Anlässlich der kommenden Markierung von Radfahrstreifen am Dittrichring hat sich der ADAC Sachsen mit stark verkürzenden Aussagen über die LVZ am 27. Januar 2022 an die Öffentlichkeit gewandt und von einer „Zerstörung des Verkehrssystems“ gesprochen. Zu den teils vernunftwidrigen Aussagen bezieht der ADFC Leipzig Stellung und macht auf die undifferenzierten Behauptungen und die ungenaue Nutzung von Statistik aufmerksam.
Warum braucht es Radwege am Ring?
Entlang des Dittrichrings werden im Frühjahr Radfahrstreifen markiert. Dafür wird einer der bestehenden Fahrstreifen je Richtung dem Kfz-Verkehr entzogen und dem Radverkehr zur Verfügung gestellt. Für eine hochbelastete Hauptverkehrsstraße wie den Dittrichring schreibt das technische Regelwerk vom Kfz-Verkehr getrennte Radverkehrsanlagen vor.
Trotz des Rückgangs des Kfz-Verkehrs am Dittrichring in den letzten Jahren hat sich daran nichts geändert. Dies war bislang nur nicht notwendig geworden, da Verkehrsverbot für den Radverkehr angeordnet war.
Durch das Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 6. September 2018, das die Stadtverwaltung zur Aufhebung des Verkehrsverbots nach mehreren Jahrzehnten zwingt, ist es nun an der Zeit zu handeln und dem Radverkehr angemessene sichere Flächen zur Verfügung zu stellen. Dazu kommt noch der Stadtratsbeschluss vom Oktober 2021, der die Verwaltung zum Handeln auffordert.
Ein Stauchaos im Autoverkehr, wie vom ADAC befürchtet, wird aber ausbleiben. Da die Kapazität von Straßen sich im Wesentlichen an den Knotenpunkten entscheidet und hier weiterhin mehrere Fahrstreifen für den Kfz-Verkehr zur Verfügung stehen, wird das Verkehrssystem nicht zusammenbrechen oder zerstört. Im Gegenteil: Es wird ein Angebot für die schwächeren Verkehrsteilnehmenden geschaffen, zu denen auch Radfahrende gehören!
Für zahlreiche Wegerelationen (und Anlieger/-innen) sind die schlecht gestalteten Fahrradstraßenabschnitte auf dem inneren Dittrichring keine Alternative und bedeuten unnötige Umwege, Wartezeiten und Querungen.
Exkurs: Gleichzeitig werden die Bemühungen der Stadt in der Radverkehrsförderung im Durchschnitt mit einer 3,5 bewertet (1 = viel zu viel, 5 = viel zu wenig). 71 % der Radfahrenden, die regelmäßig und viel das Fahrrad nutzen, bewerten die Aktivitäten der Stadt Leipzig überwiegend „eher zu wenig“ und „viel zu wenig“. Wer viel Fahrrad fährt, bekommt die Mängel eben überdeutlich zu spüren. Aus all dem kann man also ableiten, dass durchaus vieles für neue „Radwege“ am Ring spricht.
Die Bürger/-innen wünschen es sich, es gibt einen demokratischen Stadtratsbeschluss, es gibt Regelwerke mit klaren Einsatzkriterien für unterschiedliche Radverkehrsanlagen und es gibt ein Gerichtsurteil. Die Forderungen der Demonstrierenden decken sich mit denen der demokratisch gewählten Abgeordneten im Stadtrat, der am 08.07.2020 mit 39/10/11 Stimmen, also großer Mehrheit, als Ziel festgelegt hat: „Der Radverkehr soll vollständig auf dem Promenadenring und als Verbindungsstufe IR II geführt werden.“
Der ADAC argumentiert wie folgt:
Das Auto sei das „beliebteste Verkehrsmittel“, das für den Großteil aller Wege genutzt werde. Es gäbe 268.000 stille Kfz-Halter/-innen, die durch eine „kleine laute“ Gruppe von Radaktivist/-innen hier nun mit problematischen Änderungen konfrontiert werde. Das Wachstum des Kfz-Bestands zeige, dass ein genereller Verzicht auf den eigenen Pkw für viele Bürger/-innen nicht denkbar sei. Die Corona-Pandemie habe die Verkehrsmittelnutzung verändert, was es zur Kenntnis zu nehmen gelte.
