Die HUK-Coburg ist – als klassischer Kfz-Versicherer – nicht unbedingt eine unabhängige Instanz, wenn es um die Mobilitätswende in Deutschland geht. Auch dann nicht, wenn die Umfrage „Mobilität der Zukunft“ betitelt ist. Dazu waren die Fragen zu suggestiv gestellt. Eben so, wie sie ein Versicherer eben stellt: Haben Sie denn keine Angst, dass es für Sie richtig teuer wird? Und dass Sie auf ihr geliebtes Auto verzichten müssen?

Und so fragt der Versicherungskonzern, der immerhin nach eigener Auskunft 13 Millionen Fahrzeuge versichert, auch in der Mitteilung zum Umfrageergebnis erst einmal: „Zielen Mobilitätskonzepte für die Zukunft, die vor allem ein Zurückdrängen des Autos beinhalten, nach den Erfahrungen der Corona-Zeit noch in die richtige Richtung? Erhebliche Zweifel daran ergibt jetzt eine bundesweit erstmalige repräsentative Bevölkerungsbefragung zeitgleich in allen 16 Bundesländern.“Befragt wurden mehr als 4.000 Personen ab 16 Jahren repräsentativ nach Alter und Geschlecht im Februar 2021, also ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie.

Die wichtigsten Ergebnisse aus Sicht der HUK-Coburg: Bei der Auswahl von Verkehrsmitteln stehen für die Deutschen inzwischen die Kriterien Kosten, Schnelligkeit und Flexibilität mit weitem Abstand vor allen anderen. Entsprechend fordert eine Mehrheit der Bevölkerung an erster Stelle von Mobilitätskonzepten für die Zukunft, dass „Mobilität bezahlbar wird für breite Bevölkerungskreise“ und die „Kosten für Mobilität insgesamt sinken“. Diese Ziele werden in Summe zu über 50 Prozent häufiger genannt als etwa „CO2-Neutralität“ oder „mehr Verkehrssicherheit“ auf den Rangplätzen drei und vier.

So zumindest sieht das der Versicherer. Aber die Frage impliziert keine „Forderung“. Gefragt wurde schlicht und einfach: „Welche Ergebnisse sollte Ihrer Meinung nach ein Konzept für Mobilität in der Zukunft bringen? Gemeint ist ein Zeitraum etwa in den nächsten 5 Jahren?“

Wie die Verkehrssysteme in zehn, 15 Jahren aussehen, weiß ja noch keiner. Allein die Planungsprozesse sind ja ewig lang. Wir leben heute in einer Mobilitätswelt, in der sich seit 70 Jahren alles aufs Auto fokussiert. Logisch, dass die Befragten auch für die nächsten fünf Jahre davon ausgehen: Mit welcher Mobilität bekomme ich meinen Arbeitsalltag eigentlich unter einen Hut? Auf die Frage „Nach welchen Aspekten wählen Sie heute Fortbewegungsmittel aus?“ durften sie übrigens nur vier Kriterien ankreuzen.

Das heißt im Klartext: Wir erfahren so, welche Bedingungen Mobilität erfüllen muss, damit sie in unserer hochmobilen Gesellschaft funktioniert. Die Reihenfolge ist einleuchtend und logisch:
1. Niedrige Kosten 45 Prozent
2. Schnell ans Ziel kommen 41 Prozent
3. Hohe Flexibilität 40 Prozent
4. Hohe Sicherheit 33 Prozent
5. Hohe Verlässlichkeit der Zeitplanung 30 Prozent

Das gilt egal für welche Verkehrsart. Und die meisten zum Pendeln gezwungenen Deutschen können zwangsläufig nur unter „ferner“ auch Aspekte wie CO2-Neutralität (11 Prozent) beachten. Wer mit Fahrrad, ÖPNV oder zu Fuß nicht problemlos zur Arbeit kommt, hat keine Wahl. Das ist schlichtweg der Ist-Zustand unserer Mobilität.

Angst vor steigenden Kosten?

Und die Zukunft? Hier taucht das Thema CO2-Freiheit schon mit 29 Prozent auf. Wohlgemerkt: Für die nächsten fünf Jahre. Und auch hier waren nur vier Antwortmöglichkeiten drin. Dass die CO2-Freiheit da – hinter den Kosten – schon auf Rang 3 landet, ist eigentlich ein Achtungszeichen. Es zeigt, dass den Befragten ein umweltfreundlicher Verkehr durchaus wichtig ist.

