Es ist Sommer. Da entdeckt sogar mal die Autofahrerzeitung LVZ die Radfahrer und tut so, als würde sie ein paar besorgte Fragen an Leipzigs Radverkehrsbeauftragten Christoph Waack stellen. Das Ergebnis: ein geradezu sonniges Bild von einer „fahrradfreundlichen Stadt“. Mit einer völlig falschen Suggestion. So kann man da die geradezu schräge Aussage lesen: „Auch der 3. Platz im bundesweiten ADFC-Fahrradklimatest 2018 zeigt, dass Leipzig im Vergleich zu anderen deutschen Städten sehr gut dasteht und sich nicht verstecken muss.“

2018? Warum wird hier ein völlig überholter Fahrradklimatest zitiert, obwohl es aus dem Jahr 2020 einen aktuelleren gibt? Und woher kommt dieser seltsame 3. Platz?Und das in einem deutschlandweiten Vergleich, zu dem selbst der ADFC 2018 feststellte: „Das Fahrradklima, also die Zufriedenheit der Befragten beim Radfahren, hat sich nach Einschätzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiter verschlechtert. 2014 wurde das Fahrradklima noch mit 3,7 bewertet, 2016 mit 3,8 – 2018 mit 3,9.“

Eine 3,9 ist kein gutes Ergebnis, sondern ein höchst miserables. Und Leipzig kam damals ebenfalls nicht über die Note 3,85 hinaus, eine Note, die tatsächlich dazu gereicht hat, unter den deutschen Großstädten ab 500.000 Einwohner den 3. Platz zu erreichen. Das Schöne am 2018er-Ergebnis ist: Dort sieht man auch Thomas Dienberg freudestrahlend eine Siegerurkunde in Empfang nehmen.

Nur halt nicht für Leipzig, sondern für seinen damaligen Dienstort Göttingen. Göttingen erreichte mit der Note 3,35 den ersten Platz bei den Städten zwischen 100.000 und 200.000 Einwohnern. Und den 3. Platz 2018 erreichte Leipzig auch schon mit einer leichten Verschlechterung.

Was ja nur zu verständlich war.

Schon der Radverkehrsentwicklungsplan 2010–2020 war weder mutig noch ambitioniert. Und drei Viertel der Maßnahmen wurden bis 2020 auch nicht umgesetzt, wie der ADFC Leipzig feststellen musste, obwohl der Anteil, des Radverkehrs unübersehbar stieg.

Und 2020?

Leipzig ist im ADFC-Fahrradklimatest 2020 abgeschmiert, hat wieder nur eine miserable 3,85 bekommen, während Frankfurt am Main und München vorbeigezogen sind, weil diese beiden Städte in den vergangenen beiden Jahren wirklich ernsthafte Anstrengungen unternommen haben, die Radverkehrsbedingungen zu verbessern.

Leipzig wird also einfach nach hinten durchgereicht, denn der 2012 beschlossene Radverkehrsentwicklungsplan, der eigentlich für den Zeitraum 2010 bis 2020 galt, bedeutet eben nichts anderes, als was Waack im Interview mit der LVZ eben auch benennt: „Wir haben bereits ein recht dichtes Radwegenetz. Deshalb kann es jetzt eigentlich immer nur noch um das Schließen von Lücken gehen.“

ADFC-Fahrradklimatest 2020: Leipzig ist auf Rang 5 unter den Städten ab 500.000 Einwohner abgerutscht. Grafik: ADFC
ADFC-Fahrradklimatest 2020: Leipzig ist auf Rang 5 unter den Städten ab 500.000 Einwohner abgerutscht. Grafik: ADFC

Das ist genau der Stand von 2010. Damals ging es um Lückenschließungen. Von denen ja der größte Teil nicht passiert ist, wie der ADFC Leipzig vorrechnete.

