Da stöhnte nicht nur CDU-Stadtrat Konrad Riedel, dass am Donnerstag, dem 14. Oktober endlich, endlich die Fußverkehrsstrategie für die Stadt Leipzig zur Entscheidung in den Stadtrat kam. Tatsächlich hatte Leipzig bislang keine Strategie für den Fußverkehr. Der schwamm immer irgendwie so mit bei Straßenbau, als wären Menschen, die auf Fußwegen unterwegs sind, nur so ein Beiwerk im Verkehr. Und die Wahrheit ist: Stimmt. So gesehen wurde die dreiviertel Stunde Diskussion auch eine kleine Lehrstunde übers Lernen von Verkehr.

In die natürlich erst einmal Baubürgermeister Thomas Dienberg einführte, der selbst feststellte, dass die Stadtverwaltung das Thema Fußverkehr in der Vergangenheit nicht wirklich im Blick hatte. Jedenfalls nicht als strategisches Ziel, die Stadt wirklich zu einer offenen Stadt zu machen, die Menschen zum Zufußgehen animiert. Jede Bürgerumfrage zeigt, dass eher das Gegenteil der Fall war und viele Leipziger/-innen auch fußläufig erreichbare Ziele lieber mit dem Auto ansteuern.

Die Ziele stehen in keinem Gesetz

Bei Strategien geht es eben nicht um Maßnahmen, wie Riedel vermutete, obwohl er natürlich recht hat damit, dass die Stadt auch bei Maßnahmen hinterherhinkt. Und es geht auch nicht darum, gesetzliche Normen beim Fußwegebau noch einmal aufzuschreiben, wie indirekt Udo Bütow aus der AfD-Fraktion unterstellte, der in dem Versuch, die Vorlage der Stadt für überflüssig zu erklären, die langweiligste und lustloseste Rede des ganzen Tages hielt.

Es geht tatsächlich um Ziele, die der Gesetzgeber nirgendwo festgeschrieben hat: Chancengerechtigkeit im Verkehr, inklusives Bauen, attraktivere Stadträume für Fußgänger/-innen und alle anderen Menschen, die sich nicht mit Auto und Fahrrad fortbewegen, und auch noch Nachhaltigkeit – also einladende Stadträume, die dazu animieren, einfach und öfter mal zu Fuß zu gehen, auch ganz zweckfrei, wie es dann ein gemeinsamer Antrag von Grünen und Linken deutlich machte: auf Flanierstraßen und Flanierplätzen auch außerhalb der City.

Lange fehlte die Strategie für den Fußverkehr

Weiter konnte Bütow das Thema gar nicht verfehlen. Oder halt mit gelangweiltem Tonfall zum Ausdruck bringen, dass ihm und seiner Fraktion der Fußverkehr sowieso völlig egal ist.
Das ist bei den anderen Fraktionen zum Glück anders.

Sie haben schon lange gezeigt, dass sie auch beim Weiterdenken von Verkehr schneller sind als die Verwaltung, was dann auch FDP-Stadtrat Sven Morlok in die durchaus deutliche Kritik fasste, dass eine Strategie für den Fußverkehr genauso wie für Radverkehr als auch ÖPNV in der Stadtverwaltung über Jahre schlicht nicht vorhanden war.

Auch die Initiative für die Fußverkehrsstrategie kam aus dem Stadtrat. Sie stammt aus einem Antrag der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2016, der 2017 zum Stadtratsbeschluss wurde, dass die Stadt eine Fußverkehrsstrategie und ein Fußverkehrsentwicklungskonzept aufzustellen habe.