Beliebtestes Verkehrsmittel: Zu Fuß, ÖPNV, Fahrrad
Die Behauptung, dass das Auto das beliebteste Verkehrsmittel ist, was für den Großteil aller Wege genutzt werde, ist falsch. Der Radverkehrsanteil in Leipzig an der Verkehrsmittelnutzung (sog. Modal Split) steigt seit Jahren sichtbar an und liegt im Mittel bei ca. 19 % (1991: 5,8 %). Das vom Stadtrat beschlossene Nachhaltigkeitsszenario peilt ein weiteres Wachstum bis 2030 auf 23 % Anteil am Modal Split (die Aufteilung der unterschiedlichen Verkehrsmittel) an.
Dieser Wert ist in den innenstädtischen Bereichen meist ohnehin schon erreicht. Für die Wege in die Innenstadt, die dem ADAC ja so am Herzen liegt, nutzen die meisten Leipziger/-innen den Umweltverbund aus ÖPNV, zu Fuß und eben das Fahrrad. Das hat inzwischen einen Anteil von 24 % (siehe Abbildung „Verkehrsmittelnutzung nach Art des Weges“).
Der Modal-Split Anteil des Autoverkehrs sinkt ebenso seit Jahren und liegt im Mittel über alle Wegearten bei 36,5 %. Vom Hoch im Jahr 2003 (44 %) also ein Rückgang um 8 Prozentpunkte. Auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen liegt der Wert etwas höher. Zur Ausbildung und in der Freizeit darunter. Es ist also ein differenziertes Bild und keinesfalls „das beliebteste Verkehrsmittel auf dem Großteil aller Wege“.
Zahlensalat
Mit dem Bevölkerungswachstum der letzten Jahre ist allerdings unbestreitbar der Bestand an Kfz in Leipzig angestiegen. Hinter den vermeintlichen 268.000 Kfz-Halter/-innen, die der ADAC nennt, verbergen sich aber alle Kfz in der Stadt und schließen Dienstwagen, Lkw, Zugmaschinen, Busse und weitere mit ein. Betrachtet man nur die Pkw (inkl. gewerbliche Halter/-innen) stehen in Leipzig laut Kraftfahrbundesamt 232.677 Pkw (in 2018).
Diese ganzen Pkw verteilen sich nun so auf die Leipziger Haushalte, dass der Wert der Pkw-Verfügbarkeit mit 382 Pkw je 1.000 Einwohner (oder 332 Pkw je 1.000 Einwohner ohne gewerbliche Halter/-innen) angegeben werden kann. Diese Pkw-Verfügbarkeit hat sich in den letzten Jahren kaum verändert und ist leicht rückläufig. Trotz Bevölkerungs- und Pkw-Wachstum besitzen also die Haushalte eher etwas weniger Pkw.
(Eine Randnotiz dabei ist, dass das Pkw-Wachstum stark vom überdurchschnittlichen Wachstum der gewerblichen Pkw getrieben ist, der in den letzten 10 Jahren im Schnitt um 2,3 % wuchs. Der Bestand der Privat-Pkw hingegen wuchs im Schnitt um 1,7 % im gleichen Zeitraum.)
Das Fahrrad ist das am häufigsten in den Leipziger Haushalten vertretene Verkehrsmittel. 74 % der Haushalte verfügen über mindestens ein Fahrrad. Die Fahrrad-Verfügbarkeit liegt damit bei ca. 955 je 1.000 Einwohner.
Sind nun alle diese Pkw-Halter/-innen täglich von ihrem Auto abhängig? Bedenkt man, dass in der Stadt über die Hälfte aller Wege kürzer als 5 km sind und gut mit dem Fahrrad zu bewältigen wären und in jedem Auto im Schnitt nur 1,2 Personen sitzen, werden die ersten Ineffizienzen des Verkehrsmittels Auto sichtbar.
Eine Erhebung in Bremen hat gezeigt, dass sogar ca. 25 % der Pkw mehr als drei Tage gar nicht bewegt werden. Einen generellen Verzicht auf den Privat-Pkw, wie vom ADAC behauptet, fordert aber trotzdem niemand. Es geht um das Stärken von Alternativen.
Wenn der ÖPNV und das Radverkehrsnetz ausgebaut werden und ergänzende Angebote wie z.B. Carsharing stärker in der Fläche verankert werden, formuliert das Umweltbundesamt ein Ziel von 150 Pkw je 1.000 Einwohner für eine lebenswerte und stadtverträgliche Automobilität.
Und die wird es immer geben! Die neuen Radverkehrsanlagen am Ring stellen also vor diesem Hintergrund keine Gängelung des Autoverkehrs dar, sondern sind ein Angebot zur stärkeren Nutzung des Fahrrads oder zum Umstieg auf das Fahrrad für die Interessierten 62 % der Leipzigerinnen und Leipziger, die mehr mit dem Fahrrad fahren würden, wenn die Radinfrastruktur besser ausgebaut wäre (Kommunale Bürgerumfrage 2020).
