Eigentlich ist ÖPNV ein Superthema in der Klimadiskussion, die Leipzig seit 2019 endlich intensiver beschäftigt. Wenn der Autobesitz in Leipzig deutlich zurückgehen soll, müssen mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. So betrachtet waren die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 eine Katastrophe für die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). Die Fahrgastzahlen stürzten von 152,5 erst auf 104,2 und dann 2021 auf 102,8 Millionen ab.
Am Mittwoch, 1. Juni, stellte nicht nur die LVV ihr Jahresergebnis für 2021 vor – das gerade durch die guten Ergebnisse von Stadtwerken und Wasserwerken wieder positiv ausfiel. Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) legten ihre Bilanzzahlen vor und bekamen Streicheleinheiten. Denn für den massiven Fahrgasteinbruch in den beiden Corona-Jahren können sie ja nichts.
Das erwischte den ÖPNV überall in Deutschland – viele Menschen mieden die Bahnen und Busse, fuhren lieber Rad oder stiegen auf den Pkw um, weil das mehr Sicherheit vor möglichen Ansteckungen versprach. Die Maskenpflicht in den Fahrzeugen schreckten manche Nutzer ebenfalls ab und viele Erwerbstätige nutzten natürlich auch die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten und damit dem täglichen Pendeln zur Arbeit zu entgehen.
Der Blick über den Tellerrand fehlt
Wer freilich eine konkretere Untersuchung des Rückgangs der Fahrgastzahlen im Geschäftsbericht der LVB erwartet hätte, wird enttäuscht. Die Analyse dazu ist denkbar kurz. Ganz so, als hätte man die Entwicklung nur auf dem Computerbildschirm des Buchhalters verfolgt.
„Die Linieneinnahme als wesentlicher Teil der Verkehrserlöse lag im Geschäftsjahr mit 84,9 Millionen Euro um 5 Millionen Euro unter dem Niveau des Vorjahreszeitraumes und um 18,3 Millionen Euro unter dem des letzten Geschäftsjahres vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Die im vierten Quartal 2021 einsetzende vierte Infektionswelle verlief somit viel negativer, als in dem für den Wirtschaftsplan unterstellten Pandemieszenario angenommen“, kann man im Geschäftsbericht lesen.
„Während die hohe Zahl der Vertragskunden im Verlauf des Jahres 2020 den Rückgang der Linieneinnahmen gegenüber dem Einbruch der Fahrgastzahlen gedämpft hat, führte die im Jahr 2021 zu beobachtende zwischenzeitliche Erholung der Fahrgastzahlen aufgrund einer Mehrnutzung des ÖPNV durch Vertragskunden zu keinem entsprechenden Zuwachs der Einnahmen.“
Da stellt man sich tatsächlich so eine Art Beobachter auf einem LVB-Turm vor, der da aus luftiger Höhe beobachtet, was da auf dem Erdboden vonstattengegangen sein könnte.
Was tatsächlich geschehen ist, kann man eher im Ergebnisbericht zur „Bürgerumfrage 2020“ der Stadt Leipzig nachlesen, wo tatsächlich die Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Leipziger/-innen abgefragt wurde. Unter anderem mit dem Ergebnis: „Erkennbar ist, dass die Nutzung des ÖPNV ab- und die Fortbewegung per Fuß oder Fahrrad bei der Bewältigung aller Wege zunimmt.“
Die beiden Grafiken haben wir zum Vergleich hier untereinander gestellt. Man sieht hier die deutlichen Verluste des ÖPNV gerade auf den Wegen zur Arbeit gegenüber dem Fahrrad und dem Auto. Dasselbe aber auch bei Wegen in die Innenstadt und bei Freizeit und Erholung. Wo immer es ging, mieden also viele Leipziger die Bahnen und Busse.
Aber es erklärt nicht wirklich die massiven Fahrgastverluste der LVB. Denn die Abonnenten blieben den LVB ja treu, wie diese selbst betonen, die sogenannten „Vertragskunden“.
Die über 18 Millionen Euro an Mindereinnahmen bei den Linieneinnahmen entstanden ganz woanders: bei den Nutzern nämlich, sie auch sonst nur sporadisch mit den Bahnen und Bussen fuhren und jenen, die zu Konzerten, Festivals und anderen Veranstaltungen nur kurz in der Stadt weilen. Leuten also, die sich in der Regel ihr Ticket am Automaten kaufen. Oder an den Automaten in den Bahnen verzweifeln, weil die mal wieder kaputt sind.
Die Rolle einer lebendigen City für den ÖPNV
Die Fahrgastzahlen brachen in dem Moment ein, in dem einerseits sämtliche großen Feste und Veranstaltungen abgesagt wurden, angefangen mit der Buchmesse 2020, die sofort das komplette Veranstaltungspublikum ausfallen ließen. Und noch viel drastischer wirkten sich die langen Schließzeiten Leipziger Kultureinrichtungen und Gaststätten aus. Die Bilder der menschenleeren Innenstadt sind mittlerweile legendär.
Und dazu kamen dann noch monatelange Ausdünnungen sämtlicher Taktzeiten auch auf den Hauptlinien, weil reihenweise Fahrer wegen Corona-Infektionen ausfielen. Das Fahrpersonal, das ja nun einmal im täglichen Menschengewühl arbeitet, wurde logischerweise nicht verschont von den Ansteckungen. Wobei die LVB ja schon seit Jahren um Personal kämpfen, weil jetzt etliche der Fahrer in den Ruhestand gingen, die schon in den 1990er Jahren dabei waren.
Und Corona machte auch noch das Recruiting schwerer, wie man im Geschäftsbericht nachlesen kann. 885 Mitarbeiter/-innen beschäftigten die LVB im Jahr 2021, davon 361 eigene Fahrer/-innen im Fahrdienst (31 weniger als 2020) – plus die Fahrer/-innen, die bei der LVB-Tochter Leipziger Stadtverkehrsbetriebe (LSVB) beschäftigt sind. 650 nach Angaben auf deren Website.
Die Erkrankungswellen sorgten also für spürbare Einschränkungen im kompletten Fahrbetrieb – auch auf den Hauptlinien.
So gesehen eine denkbar ungünstige Ausgangslage, für das Jahr 2022 irgendwelche Prognosen abzugeben, auch wenn schon ein Ereignis wie das Stadtfest und das parallele Wave Gotik Treffen zeigen, wie schnell die Bahnen wieder rammelvoll sind, wenn die Menschen nur wieder in die Innenstadt strömen.
Werden es wenigstens 127 Millionen?
Der Geschäftsbericht malt die Zukunft dann auch entsprechend grau: „Es zeichnet sich ab, dass mit dem Anhalten der Pandemiesituation sowohl die Anzahl der beförderten Fahrgäste als auch die daraus resultierenden Linieneinnahme bzw. Verkehrserlöse deutlich unter dem im Wirtschaftsplan formulierten Erwartungen liegen werden. (…) Nach derzeitiger Einschätzung ist mit rund 16 Millionen Fahrgästen weniger, als im Wirtschaftsplan angenommen, zu rechnen. Auch die Erwartung hinsichtlich der Linieneinnahme muss um rund 7 Millionen Euro reduziert werden. Die auszugleichenden Schäden werden sich somit entsprechend erhöhen.“
Keine ermutigenden Worte, nachdem die Verluste 2021 durch den von Bund und Land aufgespannten ÖPNV-Rettungsschirm in Höhe von 20,2 Millionen Euro noch einmal aufgefangen werden konnten und die LVV auch den übrig bleibenden Verlust am Jahresende in Höhe von 5,6 Millionen Euro noch ausglich.
Noch so ein Jahr wie 2021 können sich die LVB eigentlich nicht leisten. Trotzdem prognostizieren sie für 2022 vorsichtig erst einmal nur 127 Millionen Fahrgäste. Das ist sogar noch vorsichtiger als 2021, als man noch auf 130 Millionen hoffte.
So wie man auch hoffte, dass die Anschaffung neuer Straßenbahnen die Fahrgastzahlen deutlich erhöhen würde. Doch 2021 konnten auch nicht alle geplanten XL-Straßenbahnen gekauft werden. Die Anschaffung der noch fehlenden Fahrzeuge wurde ins Jahr 2022 verschoben, sodass erst in diesem Jahr alle 61 Bahnen im Future-Design in Leipzig rollen werden.
Was eben auch dazu führte, dass von den geplanten 65 Millionen Euro an Investitionen zur Anschaffung neuer Fahrzeuge 2021 nur knapp 39 Millionen auch ausgegeben werden konnten.
Corona hat das Unternehmen also gleich mehrfach gebeutelt. Und es hat gezeigt, wie stark geöffnete Gaststätten und Innenstadtläden, Konzerte, Feste und – nicht zu vergessen – Messen zu den Fahrgastzahlen der LVB beitragen. Und wie schwer sie ins Gewicht fallen, wenn all das coronabedingt nicht mehr in die City zieht.
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