Logisch, dass Christoph Waack auf seine sonnigen Aussagen hin erst einmal einen ziemlich geharnischten Brief von Burkhard Hirzinger bekam, der sich innerhalb und außerhalb des ADFC Leipzig seit Jahren für bessere Radwege einsetzt: „Wie bitte??? Sie scheinen den Zustand und Wegeführung der Radwege völlig ausgeblendet zu haben, schauen Sie sich nur mal den Schleußiger Weg an. 95 % aller sogenannten ‚Radwege‘ müssten völlig neu gebaut werden, schon um den gesetzlichen Vorschriften zu entsprechen. Ich hoffe nicht, dass Sie mit Ihrem Wechsel auf die Gehaltsliste der Stadt jetzt ihre Sichtweise gewechselt haben …“

Gute Frage: Ändert man bei einer Berufung in die Verwaltung seine Sichtweise? Haben Leipziger Ämter deshalb so ein positives Bild von dem, was sie im Leipziger Radverkehr geschaffen haben, obwohl Radfahrende im ganz normalen Tagesgeschehen völlig andere Erfahrungen machen? Nicht nur auf dem Schleußiger Weg, der auch unter Sicherheitsaspekten eine einzige Zumutung ist.

Am Schleußiger Weg laden zwei Bedarfsampeln zum Queren der Straße ein - die zweite am Nonnenweg ist die richtige. Foto: Ralf Julke
Am Schleußiger Weg laden zwei Bedarfsampeln zum Queren der Straße ein – die zweite am Nonnenweg ist die richtige. Foto: Ralf Julke

Wo die Partenstraße auf die Berliner Straße mündet, sieht es nicht anders aus. Der Radweg hört einfach auf und mitten auf der Kreuzung müssen sich Radfahrer/-innen auf einer der am stärksten befahrenen Straßen in den Mischverkehr einordnen. Etwas, was meistens in hochbrisanten Situationen mit abdrängenden Kraftfahrzeugen endet.

Die meisten Radfahrenden fahren hier deshalb um ihres lieben Lebens willen auf dem Bürgersteig. Und Christoph Waack? „Laut Straßenverkehrsverordnung sind bauliche Anlagen für Radfahrende auch nur dort notwendig, wo der Anteil des Kfz-Verkehrs sehr hoch ist. Deshalb ist der Mischverkehr – also das Miteinander aller Verkehrsteilnehmer – eigentlich der Normalzustand.“

Kein Wunder, dass Burkhard Hirzinger nach diesem Interview direkt an die Decke ging. Denn es erzählt genau von der Mentalität im Leipziger Verkehrsdezernat, die sieben Jahre lang dazu geführt hat, dass beim Radwegeausbau praktisch gar nichts mehr passierte. Und dort, wo man weiß, dass eine Änderung seit Jahren überfällig ist – wird erst einmal ein jahrelanger Prüfvorgang ausgelöst, so wie beim Dauerbrenner Innenstadtring.

Waack nennt zu Recht die 20 Prozent Radverkehrsanteil in der Stadt. Aber der Anteil ist nicht so hoch, weil Leipzig besonders fahrradfreundlich ist. Gerade beim Thema Sicherheit haben sich die Werte über die Jahre verschlechtert – und das eben auch, weil es Leipzigs Verkehrsplaner für „normal“ halten, die Radfahrer selbst auf brisanten Streckenabschnitten in den Mischverkehr zu schicken und das bestehende Radwegenetz nur flicken zu müssen.

Über ein wirklich sicheres und eigenständiges Radnetz wird gar nicht nachgedacht. Und auch nicht über die Rolle des Radverkehrs in der Klimawende, auch wenn Waack den Aspekt erwähnt. Denn der Radverkehr wächst nicht, weil die Stadt so viel dafür tut – das gibt auch Waack zu. Von Priorität kann überhaupt keine Rede sein. Der Radverkehr nimmt trotzdem zu, weil immer mehr Leipziger/-innen ganz bewusst klimafreundlich unterwegs sein wollen.

