Leipzig hat jetzt eine FuĂverkehrsstrategie. âLeipzig geht voranâ, meldet die Stadtverwaltung. Stimmt nur nicht ganz. Berlin hat schon seit 2011 eines. Und 2018 hat der FUSS e. V. eines herumgeschickt an alle Städte Ăźber 20.000 Einwohner. Auch an Leipzig. Da hockte Leipzig gerade mal in den StartlĂśchern und hätte nicht mal da gesessen, wenn der Stadtrat nicht Druck gemacht hätte. Leipzig geht voran? Nein, nicht wirklich. Das hat viele GrĂźnde.
Einige wurden am Freitagmittag Thema, als Thomas Dienberg, BĂźrgermeister fĂźr Stadtentwicklung und Bau, und Friedemann Goerl, FuĂverkehrsverantwortlicher der Stadt, endlich die FuĂverkehrsstrategie fĂźr Leipzig vorstellten.Ein entsprechendes Konzept hatte ursprĂźnglich, im fernen Jahr 2017, die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat bestellt: âDer OberbĂźrgermeister wird beauftragt, fĂźr die Stadt Leipzig ein neues FuĂverkehrskonzept zu erarbeiten und es dem Rat spätestens Ende des II. Quartals 2018 vorzulegen. Die Besetzung des FuĂverkehrsverantwortlichen soll umgehend erfolgen.â
Das mit dem FuĂverkehrsverantwortlichen klappte dann noch. 2018 kam Friedemann Goerl ins Amt. Aber was er vorfand, war natĂźrlich eine schĂśne leere Tafel. Wie formuliert es Thomas Dienberg so schĂśn? â âDas Thema der letzten Meile fällt meist hinten runter.â
Und tapfer sprach er: âWir haben es lange Zeit versäumt, uns mit dem Thema ernsthaft zu beschäftigen.â Dabei war er 2018 noch gar nicht BaubĂźrgermeister in Leipzig. Sanfter kann man es gar nicht formulieren, dass Leipzigs FuĂwegelandschaft heute so aussieht, wie sie aussieht, weil Planer jahrelang nur Auto dachten. Denn eins wurde ja auch klar am Freitag: Das FuĂwegenetz hat die gleichen Probleme wie das Radwegenetz. Und die Konflikte zwischen den Verkehrsarten entstehen Ăźberall dort, wo es keine separaten Verkehrsflächen gibt.
Stadt der kurzen Wege?
Und dabei spielt das ZufuĂgehen eine ganz zentrale Rolle in der Leipziger Verkehrswende. Denn FuĂverkehr ist â neben Radverkehr und ĂPNV â tragende Säule des Umweltverbundes, also der umweltfreundlichen Verkehrsarten, ohne die Leipzig die Energiewende genauso wenig schafft wie die Klimawende.
Andererseits: Es ist ja schon einiges passiert unterm Thema âStadt der kurzen Wegeâ. Ăber 27 Prozent FuĂwegeanteil an allen Wegen, die die Leipziger jeden Tag zurĂźcklegen, sind viel, sagt Dienberg, gerade fĂźr eine GroĂstadt. Und Goerl sagt: âWir wären schon gut, wenn wir diesen Anteil halten kĂśnnen.â
Denn in einer wachsenden Stadt hieĂe das ja trotzdem: Es wären mehr Menschen zu FuĂ unterwegs.
Aber die âleere Tafelâ, die Goerl vorfand, bedeutete eben auch: Es gab keine nennenswerte Vorarbeit. Es war irgendwie sein Job, Ăźberhaupt erst einmal eine FuĂwegestrategie zu entwickeln. Mit Runden Tischen 2019 und 2020. Denn bis zu einem FuĂverkehrskonzept, das der Stadtrat beschlieĂen kann, ist es noch weit. âBis 2022 wollen wir es fertig habenâ, sagt Dienberg.
Er wĂźrdigt aber auch, dass die ganze Zeit der Stadtrat der Motor war. 2018, als die Stadt Ăźberhaupt erst einmal begann, das Thema FuĂwege (und FuĂwegsanierung) ernst zu nehmen, standen dafĂźr 500.000 Euro im Haushalt bereit, 2019 und 2020 wurde die Summe schon auf 1 Million erhĂśht, 2021 sollen es 1,4 Millionen sein, 2022 sogar 1,9 Millionen Euro.
Und es soll auch schon was getan werden, betont Dienberg. Man werde nicht bis zum Beschluss des Konzepts warten.
So wird etwa ein Projekt â100 Zebrastreifen fĂźr Leipzigâ vorgeschlagen, auch sollen Ampelschaltungen hinsichtlich der Warte- und Querungszeiten besser auf FuĂgängerinnen und FuĂgänger abgestimmt werden.
Ein âLĂźckenschlussprogrammâ kĂśnnte kleinräumige Problemlagen in den Fokus nehmen, bei denen die fuĂläufigen Verbindungen komplett fehlen oder zum Beispiel Treppen die Barrierefreiheit einschränken. Und gerade in Ortsrandlagen gibt es noch ganze Bereiche, da fehlen sogar FuĂwege â selbst an Wegen zur Schule.