Konzept aus dem Jahre 1997

Das kommt selbst in der Vorlage aus dem Planungsdezernat indirekt zur Sprache, wenn dort steht: „Der STEP Verkehr und öffentlicher Raum von 2015 legt als Ziel für den Fußverkehr fest, dass das ‘Konzept für den Fußverkehr in Leipzig’ aus dem Jahr 1997 fortzuschreiben ist. Dies soll unter der Prämisse erfolgen, dass zu Fuß gehen so sicher und attraktiv zu gestalten ist, dass der für Leipzig typische Fußwegeanteil an den täglichen Wegen auf hohem Niveau gehalten wird.“

Und weiter: „Im März 2017 beschloss die Ratsversammlung der Stadt Leipzig erneut, dass ein Fußverkehrskonzept zu erarbeiten ist, welches durch den Fußverkehrsverantwortlichen der Stadt Leipzig bearbeitet werden soll (VI-A-03555-NF-02). Der Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie Leipzig 2030 greift dies im Handlungsfeld Fußverkehr und dessen Maßnahmen auf (VII-DS-00547-NF-01).“

Damit wurde auch erstmals ein Fußverkehrsverantwortlicher für die Stadt – nämlich Friedemann Goerl – eingestellt, der dann auch die Fußverkehrsstrategie erarbeitete. 2019 war sie fertig. Worauf sich auch Riedel bezog. Und dann dauerte es trotzdem noch einmal zwei Jahre, bis sie jetzt endlich im Stadtrat ankam zum Beschluss.

Bis 2030 eine fußgängerfreundliche Stadt draus machen

Was dann auch SPD-Stadtrat Christopher Zenker das Gefühl gab, dass es beim Fußverkehr genauso war wie beim Radverkehr: Es musste erst einmal ein Umdenken in der Stadtverwaltung eintreten, damit sie überhaupt die Dringlichkeit sah, auch die umweltfreundlichen Verkehrsarten endlich ernst zu nehmen und strategisch zu entwickeln.

Und sich ein Ziel zu setzen, wie es Thomas Dienberg in seiner Rede formulierte: Leipzig bis 2030 zu einer fußgängerfreundlichen Stadt mit Vorbildcharakter zu machen. Was viele Maßnahmen beinhalten muss, die weit über das Instandsetzen von Fußwegen hinausgehen. Und auch über die von Dienberg besonders angesprochenen Fußwegebeziehungen zu den Haltestellen des ÖPNV, die heute eher das Gegenteil sind: Zumutungen für jeden, der ohne Hindernisse gern zu Bus und Bahn kommen möchte.

Maßnahmen kosten Geld

Aber die Linksfraktion hatte nicht nur den gemeinsamen Antrag mit den Grünen eingebracht, in dem es um bessere Querungen durch öffentliche Gelände ging und Flanierstraßen im ganzen Stadtgebiet, sondern auch einen, der das Fehlen konkreter Zeitpläne monierte.

Denn Thomas Dienberg kündigte zwar an, dass jetzt auf Grundlage der Fußverkehrsstrategie bis 2022 auch endlich der seit 2017 erwartete Fußverkehrsentwicklungsplan folgen wird. Aber für den zugehörigen Maßnahmenplan fehlte ein Zeitpunkt.

Und Maßnahmen kosten nun einmal Geld. Wenn das Geld nicht eingeplant wird, finden sie einfach nicht statt. Weshalb die Linke eben auch einen beschlussfähigen Maßnahmenplan für den Fußverkehr bis Ende 2022 beantragte. Denn: Erst wenn diese Maßnahmen mit Summe feststehen, können sie auch im Haushalt 2023/2024 mitbeschlossen werden.

Nicht nur junge Menschen werden ungeduldig

Und wie man aus Konrad Riedels Rede ja heraushörte: Es sind nicht nur die jungen Leipziger, die ungeduldig werden.

Die Debatte klang zwar stellenweise wieder wie eine Grundsatzdebatte, ob die Stadt nun dem Fußverkehr auch mehr Platz einräumen sollte oder lieber nicht. Aber ohne mehr Platz für den Fußverkehr wird es nicht gehen, deutete Bürgermeister Dienberg ja an.

Im Ergebnis bekamen die beiden Änderungsanträge genauso eine klare Mehrheit der Stimmen wie die Vorlage der Verwaltung selbst.

Die Debatte vom 14. Oktober 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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