Leipzig ist, was den Standard des Radwegenetzes anbelangt, immernoch im Jahr 2010. Es ist – bis auf ein paar Radstreifen und ein paar Alibi-Fahrradstraßen – nichts dazugekommen und auch das von Thomas Dienberg im Januar vorgestellte Aktionsprogramm für den Radverkehr 2021/2022 ist nichts anderes als der Versuch, ein paar alte Lücken zu schließen.

Neues steht da nicht drin. Und es überspielt die ganz spezielle Leipziger Peinlichkeit, dass die Verwaltung wieder nicht rechtzeitig ein Anschlussprogramm fertigbekommen hat für den Radverkehrsentwicklungsplan 2010–2020. Optimistischerweise hofft man, das jetzt 2022 beschlossen zu bekommen. Obwohl nicht einmal eine Idee auf dem Tisch liegt, wie man das Radnetz bis 2030 tatsächlich einmal auf die Stufe heben kann, wo es hingehört, wenn diese Stadt im Westzipfel Sachsens die Themen Klimawende und Verkehrswende überhaupt ernst nimmt und mal ernsthaft herunterwill von der miserablen 3,85 im Radverkehr.

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Es gibt 3 Kommentare

Der angesprochene Schäußliche Weg ist wirklich das allerletzte. Stadteinwärts wurde kurz nach dem Griechen eine Werbetafel gestellt. Im Berufsverkehr wird man erst von PKW gedrängelt um dann mit 40 die schnelle S Kurve auf den, ich nenne es mal Rad/Gehweg, zu nehmen um dann durch die Werbetafel nix mehr zu sehen. Entgegen kommender Radverkehr ist nicht zu sehen. Spur wird auf Gehwegbreite verringert… Als nächstes gleich noch das HstHäuschen vom 60er Bus an dem ich gerade so mit meinem Lenker gescheit vorbeikomme. Natürlich immer im Blick entgegenkommender Radverkehr und Fußgänger.
Weiter geht’s auf meinen geliebten Gehwegplatten, mit einem Versatz, bei dem sich meine Felgen immer wieder aufs neue freuen… Wenn man bedenkt das das gerade mal das erste Drittel war…
Das allerbeste ist natürlich das gemecker vereinzelter Verkehrsteilnehmer wenn ich es mir wage auf einer der beiden Fahrspuren des MiV wechseln 🙄

Zwischen die Positionen der Klimawandelleugner a la AfD und die der Verwaltung paßt kein Blatt Papier!

Während die einen das aber offen in Frage stellen, handeln die anderen nur, schlicht nach dem Motto:
Klimawandel?
Was ist das?
Gibts nicht!
Interessiert uns nicht.

Man braucht nur den Versuch zu unternehmen, mit dem Rad gepflegt in den Leipziger Südraum zu kommen: breite Schnellstraßen mit guter Anbindung und rührender Sorge für die Motorbürger – kaputte Anbindungen und (mittlerweile wieder) marode (und bis heute nicht durchgängig befahrbare) Wege für die Radfahrer.
Schlecht einsehbar, kurvenreich und zu schmal dazu.

Und so läuft das in zahlreichen Straßen, wo die Fahrbahnen in gutem bis sehr gutem Zustand sind (trotzt großen Verschleißes), während die Radbahnen nicht mal mehr den baulichen Mindestanforderungen genügen.

Das Signal ist eindeutig:
der Bürger soll gefälligst Auto fahren.
Punktum!

Leipzig ist absolut nicht fahrradfreundlich. Es gibt zwar einige Abschnitte, wo man als Radfahrer gut und sicher vorankommt, aber die anderen Abschnitte überwiegen bei weitem.

Wobei man fairerweise sagen muss, dass es natürlich auch Bereiche gibt, die verhältnismäßig gut erschlossen sind. Nach meiner Vermutung dort, wo die politische Elite der Stadt wohnt.
Wenn man sich dagegen mal den Südwesten von Leipzig, also Klein-/Großzschocher und Knauthain/Knautkleeberg anschaut, da gibt es meist keine oder wenn dann nur sehr lückenhafte Radwegeverbindungen.

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