Ein erster Zebrastreifen aus dem Programm soll Ăźbrigens demnächst in der NĂźrnberger StraĂe angelegt werden.
Leipzig ist gewaltig im RĂźckstand. Und dabei hatte die Stadt schon mal so ein Konzept. Das Strategiepapier schreibt das âKonzept fĂźr den FuĂverkehr in Leipzigâ aus dem Jahr 1997 fort. Lang hat man davon nichts gehĂśrt. Es muss schĂśn eingestaubt sein in einem unbesetzten BĂźro, sodass der Stadtrat Ăźber die Jahre logischerweise immer unmutiger wurde. Denn Klagen und Beschwerden kamen zuhauf von älteren FuĂgänger/-innen und bewegungseingeschränkten Mitmenschen.
Auf den ersten Blick sah ja alles nicht so schlimm aus. 41 Prozent der Teilnehmer/-innen der BĂźrgerumfrage 2018 waren mit der FuĂwegesituation in Leipzig unzufrieden. Das klingt noch nach âgeht soâ. Aber wenn man genau hinschaute, war der Ărger besonders groĂ Ăźber Radfahrer auf FuĂwegen, Querungen von Kreuzungen, zugeparkte Gehwege.
Das alles kommt in der neuen FuĂwegestrategie noch gar nicht vor (das Versagen des scheidenden Ordnungsamtschefs ist ein eigenes Thema). Denn die kĂźmmert sich erst einmal um das Bauliche. Denn inzwischen ist es auch im Planungsdezernat Wissensstand, dass die meisten Konflikte eben dadurch entstehen, dass die Verkehrswege nicht klar und eindeutig ausgebaut sind.
âAlle Menschen in Leipzig sollen sich sicher, bequem, ohne Angst und ohne Hindernisse im Ăśffentlichen Raum bewegen kĂśnnenâ, sagt Friedemann Goerl. âGleichzeitig soll das Gehen als grundlegende Form der urbanen Mobilität bei politischen Entscheidungsprozessen die entsprechende Wertschätzung erhalten.â
Autofahren aus verständlicher Angst
Aber gerade die BĂźrgerumfrage 2018 deutete darauf hin, dass viele Leipziger gerade aus Angst doch lieber das Auto benutzen. Weil eben Radfahren und ZufuĂgehen als zu gefährlich angesehen werden. Das betrifft auch die Elterntaxis an Leipziger Schulen. Dienberg versteht die Eltern ja. Gerade hat sich ja die Verwaltung intensiv mit den teils hanebĂźchenen Zuständen in der Erich-Zeigner-Allee beschäftigt.
Aber wenn mehr Leipziger aus Angst (auch um ihre Kinder) mit dem Auto fahren, wird es noch gefährlicher. Elterntaxis verschärfen die Situation gerade fßr zu Fuà gehende Eltern und Kinder.
Da liegt es nahe, endlich grundsätzlich Ăźber ein durchgehend sicheres FuĂwegenetz nachzudenken. âDie Stadt Leipzig mĂśchte sich mit dieser strategischen Planung auf den Weg machen, um ihre guten Bedingungen und Qualitäten auszubauen und bis zum Jahr 2030 eine besonders fuĂgängerfreundliche Stadt mit Vorbildcharakter zu werdenâ, sagt Dienberg.
Klar: Was man 20 Jahre versäumt hat, dauert natßrlich in der Umsetzung. Aber immerhin ist es ein Lichtblick, dass Dienberg das Strategiepapier jetzt endlich in die Dienstberatung des OBM bringen konnte, wo es am 17. August bestätigt wurde.
Mit dem Entwurf der FuĂverkehrsstrategie soll die konzeptionelle Grundlage zur systematischen und dauerhaften FĂśrderung des FuĂverkehrs in Leipzig gelegt werden, betont die Stadt.
Die Stadt umbauen fĂźr FuĂgänger/-innen
Das Konzept leitet davon 13 konkrete Ziele fĂźr Leipzig ab, etwa dass der hohe FuĂverkehrsanteil von zuletzt 27,3 Prozent an allen Leipziger Wegen stabilisiert wird, dass Ăśffentliche Räume â insbesondere FuĂwege, EinmĂźndungen, Kreuzungen â barrierefrei nutzbar sind, und dass dieser Raum gerecht aufgeteilt und städtebaulich gut gestaltet wird.
Unfallgefahren fĂźr FuĂgängerinnen und FuĂgänger sollen perspektivisch reduziert werden,
grundsätzliches Ziel ist es dabei, tĂśdliche Unfälle mit ihnen gänzlich zu vermeiden. Dazu gehĂśrt etwa der barrierefreie Ăbergang vom StraĂenraum in GrĂźnflächen und die sichere Ausgestaltung im direkten Schulumfeld. Neben Tempo-30-Zonen mĂźssten hier beispielsweise gegebenenfalls auch Zebrastreifen angeordnet werden.
DarĂźber hinaus soll der FuĂverkehr gleichwertige personelle und finanzielle Ressourcen erhalten wie andere Verkehrsarten im städtischen Haushalt â derzeit rund sechs Millionen Euro jährlich, heiĂt es in dem Papier.
Friedemann Goerl: âFuĂverkehr ist die Grundlage fĂźr jegliche Mobilität in unserer Stadt und stellt dabei die natĂźrlichste und grundlegendste Form unserer Fortbewegung dar. Gehen ist Ausdruck von Handlungsfreiheit, Unabhängigkeit und Teilhabe.â
Denn mit der Erarbeitung der Strategie wurde auch klar, dass Leipzigs Planer meist sorgfältig aneinander vorbeigeplant haben. Nicht nur Radfahrern geht es so, dass sie â gefĂźhlt â immer nur den âRest der StraĂeâ als Verkehrsraum bekommen. FuĂgänger stehen noch eine Stufe tiefer. An Ampeln sind sie Ăźberall die letzten, die ihre GrĂźnphase bekommen.
Und so nebenbei kamen auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in den Blick, die ihre Verantwortung fast immer nur auf ihre Haltestelle fokussiert haben. Ob die Leute freilich problemlos hinkommen zu diesen Haltestelen, war auch den LVB meistens egal.
âLeipzig war schon immer eine FuĂverkehrsstadt. Breite Boulevards, ein in Europa einzigartiges Passagensystem in der Innenstadt, kurze Schlippen als AbkĂźrzungen, und viele Schmuckplätze und Parks runden das Angebot ab â fĂźr die Eiligen genauso wie fĂźr die Flanierendenâ, formuliert die Verwaltung und entwirft damit auch gleich wieder eine Vision: Eine Stadt, in der man ohne Angst alle kurzen Wege zurĂźcklegt. Zuallererst die unter 1 km, die immer noch 10 Prozent der Leipziger mit dem Auto zurĂźcklegen.
Was eben auch daran liegt, dass oft dazwischen sichere FuĂwege fehlen oder gefährliche Kreuzungen liegen. Selbst in ihrer optimistischen Form zeigt die FuĂverkehrsstrategie, dass hier auch eine ganze Stadt umlernen muss, wenn Leipzig wieder eine Stadt mit starken Aufenthaltsqualitäten werden soll.
Wer das Papier zur FuĂverkehrsstrategie des FUSS e. V. lesen mĂśchte, findet es hier. 2018 beschäftigte sich auch das Umweltbundesamt mit dem Thema. Dieses Papier findet man hier. Und den Entwurf zur FuĂverkehrsstrategie der Stadt Leipzig, der jetzt vorliegt, findet man hier.
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Es gibt 2 Kommentare
“Ăber 80 Prozent der Leipziger BevĂślkerung kĂśnnen Einkaufseinrichtungen fuĂläufig vom Wohnort aus erreichen.” STADTENTWICKLUNGSPLAN ZENTREN Zentren- und Einzelhandelskonzept, Fortschreibung 2016
Die Steigerung (oder wenigstens “Stabilisierung”) des Anteil des FuĂverkehrs hängt aber nicht nur von (besseren) FuĂwegen ab, sondern auch davon, dass man Ziele auch in akzeptabler Zeit fuĂläufig erreichen kann. FrĂźher ™ wurde ich als Kind zum Einkaufen (Bäcker, Fleischer, Milchgeschäft, Lebensmittelgeschäft) losgeschickt und auch ältere Leute hatten keine Probleme, zu FuĂ einkaufen zu gehen, weil es Ăźberall Einzelhandelsgeschäfte gab, die weniger als 500 m (in meinem Fall 3 in weniger als 100 m) entfernt waren. Mit der Etablierung von “Supermärkten” und “Shoppingmalls”, die nur auf autofahrende Kunden ausgerichtet sind, wurde diesen Geschäften der Garaus gemacht. Und dieser Prozess ist noch nicht einmal abgeschlossen. Zum Jahresende wird in Altlindenau der Konsum in der Demmeringstr./Rabenerstr. schlieĂen, den viele ältere Leute aus der Umgebung nutzen, denen der Kaufland am Lindenauer Markt zu groĂ und zu unĂźbersichtlich ist – oder einfach die entscheidenden paar 100 Meter zu weit… M. E. mĂźsste ein Programm zur FĂśrderung kleiner Einzelhandelsgeschäfte (und Dienstleistungsbetriebe/Handwerker) vor Ort aufgelegt werden – finanziert von einer Abgabe der Supermärkte (am liebsten auch der groĂen Onlineversandhändler), die diese einst kaputt gemacht haben. (Damit soll erreicht werden, dass die GroĂen nicht die neuen Kleinen durch einen ruinĂśsen Preiskrieg gleich wieder kaputtmachen.)