Man wird ihn vermissen, den Piraten-Stadtrat Thomas Köhler, der aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen sein Stadtratsmandat abgeben musste. Wie kein anderer hat er im Stadtrat die vielen massiven Behinderungen der Leipziger Straßenbahn durch rücksichtslose Kraftfahrer thematisiert. Auf Anfrage von Christoph Meißner hin, hat die Stadt jetzt auch mal ein paar Zahlen herausgerückt.

Und die sind durchaus heftig, auch wenn sie auf den ersten Blick recht überschaubar zu sein scheinen, wie das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) mitteilt:

„Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) erfassen ihre Leistungserbringung und Störungen kontinuierlich im Rahmen der operativen Verkehrssteuerung durch die Leitstelle. Dabei erfolgt seit August 2019 eine vergleichbare und entsprechend auswertbare Erfassung aller Vorkommnisse. Bei den angefragten Daten handelt es sich um eine interne Statistik der LVB, die nicht an Dritte weitergegeben werden kann und die der Stadtverwaltung nicht vorliegt. – Die LVB teilten mit, dass im Zeitraum von August 2019 bis Ende 2021 im gesamte Liniennetz der LVB ca. 2.700 Störungen mit einer Gesamtdauer von ca. 1.600 Stunden durch andere VerkehrsteilnehmerInnen verursacht wurden.“

100 nennenswerte Störungen pro Monat – und das ist nicht alles

Das sind trotzdem rund 100 nennenswerte Störungen im Monat. Und dabei rechnen die LVB Störungen unter 15 Minuten schon gar nicht dazu, die in einigen Stunden des Berufsverkehrs durchaus öfter auftreten. Jeder Straßenbahnnutzer weiß, dass schon 15 Minuten genügen, um auch den kompletten Fahrplan der nachfolgenden Bahnen durcheinander zu bringen.

Wobei auf solche Staus im Berufsverkehr nur ein Drittel der gemeldeten Vorfälle zurückgehen: Etwa 35 % werden dem hohen Verkehrsaufkommen im Individualverkehr zugerechnet.

Aber 32 % gehen dann auf Fremdunfälle auf der Fahrbahn bzw. Schiene zurück. Was dann im Jahr rund 370 Verkehrsunfälle sind, die den Straßenbahnverkehr an einer Stelle im Netz zum Erliegen bringen. Meist müssen dann weiträumige Umleitungen organisiert werden.

Dauerproblem: Falschparker

Aber das Sahnehäubchen sind dann die 20 % Falschparker, was aufs Jahr gerechnet eben auch 230 Fälle sind, wo gedanken- oder rücksichtslose Autofahrer ihre Pkw einfach im Gleisbereich der Straßenbahn abstellen. Es sind also nicht nur Einzelfälle, sondern es ist ein verbreitetes Phänomen. Und berechtigterweise fragte Köhler immer wieder nach, wie die Stadt mit diesen Leuten umgeht.

Und bei solchen Fällen tritt dann in der Regel das Leipziger Ordnungsamt in Aktion. Was dann auch von der Stadt registriert wird.

„Die Stadtverwaltung kann ergänzend die Störungsmeldungen wiedergeben, die seitens der LVB bzw. der Bürgerschaft an die Einsatzstelle des Ordnungsamtes gegeben wurden“, teilt das VTA mit. „In der beigefügten Statistik sind die hierzu ermittelten Meldungen für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.03.2022 in anonymisierter Form aufgeführt. Aus den Daten des Ordnungsamtes geht u.a. hervor, dass in 2021 108 Abschleppmaßnahmen eingeleitet wurden, die aus Störungen des ÖPNV resultierten.“

Die Liste des Ordnungsamtes zu Störungen im Straßenbahnverkehr.

Mal eben schnell zum Bäcker …

Die Statistik zeigt dann, wie das munter mit Jahresbeginn losgeht: am 2. Januar 2021 gleich mit einem Falschparker in der engen Gleiskurve der Wolfener zur Lindenthaler Straße. „Kfz-Halter kam hinzu“, heißt es in der Störungsliste. Da war wohl jemand „nur mal schnell zum Bäcker“, die Linie 4 aber hatte wieder etliche Minuten Verspätung weg. Am 6. Januar dasselbe in der Holzhäuser Straße. Hier also am anderen Ende der Linie 4.

Besonders frech am 14. Januar 2021 ein Kfz-Halter, der einfach mal den Haltestellenbereich in der Virchowstraße/Coppistraße zuparkte. Dasselbe fünf Tage später an der Haltestelle Coppistraße/Lindenthaler Straße. Usw., möchte man sagen. Sie können die Liste hier ja selbst lesen.

Im separaten Bahnkörper gelandet

Aber genauso ärgerlich ist es, wenn Kraftfahrer aus lauter Ablenkung in den besonderen Bahnkörper der Straßenbahn brettern und dann mit schwerem Hebegerät erst geborgen werden müssen. Das betraf immerhin 7 % der Fälle.

Die 375 Fälle, die das Ordnungsamt aufgelistet hat, sind nach Auskunft des VTA auch nicht vollständig, weil der Außendienst des Ordnungsamtes viele Fälle eigenständig erfasst und löst und sie damit auch nicht in der Liste auftauchen.

Aber beispielhaft ist sie trotzdem, weil sie zeigt, dass gerade das Zuparken von Gleisanlagen nicht nur an Schwerpunktengstellen wie am Diakonissenhaus in der Georg-Schwarz-Straße passiert, sondern sämtliche Straßenbahnlinien betrifft und das immer wieder auch an stark befahrenen Stellen, wo alle 5 Minuten eine Bahn durchkommt, der Autofahrer also auch nicht behaupten kann, er habe nicht damit gerechnet, dass hier eine Bahn kommt – etwa in der Eisenbahnstraße oder der Odermannstraße.

Verblüffend oft verzeichnet die Liste aber auch zugeparkte Haltestellen, was eigentlich nur noch davon erzählt, dass einige Kfz-Halter auf die StVO gründlich pfeifen, wenn sie ihr Auto „schnell mal irgendwo abstellen“ wollen.

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Gibt es eine Erklärung dafür, warum im Dezember 2021 die Fälle immer doppelt in der Liste aufgeführt werden?

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