Leipzig verändert sich. Für manche Leute kaum spürbar, für andere doch erstaunlich ruckhaft. Und als die Freibeuter-Fraktion ihren ersten Antrag schrieb, die vielen Bedarfsampeln in der Stadt endlich nutzerfreundlicher zu schalten, war nicht abzusehen, dass es dafür sogar Zustimmung durch die Stadtverwaltung geben könnte. Die Freibeuter schrieben eine neue Fassung und das VTA stimmte einfach mal zu. Der Stadtrat am Mittwoch, 15. September, auch.

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt zu prüfen, wie für den Fuß- und Radverkehr, bei Bedarfsampeln zur Querung von Straßen die Dauer der Grünphase und die Wartezeit zur Grünphase auf eine angemessene Zeit angepasst werden können, und die Bedarfsampeln an LSA-gesteuerten Knoten, insbesondere bei Rad- und Fußgängerverkehrsfurten in Nebenverkehrsrichtung, dauerhaft in die LSA-Steuerung der Knoten eingeordnet werden können, damit die Anforderung komplett entfallen kann“, hatte die Freibeuter-Fraktion beantragt.Und auch recht ausführlich begründet, warum sich viele dieser Bedarfsampeln gerade im Leipziger Westen im Lauf der letzten Jahre zu Bremsen und Ärgernissen für Fußgänger/-innen und Radfahrer/-innen entwickelt haben.

„In Leipzig gibt es mehrere dieser Einrichtungen, die zu Fuß Gehende und Radfahrende geradezu nötigen, wenn sie nicht unnötige Wartezeiten in Kauf nehmen wollen oder können, das Rotlicht zu missachten“, beschreibt der Antrag eine der Folgen aus dem Zustand solcher unfreundlichen Ampelschaltungen.

Und zählt gleich Beispiele auf: „Ein Beispiel ist die Bedarfsampel Ratzelstraße, Höhe LVB-Haltestelle Ratzelbogen. Hier herrscht reger Verkehr von zu Fuß Gehenden, die die Haltestelle aus Richtung Mannheimer Straße erreichen wollen. Die Bedarfsampel schaltet, nach Betätigung des Anforderungsschalters, nach 2 bis 7 Minuten auf Grün für den Fußverkehr. Bei einem 5-Minuten-Takt der Straßenbahnen in den Hauptverkehrszeiten  bedeutet das, dass man zwei Bahnen beim Vorbeifahren zusehen kann.

Das animiert zu Fuß Gehende verständlicherweise zu Rotlichtverstößen. Weitere kritische Bedarfsampeln sind, zum Beispiel, die Fußgängerampel an der Zschocherschen Straße, Haltestelle Henriettenstraße, an der Wundtstraße (zwischen Mahlmannstraße und Karl-Tauchnitz-Straße) – hier ist die Grün-Phase für zu Fuß Gehende extrem kurz und an der Lützner Straße, kurz nach der Einmündung der Odermann- bzw. Josephstraße. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.“

Wenn Kfz fahren dürfen und Radfahrer erst mal „drücken“ müssen

Und das sind nur die Fußgängerampeln. Radfahrer/-innen erleben ja ebenfalls frustriert immer wieder, dass der parallele Kfz-Verkehr anstandslos Grün bekommt, während sie erst einmal den Schalter einer Bedarfsampel drücken müssen, um dann bei der übernächsten Grün-Phase weiterfahren zu dürfen.

„Auch bei Bedarfsampeln an LSA-gesteuerten Knoten, insbesondere bei Rad- und Fußgängerverkehrsfurten in Nebenverkehrsrichtung, kann vielerorts die für den Kfz-Verkehr freigegebene Richtung nicht sofort genutzt werden“, heißt es im Freibeuter-Antrag.

„Straßenbegleitend geführte Radfahrende und Passanten müssen anfordern und einen kompletten Umlauf warten, teilweise in sehr engen Bereichen an Straßenbahngleisen. Zudem sind die Anforderungs-Taster – gerade bei großen Knoten – nicht für alle Nutzer plausibel erkennbar und sicher nutzbar. Als Beispiel sei hier die Torgauer Straße genannt: Zwischen Bautzner Straße und Portitzer Allee sind 9 straßenbegleitende Querungen der Torgauer Straße als Bedarfsampeln für Fuß- und Radverkehr ausgeführt. Eine dauerhafte Einordnung in die Knoten-Signalisierung hätte geringe Auswirkungen auf den Kfz-Verkehr, da hier die Knotenzufahrten über getrennte Fahrstreifen bei gemeinsamer Signalisierung verfügen. Im Sinne der Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs ist für beide Varianten Abhilfe dringend erforderlich.“

Das Problem ist im VTA bekannt

Das Verkehrs- und Tiefbauuamt (VTA) hat zu diesem Antrag sehr ausführlich Stellung genommen und erklärt, warum es an etlichen Bedarfsampeln derart lange Wartezeiten gibt. Man strebe zwar eher Wartezeiten von 30 Sekunden für die Fußgänger an, bei „Eingriffen des ÖPNV“ 45 Sekunden. Aber das klappt an vielen Stellen nicht.

