Anfang der Woche war es Thema in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters: Die Leipziger Verkehrsbetriebe sollen bis zum Jahr 2044 Dienstleister für Busse und Bahnen in der Stadt Leipzig bleiben. Den entsprechenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag hat die Stadtspitze jetzt auf Vorschlag von Baubürgermeister Thomas Dienberg auf den Weg gebracht. Er wandert jetzt als Vorlage erst mal durch die Stadtrats-Ausschüsse. Denn dass die Betrauung jetzt mit einem gewissen Zeitdruck durchs Verfahren geht, hat auch mit einem Stadtratsbeschluss zu tun.
„Gemeinsam mit den Leipziger Verkehrsbetrieben möchten wir den ÖPNV in Leipzig in den kommenden Jahren weiter stärken. Unser Nachhaltigkeitsszenario ist ganz darauf ausgerichtet – dafür brauchen die LVB ihrerseits Verlässlichkeit“, sagt Thomas Dienberg.
Wobei hinter dem Wort „Verlässlichkeit“ etwas anders steckt. Das merkt die Vorlage nämlich mit den Worten an: „Im Rahmen des bestehenden Betrauungsmodells existiert Handlungsbedarf seitens der Stadt Leipzig infolge der am 18.12.2019 mit Stadtratsbeschluss erfolgten 2. Fortschreibung des Nahverkehrsplans (VI-DS-08001).“
Denn mit dem fortgeschriebenen Nahverkehrsplan hat der Stadtrat erstmals wieder Streckenerweiterungen beschlossen – und diese Pläne erstrecken sich weit über das Jahr 2028 hinaus. Denn der aktuell gültige Betrauungsvertrag der LVB läuft bis 2028.
Wenn ein Stadtrat seine Gestaltungsrechte wahrnimmt
Aber eigentlich war auch schon 2019 mit dem Beschluss zum nachhaltigen Mobilitätskonzept klar, dass die ganzen Tänze um die Neu-Betreuung der Verkehrsdienstleistungen Unfug sind – immer schon Unfug waren. Denn ein anderes Unternehmen mit den Verkehrsleistungen zu betrauen, löst ja die Probleme der Unterfinanzierung nicht. Und sie schafft auch nicht das direkte Zugriffsrecht, das der Stadtrat jetzt hat. Schon 2016, als er die Verwaltung mit der Erarbeitung eines zusätzlichen Verkehrsszenarios beauftragte, hat der Stadtrat deutlich gemacht, dass er die Leipziger Verkehrswende mitgestalten will.
Das kann er aber nur, wenn er auf ein kommunales Unternehmen zugreifen kann. Und zwar stärker, als er das in den Vorjahren konnte, wo selbst Anfragen an die Verwaltung meist in Auskünften mündeten, dass den gewählten Stadträten praktisch keine Entscheidungsrechte hinsichtlich der LVB zustünden.
Was so nicht wirklich stimmte. Es war ein durchaus veritables Kräftemessen mit einer Verwaltung, die gern ihr Hoheitsrecht behalten hätte. Aber davon ließen sich die Stadträt/-innen auch im zuständigen Planungsausschuss nicht dauerhaft einlullen. Zu offensichtlich war der Stillstand im Nahverkehr nach zehn Jahren rigider Sparpolitik, die dem Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag entzog.
Als OBM Burkhard Jung dann 2018 ein ganzes Bündel möglicher Mobilitätsszenarien für Leipzig vorstellte, war das ein eindeutiger Etappensieg für den Stadtrat. Und diese Szenarien machten dann sehr deutlich, dass Leipzig bei einem „Weiterso“ im Verkehrskollaps enden und all seine Ziele in der Verkehrswende krachend verfehlen würde.
Die Zahlen machten erstmals auch deutlich, in welcher Größenordnung Leipzig binnen zehn Jahren würde investieren müssen, um überhaupt erst einmal eine Mobilitätswende einzuleiten: 843 bis 991 Millionen Euro allein in den ÖPNV. Zahlen, die sich deutlich relativieren, wenn daneben auch noch die Zahlen für den Individualverkehr liegen: 506 bis 581 Millionen Euro.
Mobilitätswende braucht Planungen weit über 2028 hinaus
Denn zur Wahrheit gehört auch, dass Leipzig zehn Jahre zu spät in den Ausbau des ÖPNV einsteigt. Und dass auch der 2019 beschlossene Nahverkehrsplan überhaupt noch nicht beschreibt, was alles getan werden muss, damit Leipzig einen leistungsfähigen ÖPNV für die Klimawende bekommt. Deswegen hat die Verwaltung ja auch die Aufgabe, zeitnah die nächste Fortschreibung vorzulegen.
Aber in jedem Fall braucht es dazu ein Unternehmen, das auch über das Jahr 2028 hinaus mit dem ÖPNV in Leipzig beauftragt ist.
„Anlass der vorgezogenen Neubetrauung ist unter anderem, dass der Nahverkehrsplan fortgeschrieben wurde. Darin enthalten sind beispielsweise Vorgaben zu den Qualitätsstandards und den Mengen der Verkehrsleistung wie etwa der Taktung der Straßenbahnen. Zudem laufen die Liniengenehmigungen der LVB für Straßenbahnen aus und eine Verlängerung wäre nur bis Ende 2028 möglich gewesen. Um den Leipziger Verkehrsbetrieben hier mehr Planungssicherheit zu geben, hatte sich der Stadtrat im November 2020 für eine neue Beauftragung eingesetzt“, betont die Verwaltung.