Aber ein Versicherer wäre kein Versicherer, wenn er die Sache nicht völlig anders sehen würde: „Schon rund jeder zweite Deutsche befürchtet als größte Gefahr künftiger Konzepte ,steigende Kosten für Mobilität‘. Nur 27 Prozent Nennung bekommt bundesweit dagegen ein zu geringer Umweltschutz als zweitgrößte Sorge.“

Das bezieht sich auf die Frage: „Welche Befürchtungen haben Sie allgemein hinsichtlich der Entwicklung von Mobilitätskonzepten für die Zukunft?“

Und nichts in den Antworten deutet darauf hin, dass beide Aussagen im Widerspruch zueinander stehen. Aber so, wie es die HUK-Coburg auswertet, klingt das so, als wäre umweltgerechter Verkehr teurer. Was schlicht nicht stimmt. Aber die Erfahrung, dass Mobilitätskosten nur zu gern auch auf die Nutzer umweltfreundlicher Verkehrsmittel abgewälzt werden, ist nun einmal da. Nicht nur in Leipzig wird um das 365-Euro-Ticket gekämpft.

„Die Mobilitätskosten, von der Bahn über Kraftstoff bis hin zum öffentlichen Nahverkehr, sind in den vergangenen 20 Jahren stark gestiegen. Als marktführender Kfz-Versicherer beobachten wir das ebenfalls bei der Höhe von Kfz-Schadenkosten“, meint Dr. Jörg Rheinländer, Vorstand bei der HUK-COBURG. „Wenn jetzt, nach den Corona-Erfahrungen, die Menschen endlich sinkende Kosten für ihre Mobilität einfordern, muss sich das auch in Konzepten für die Zukunft widerspiegeln.“

Aber die HUK-Coburg denkt hier nun einmal im Eigeninteresse zuerst einmal „Auto“.

Wegen Corona tatsächlich wieder ins Auto?

Bei mehr als jedem vierten Befragten in Deutschland habe sich durch die Corona-Erfahrungen die Einstellung bei der Auswahl von Verkehrsmitteln verändert, interpretiert sie die Umfrage. In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ist es sogar im Schnitt jeder dritte. Das fokussiert die HUK-Coburg freilich nur auf den Hygiene-Aspekt.

Motto: „Ich hätte vor der Corona-Erfahrung nicht erwartet, dass ein Auto für mich einen solchen Wert als Verkehrsmittel einmal haben könnte.“ Nirgends sagen das jetzt etwa so viele wie in Berlin, meint die Versicherung und findet, gleichzeitig trage offenbar der Hygiene-Aspekt zu einer Renaissance des Autos gegenüber Bus und Bahn bei. Und dann wird einfach eine Befragtengruppe herausgepickt: „So zählt für die in der HUK-Studie befragten Frauen etwa heute bei der Auswahl eines Verkehrsmittels eine gute Hygiene-Situation schon mehr als doppelt so viel wie beispielsweise die CO2-Neutralität der Fahrt.“

Aber die Gesamtbefragung ergab ein völlig anderes Ergebnis: Die CO2-Neutralität wurde mit 29 Prozent fast doppelt so oft genannt wie der Hygiene-Aspekt mit 16 Prozent. Durchaus bedenkenswert ist dann die Antwort auf die Frage „Welche Fortbewegungsmittel erfüllen die Ansprüche der Bundesbürger heute in Summe am besten?“

Drei Viertel (73 Prozent) nennen dabei das Auto oder ein E-Auto. Und gefragt, was wohl in Zukunft ihr ideales Fortbewegungsmittel sein wird, nennt wieder ein ähnlich großer Anteil das Automobil (69 Prozent). „Zum Vergleich“, so die HUK-Coburg. „Die Bahn kommt aktuell und auch in Zukunft auf lediglich rund 16 Prozent Nennung unter allen Bundesbürgern, Busse auf gleichbleibend nur zehn Prozent.“

Aber bei dieser Frage durften die Befragten drei Antwortmöglichkeiten ankreuzen. Das heißt: Die Liste zeigt zwar, dass das Auto die meisten Mobilitätsbedürfnisse der Befragten erfüllt. Aber sie gleicht die Antworten nicht mit dem Angebot ab. Dann natürlich haben nicht 73 Prozent der Befragten eine Straßenbahn oder eine S-Bahn vor der Tür. Die ÖPNV-Angebote in den ländlichen Räumen erfüllen nicht nur in Sachsen nicht die nötigsten Mobilitätsbedürfnisse. Wer seine täglichen Wege nicht mit Bahn und Bus absolvieren kann, wird sie auch nicht ankreuzen, während sie bei anderen, die auch mal wechseln können, durchaus auftauchen.

Ein seltsamer Rückgang bei Fahrrad und Zufußgehen

Und dass das Fahrrad und das Zufußgehen bei den „Auswahlkriterien in Zukunft (etwa in den nächsten 5 Jahren)“ sogar zurückgehen, dürfte selbst die Ersteller der Umfrage zum Nachdenken bringen. Welche Entwicklung sollte ausgerechnet dahinterstecken, dass das Zufußgehen von 38 Prozent auf 30 Prozent absackt? Etwa der Umstieg aufs E-Auto, das von 7 auf 17 Prozent zulegt? Dann bekommen die Befragten genau das, was sie nicht haben wollen: mehr Stau und dichteren Autoverkehr in den Städten, weniger Flexibilität und mehr Bevormundung.