„Die Problematik mit den teilweise hohen Wartezeiten an der Fußgängerampel Ratzelstraße am hinteren signalisierten Zugang zur Haltestelle Ratzelbogen ist bekannt. Hintergrund der hohen Wartezeiten ist die Koordinierung zum Hauptknoten Ratzelstraße/Kiewer Straße. In 2022 ist die Rekonstruktion beider Anlagen beabsichtigt. In diesem Zusammenhang wird eine neue Lichtsignalsteuerung erarbeitet, die die Verringerung der Wartezeiten an der Fußgängersignalanlage beinhaltet“, schreibt das VTA etwa zur Ratzelstraße.

Und zur Odermannstraße: „Ebenfalls einen großen Einfluss auf die Wartezeiten des Fußgängerverkehrs an der Fußgängerampel Lützner-/Odermannstraße hat die Koordinierung im Zuge der Lützner Straße. Auch die Thematik ist umfassend bekannt und es werden derzeit mögliche Verbesserungen untersucht.“

Zur Zschocherschen Straße: „In der Zschocherschen Straße befindet sich sowohl an der Weißenfelser- als auch an der Schmiedestraße jeweils eine Fußgängerampel. Die Wartezeiten an diesen beiden sowie an der Ampel Lützner Straße/Henriettenstraße sind stark von den Eingriffen des ÖPNV in die Schaltung abhängig. Sie werden im Rahmen der Laufendhaltung jedoch auf mögliche Optimierungspotenziale geprüft.“

Ampelschaltungen von anno 2002

Bei den Bedarfsampeln, die Radfahrer an mehreren Stellen beim Queren von Nebenstraßen vorfinden, herrscht augenscheinlich das Denken von vor 20 Jahren vor.

Eigentlich gesteht das VTA zu, dass dem genau so ist, wenn es schreibt:

„Bei der Erarbeitung der Steuerungen wird grundsätzlich geprüft, wie hoch die Verkehrsstärken der Nebenrichtung sowie das Verkehrsaufkommen der dazu parallelen Fußgänger und Radfahrer am jeweiligen Knotenpunkt ist. In Abhängigkeit davon wird festgelegt, ob eine zyklische Freigabe der Nebenrichtung einschließlich der Fußgänger- und Radfurten sinnvoll ist oder ob die Freigabe nur auf Anforderung aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens erfolgt.

Eine zyklische Freigabe der Nebenrichtung einschließlich der Fußgänger- und Radfurten ist bei geringem Verkehrsaufkommen im Sinne eines stetigen und zügigen Verkehrsablaufs nicht zweckmäßig. Trotz fehlendem Querverkehr würde die Hauptrichtung einschließlich der dazu parallelen Fußgänger- und Radfurten Rot erhalten, ohne dass anschließend konkurrierende Verkehrsströme die Kreuzung queren. Dies führt zu unnötigen Wartezeiten.“

Was natürlich wie eine faule Ausrede klingt, denn dieses Problem wäre mit dem Grünen Abbiegepfeil leicht zu lösen, während der Verweis auf das „geringe Verkehrsaufkommen“ keine wirkliche Basis hat, denn die Bedarfsampel zählt ja die bedürftigen Radfahrer/-innen nicht. Einige dieser Musterexemplare findet man ja auch an der Delitzscher Straße, wo auch im Radverkehr ganz bestimmt nicht von „geringem Verkehrsaufkommen“ die Rede sein kann.

„Die Steuerungen der im Antrag beispielhaft genannten Lichtsignalanlagen im Zuge der Torgauer Straße wurden zwischen 2002 und 2004 erarbeitet“, benennt das VTA eine dieser Problemanlagen. „Zu diesem Zeitpunkt wurde noch der Ansatz verfolgt, dass bei einem geringen Fußgänger- und Radverkehrsaufkommen die Furten gemeinsam mit dem Kfz-Verkehr der Nebenrichtung nur freigegeben werden, wenn auch eine entsprechende Anforderung der Furten vorliegt.“

Und diese den Radverkehr behindernde Denkweise von 2002/2004 steckt überall im Stadtgebiet immer noch in vielen dieser Bedarfsampeln. Man arbeite dran, betonte das VTA, es sei schon Verwaltungshandeln, diesen Radfahrer/-innen und Fußgänger/-innen behindernden Zustand zu beheben.

Denn auch im VTA sieht man keinen Sinn mehr in dieser antiken Schaltanordnung: „Diese Strategie wird bei der Planung und Überarbeitung von LSA-Steuerungen mittlerweile nicht mehr angewendet. Bei Vorliegen einer Anforderung der Nebenrichtung (Kfz-Verkehr, Fußgänger oder Radverkehr) werden der Kfz-Verkehr sowie alle bedingt verträglichen Fußgänger- und Radfurten freigegeben, unabhängig davon, welche dieser Verkehrsströme eine Anforderung ausgelöst hat.“

Nur dummerweise dauert das Umprogrammieren dieser alten Ampelanlagen wieder Jahre, weil immer gleich – wie in der Torgauer Straße – alle umliegenden Ampelschaltungen mitberücksichtigt werden müssen.

Mit dem Stadtratsbeschluss vom 15. September ist das jetzt zumindest zu einem Auftrag geworden.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar