsetzung des Nahverkehrsplans“ entnehmen kann.
Denn augenscheinlich sind nicht nur reihenweise Fahrer und Fahrerinnen der LVB an Corona erkrankt, sodass der Fahrbetrieb zeitweise kräftig eingeschränkt werden musste. Die Planer haben sich augenscheinlich ebenso fleißig angesteckt.
Denn: „Aufgrund der zwei Pandemiejahre, die von erheblichen personellen Einschränkungen aufseiten der LVB und der Stadt geprägt waren, konnten einige Maßnahmen und Untersuchungsaufträge der Zweiten Fortschreibung des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig bisher noch nicht wie geplant begonnen und umgesetzt werden. Die Verschiebung der Evaluierung des Nahverkehrsplans von 2022 auf 2023 wird daher als zweckmäßig erachtet.
Diese Verschiebung folgt auch der geplanten Evaluierung der Mobilitätsstrategie 2030 im Jahr 2022. Die Ergebnisse haben maßgeblich Einfluss auf den Nahverkehrsplan. Zudem werden für 2023 erste Ergebnisse aus dem Projekt Netz24 erwartet, das nicht zuletzt eine Vielzahl der Untersuchungsaufträge des Nahverkehrsplans aufgreift und das im Rahmen dieser Informationsvorlage vorgestellt wird.“
Erst für die Südsehne gibt es eine Machbarkeitsstudie
Womit der nächste Nahverkehrsplan, den der Stadtrat eigentlich für 2023 bestellt hatte, nun frühestens 2024 kommt. Und die Umsetzung der Mobilitätsstrategie verzögert sich immer weiter.
Von den drei beauftragten Netzerweiterungen haben die Planer nur eine bisher geschafft abzuarbeiten.
„Im Zuge dieser Vorlage wurde der sofortige Planungsbeginn für drei Netzerweiterungen der Priorität 1 beschlossen (Südsehne, Wahren4Link, Verlängerung Thekla-Süd)“, heißt es da.
Und zur konkreten Umsetzung: „Für die Südsehne wurde im Auftrag der LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH und unter inhaltlicher Federführung des Verkehrs- und Tiefbauamtes in den vergangenen Monaten eine Machbarkeitsstudie erarbeitet. Die Untersuchung wurde im ersten Quartal 2022 abgeschlossen. Auf dieser Basis wird gegenwärtig eine Ratsvorlage erarbeitet und die Kommunikation der Ergebnisse vorbereitet.
Die Bearbeitung der Machbarkeitsstudie für Wahren inkl. einer Straßenbahnneubaustrecke zum S-Bf. Wahren beginnt in Kürze. Die Machbarkeitsuntersuchung für die Maßnahme Netzerweiterung Verlängerung Thekla Süd hat zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht begonnen.“
Was natürlich nicht reichen wird, um den Anteil des ÖPNV an den verschiedenen Verkehrsmitteln von 17,5 auf 23 Prozent zu erhöhen.
Doch der Stadtrat muss noch warten auf die Liste weiterer Netzerweiterungen: „Entsprechend des o. g. Ratsbeschlusses ist ein weiterer Beschluss zur prioritären Einordnung der sich daran anschließenden Netzerweiterungen und Trassenfreihaltungen vorgesehen. Zur Vorbereitung dieses Beschlusses erfolgt in den nächsten Monaten eine vertiefte Bewertung weiterer möglicher Netzerweiterungen hinsichtlich baulicher Machbarkeit, verkehrlicher Wirkungen und Wirtschaftlichkeit (sog. 2. Priorisierungsstufe).“
Nadelöhr Promenadenring
Dass dabei der Promenadenring das Nadelöhr ist, an dem bisher vor allem Taktverdichtungen und neue Linien scheitern, ist den Planern eigentlich auch schon seit Jahren bewusst. Doch so nebenbei teilen sie jetzt mit, dass es die versprochene Vorlage zum Umbau des Promenadenrings 2022 nicht mehr geben wird.
„Zur Untersuchung von Möglichkeiten einer Optimierung der Leistungsfähigkeit des Promenadenringes für den Straßenbahnverkehr haben die Stadt Leipzig und LVB eine Studie (Infrastrukturentwicklung Netzkern Teil A und Teil B/ STADTBAHNGESTALTUNG) beauftragt, die sich mit einem möglichen Infrastrukturausbau im Netzkern beschäftigt. Die Ergebnisse dieser Studie fließen in das in Erarbeitung befindliche ‚Stadtraumkonzept erweiterte Innenstadt‘ ein, das sich mit der zukünftigen Gestaltung des Promenadenringes beschäftigt.“
Das Problem lautet hier nämlich:
„Nach den im Rahmen des Szenarienprozesses angestellten Berechnungen ist davon auszugehen, dass der nördliche Promenadenring mit den Haltestellen Hauptbahnhof und Goerdelerring keine ausreichende Kapazität zur Aufnahme des bis 2030 erwarteten Fahrgastzuwachses hat. Aufgrund des langen Planungs- und Beteiligungsvorlaufs ist deshalb bereits im Zeithorizont des Nahverkehrsplans eine gesamtheitliche Untersuchung der Möglichkeiten einer Optimierung der Leistungsfähigkeit des Promenadenrings durchzuführen.