Corona = mehr Autoverkehr?
Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf die Post-Corona-Mobilität. Erste Langzeitstudien zeigen, dass das Auto nicht der klare Sieger der Pandemie-Mobilität ist, zu dem es der ADAC Sachsen machen möchte. In den Städten und Regiopolen gewinnt vor allem der Fuß- und Radverkehr neben dem Auto hinzu. Wie sich der ÖPNV angesichts der zu beobachtenden Verluste weiterentwickeln wird und welche Auswirkungen das Homeoffice haben wird, werden die nächsten Jahre zeigen.
Das Homeoffice wird aber bleiben und wird von vielen zumindest für einige Tage in der Woche gewünscht und wird ggf. zu weniger Autoverkehr im Berufsverkehr sorgen. Leitet sich daraus eine einseitig autofreundliche neue Verkehrsplanung ab? Die Antwort ist ein klares „Nein“.
Naturgewalt Auto?
Der Beitrag des ADAC Sachsen ist also, so konnten wir hoffentlich deutlich machen, stark verkürzt. Leider braucht es dann sehr viele Zeilen Text, um diese Fehldeutungen, Auslassungen und Unschärfen klarzustellen. Erschütternd ist jedoch das Fazit des Beitrags angesichts der Entwicklungen zum Klimaschutz, der fortschreitenden Flächenversiegelung und des Ressourcenverbrauchs. Der Autoverkehr in seiner heutigen Form ist keine Naturgewalt, die über uns kommt und der man mit einfachem Aus- und Neubau von Straßen begegnen kann. Dieses Denken ist zum Glück in Wissenschaft und Planung inzwischen überholt.
Die hohen gesellschaftlichen Kosten des hochsubventionierten weiterhin autodominierten Verkehrssystems sind einfach seit Jahrzehnten überdeutlich. CO2- und Schadstoffemissionen, Lärm und Unfälle schaden uns allen und der Umwelt. Zuviel Autoverkehr mindert die Lebensqualität in unseren Städten. Insbesondere der Flächenverbrauch für Stellplätze und Verkehrsflächen ist so hoch, dass für den Pkw-Zuwachs über die letzten zehn Jahre eine Fläche von 219 Fußballfeldern notwendig ist. Das ist einmal die vollständige Leipziger Innenstadt innerhalb des Rings. „Weiter so“ kann also keine Lösung sein und leider bietet der ADAC Sachsen keinerlei konstruktive Ideen.
Den Auftrag an die Stadtverwaltung und den Oberbürgermeister Burkhard Jung zur Umsetzung einer zügigen, sicheren und bequemen Fahrradmobilität am Innenstadtring meint man beim ADAC Sachsen mit einem nichtöffentlichen Brief an den Oberbürgermeister einfach unterlaufen zu können.
Und damit zugleich die jahrelange Arbeit sehr vieler ehrenamtlich tätiger Menschen sowie tausende, die sich an Demonstrationen und Aktionstagen friedlich und kreativ beteiligt haben. Der ADAC Sachsen scheint damit aus der Zeit gefallen und möchte scheinbar diejenigen benachteiligen, die auf das Auto tatsächlich angewiesen sind, in dem allen anderen Alternativen zur Verfügung gestellt werden.
Wenn der ADAC Sachsen eine ernsthafte Debatte zur Zukunft der Mobilität führen möchte, steht der ADFC Leipzig für Diskussionen und Austausch gern zur Verfügung.
* Robert Strehler ist Vorstandsvorsitzender des ADFC Leipzig e. V., der sich als gemeinnütziger Verein in Leipzig und Umgebung für die Stärkung des Umweltverbundes (Fahrrad, Fuß, ÖPNV, CarSharing) einsetzt.
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Keine Kommentare bisher
Umweltschutz, Platzmangel, Ressourcenverschwendung, Bewegungsmangel, Nervfaktor und Streß … war da was?!
Nö, sagt der ADAC, und argumentiert demagogisch mit der angeblichen Beliebtheit des Automobils, was wohl auch durch die gefährliche Infrastruktur für Radfahrer hervorgerufen wird, der nicht wenige Bürger zum Autofahren nötigt.
Und was nun also weiter zementiert werden soll, damit man anschließend mit der Beliebtheit des Automobils jede weitere Veränderung abwürgen kann.
Usw. usf….
Mit so einer “Argumentation” kann man doch nicht mehr ernst genommen werden, also wirklich!