Forcierter Wettbewerb und bürokratische Genehmigungspraxis
Dahinter steckt noch immer ein im Grunde von der EU forciertes und völlig kontraproduktives Wettbewerbsrecht, das die Kommunen bei der Ausschreibung ihrer Verkehrsdienstleistungen geradezu zu Bocksprüngen zwingt.
In der Vorlage heißt es dazu: „Die aktuell laufenden Liniengenehmigungen der LVB für die Straßenbahnen laufen bis 31. März 2022 und sind folglich neu zu beantragen. Dies wäre jedoch – wie oben dargestellt – dann nur bis maximal zum Ablaufen des bestehenden Betrauungsaktes der LVB am 31.12.2028 möglich. Daraus folgt, dass bereits in weniger als sieben Jahren – mit dem regulären Zeitpunkt der Erneuerung der Betrauung der LVB – wiederum eine erneute Beantragung erforderlich wäre.“
Und weiter: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Beantragungsprozess grundsätzlich das Risiko besteht, dass Wettbewerber sich auf alte oder zumindest Teile der beantragten Liniengenehmigungen bewerben können, was im Erfolgsfall dazu führen würde, dass die LVB Teile des aktuellen Angebots nicht mehr bedienen könnte.“
Nach Wettbewerbsrecht müssen Kommunen mit ihren eigenen Kommunalunternehmen so umgehen, als wären es international agierende Konzerne, die nur durch Zufall im Leipziger Gleisnetz aktiv sind. Eine massive Einschränkung kommunaler Selbstbestimmung.
Wie seltsam die Genehmigungspraxis mittlerweile ist, formuliert die Vorlage so: „Erschwerend kommt hinzu, dass die aktuelle Liniengenehmigung im Straßenbahnbereich als sogenannte Netzgenehmigung erteilt ist, d. h. für das Straßenbahnnetz der Stadt Leipzig sind sämtliche von der LVB gefahrenen Straßenbahnlinien in einer Genehmigung zusammengefasst. Es ist zu erwarten, dass die Straßenbahnlinien nicht wie bisher als Netz, sondern als einzelne Linien genehmigt werden. Die Liniengenehmigungen für die Buslinien sind bereits für Einzellinien erteilt und weisen verschiedene Ablaufzeitpunkte auf, die sich von denen der Straßenbahnlinien unterscheiden.“
Da könnte man auch sagen: Europäische Wettbewerbsvorstellungen treffen auf deutsche Landesbürokratie. Am Ende wird ÖPNV ein einziger Eiertanz, obwohl der ÖPNV zum größten Teil aus hiesigen Fahrgastentgelten und städtischen Zuschüssen finanziert wird.
Finanzierung für die LVB steigt weiter
Die übrigens deutlich steigen sollen, nachdem sie in den schlimmsten Sparjahren auf 45 Millionen Euro abgesunken waren.
In der Vorlage wurden die Summen genannt: „Für das Jahr 2022 soll der bereits mit Vorlage VII-DS-01977 vom 18.12.2020 beschlossene Gesamtfinanzierungsbeitrag der Stadt in Höhe von maximal 66,3 Mio. € nochmals ausdrücklich bestätigt werden. Auf Basis der Wirtschaftsplanung inkl. Mittelfristplanung von LVB und LVV soll ein Gesamtfinanzierungsbeitrag von 70,0 Mio. € für das Jahr 2023 und von 72,3 Mio. € für das Jahr 2024 beschlossen werden.“ Der Löwenanteil wird ja über die LVV quer finanziert.
„Der Dienstleistungsauftrag verpflichtet die Verkehrsbetriebe nun unter anderem dazu, für den gesetzten Zeitraum die Infrastruktur für den ÖPNV vorzuhalten und ein festgelegtes Fahrplanangebot zu erbringen. Der Tarif des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes soll angewandt und zudem definierte Qualitätsstandards eingehalten werden. Auch verschiedene Mobilitätsdienstleistungen sind inbegriffen, etwa in den kommenden acht Jahren der Betrieb von Mobilitätsstationen, wie sie beispielsweise von TeilAuto und anderen Anbietern genutzt werden“, umreißt die Verwaltung das Paket, mit dem die LVB von der Stadt beauftragt wird.
„Den Leipziger Verkehrsbetrieben wird mit der Neubetrauung nun auch mehr Flexibilität eingeräumt, wie es etwa die Corona-Pandemie zuletzt erforderte. Auch künftig soll der Stadtrat immer vorab für zwei Jahre den Finanzierungsbeitrag der Stadt für die Leistung der LVB beschließen.“
Wobei die Vorlage auch betont, dass die LVB nicht zwingend nach europäischem Wettbewerbsrecht betraut werden müssen, sondern auch eine Vergabe nach § 108 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen möglich ist, denn über die LVV hat die Stadt ein direktes Durchgriffsrecht auf die LVB.
Ebenfalls bestätigt wurde der dazugehörige Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag mit den LVB. Der Stadtrat muss noch abschließend über beide Vorlagen entscheiden, hat aber aus oben genannten Gründen Zeitdruck, sodass die Verwaltung auf eine Beschlussfassung in der Ratsversammlung im Februar drängt.
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