Als Optionen sind u. a. eine verstärkte Nutzung des südlichen Promenadenrings (mit zusätzlicher Abzweigung am Augustusplatz und Erweiterung der Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz), eine Erweiterung der Haltestelle am Hauptbahnhof auf sechs Gleise sowie eine Entlastung durch zusätzliche tangentiale Verkehrsangebote in die Überlegungen einzubeziehen. Dabei gilt es auch, Ideen eines Straßenbahntunnels zu bewerten.“
Die Planung für einen Straßenbahntunnel können die Beteiligten sofort vergessen. An dessen Planung, Finanzierung und Bau ist bis 2030 nicht mal im Traum zu denken.
Straßenbahnen im Stau
Die Stadt kommt gar nicht umhin, den Promenadenring völlig anders zu organisieren – und zwar weit vor dem Jahr 2030. Denn die Probleme für die Straßenbahnen tauchen nicht erst auf dem Ring auf. Sie beginnen schon auf den zuführenden Radialen, wie es im Prüfungsfeld „Leistungsfähigkeit innere Radialen“ heißt:
„Auf einer Reihe von inneren Radialstrecken, insbesondere in Ost-West-Richtung, auf denen der Straßenbahnverkehr nicht separat vom Individualverkehr geführt wird, werden sich bereits bestehende Kapazitätsengpässe und Verzögerungen durch Kfz-Rückstau und Eigenbehinderungen noch verschärfen, wenn zur Abwicklung des Fahrgastzuwachses eine Taktverdichtung erforderlich wird.
Dies gilt insbesondere für die Innere Jahnallee, die Käthe-Kollwitz-Straße, die Innere Eisenbahnstraße, die Dresdner Straße und die Antonienstraße. Bei zunehmendem Verkehrsaufkommen werden sich an diesen ‚Sperrriegeln‘ mit hohem Staupotential die Zeitverluste für den ÖPNV weiter erhöhen. Deshalb werden rechtzeitig, noch vor 2024, umfassende und alle Verkehrsarten einbeziehende Untersuchungen durchzuführen und vorbereitende Planungen einzuleiten sein.“
So beschlossen 2019 mit dem Nahverkehrsplan.
Aber auch das Problem der Radialen soll im versprochenen „Stadtraumkonzept erweiterte Innenstadt“ mit betrachtet werden. Was das genau bedeutet, wird nicht erklärt. Die Ratsfraktionen werden im Grunde vertröstet. Die Straßenbahnnutzer sowieso.
Eine einzige Verbesserung gab es seit dem Beschluss zum Nahverkehrsplan 2019: Die Taktverdichtung auf Linie 14 im Jahr 2021, die schon lange überfällig war.
Ab 2024 werden dann die neueren, mit 2,40 Meter deutlich breiteren Straßenbahnen im Leipziger Gleisnetz zum Einsatz kommen. Aber das wird nicht reichen, um deutlich mehr Autofahrer zum Umstieg auf die Straßenbahn zu bewegen. Und damit im Bereich Mobilität tatsächlich zu einer deutlichen Senkung des CO₂-Ausstoßes beizutragen.
Die Grafik mit dem Leipziger CO₂-Aufkommen seit 2011 zeigt, dass es beim Verkehr so gut wie keine Einsparung bei Treibhausgasen bis 2019 gab, anders als beim Energieverbrauch in Wirtschaft und Haushalten. Die leichte Absenkung der Pro-Kopf-Zahl geht lediglich darauf zurück, dass sich das Gesamtaufkommen durch das Bevölkerungswachstum auf mehr Köpfe verteilt.
Und ein Blick auf die Entwicklung beim Modal Split (ganz oben) zeigt, dass der ÖPNV eher noch Anteile eingebüßt hat und an 25 Prozent Anteil an allen Wegen bis 2025 überhaupt nicht zu denken ist.
Was eben auch viel damit zu tun hat, dass Leipzigs Planer die Dringlichkeit des 2018 beschlossenen Mobilitätskonzepts noch gar nicht verinnerlicht haben und auch keine Vorstellung davon haben, was alles bis 2030 passieren muss, wenn Leipzig seine Klimaschutzziele überhaupt ernst nehmen will.
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