Da klingt es dann schon sehr seltsam, wenn die HUK-Coburg eine Öffnung der Mobilitätsdebatte fordert. Dr. Jörg Rheinländer: „Die Studienergebnisse zeigen, dass die Debatten um die Zukunft der Mobilität und insbesondere des Autofahrens innovativer und mit weniger Scheuklappen geführt werden müssen.“

Das E-Auto als Lösung aller Probleme?

Dr. Jörg Rheinländer: „Das Elektroauto kann damit zum Game-Changer in der Mobilitätsdiskussion werden. Denn es schafft die Verbindung zwischen der unverzichtbaren Rolle des Autos gerade außerhalb der Städte und mehr Umweltschutz. Bei Zukunftskonzepten für Mobilität sollte das stärker berücksichtigt werden.“

Das kann für die ländlichen Räume durchaus eine Rolle spielen. Denn dass die Umfrage eine Schwäche hat, weiß auch der Versicherer: „Tatsächlich erklären laut HUK-Mobilitätsstudie sieben von zehn Personen in Deutschland, dass ein Auto im Haushalt für sie aus beruflichen oder privaten Gründen unverzichtbar ist. In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sind es aber nur die Hälfte.

Hierin liegt ein Spannungsverhältnis, wie die Studie belegt: Befragte außerhalb von Großstädten ab 500.000 Einwohnern sehen in einem E-Auto heute schon doppelt so häufig wie Befragte in den Großstädten ein ideales Fortbewegungsmittel. Und in ihren Augen kann sich die Position des E-Autos als ideales Verkehrsmittel in den nächsten fünf Jahren nochmals verdoppeln.“

Heißt im Klartext: Großstädte werden andere Mobilitätskonzepte brauchen als die ländlichen Räume. Und das Auto wird dort eine deutlich geringere Rolle spielen als heute.

„Laut HUK-Studie sieht schon jeder vierte Befragte in Deutschland als eine der größten Gefahren künftiger Mobilitätskonzepte die ,einseitige Forschung‘ und ,öffentliche Bevormundung‘, meint die HUK. „Ein Viertel der Bundesbürger sagt heute: ,Ich empfinde eine Verteufelung des Autos, die meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt ist.‘ Und fast jeder Zweite sagt voraus, dass auch in Zukunft ,das Auto nicht seine bisherige Bedeutung verliert‘. Zudem moniert jeder fünfte Befragte, dass sich bisherige Mobilitätskonzepte für die Zukunft ,zu einseitig nur auf Städte konzentrieren‘.“

Dass gerade die Antwortmöglichkeiten auf die Frage „Wie beurteilen Sie die Rolle des Autos im Hinblick auf die Mobilitätskonzepte für die Zukunft?“ suggestiv und einseitig sind und einer unabhängigen Befragung nicht genügen, muss man an der Stelle zumindest betonen. Hier wird allein das Auto in den Fokus gestellt.

Wie sich das für einen Autoversicherer gehört. Dass das mit einer offenen Befragung zur „Mobilität der Zukunft“ nicht viel zu tun hat, ist offensichtlich. Und wer den Topos „Die Verteufelung des Autos ist nicht gerechtfertigt“ als Antwortmöglichkeit formuliert, hat die Basis einer unabhängigen Befragung schon längst verlassen.

Bundesweit repräsentative Online-Befragung zu Einstellungen und Verhaltensweisen beim Thema „Mobilität der Zukunft“, Basis: 4.029 Personen ab 16 Jahren in 16 Bundesländern, durchführendes Institut: YouGov Deutschland.

Die veröffentlichten Ergebnisse findet man hier.

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Es gibt 2 Kommentare

Ja, komische Umfrage.

Eine Mobilitätswende wird kommen – allein schon von höherer Ebene aus wie Bundesebene oder der EU – da kann die HUK Coburg umfragen, wie sie will.

Bin bisschen erstaunt – von einer Versicherung erwarte ich mehr planerische Weitsicht. Schließlich haben sie Geld gebunkert und sollten nicht unbedingt pleite gehen.

Diese Versicherung sollte lieber aufpassen und sich überlegen, wie sie später mit weniger versicherten Kfz zurechtkommen werden will. Die Gesamtmenge der MIV-Kfz wird abnehmen, egal, ob da schon E-Autos dabei sein werden oder nicht.

Und beim Online-Ableger habe ich meine Privathaftpflicht. Fast überlege ich jetzt, wegen dieser dämlichen Umfrage den Versicherer zu wechseln…

Also diese Umfrage wirft mehr Fragen auf als Antworten gegeben werden.

Der Verdacht wird nicht ausgeräumt, dass nur Autofahrer befragt wurden.
Die Frage taucht auch gar nicht auf, ob bspw. ein Auto zum befragten Haushalt gehört oder nicht.
Oder welche Verkehrsmittel genutzt werden. Dagegen wird nach Wünschen gefragt.

Natürlich wird fast jeder bei der Frage nach dem IDEALEN Verkehrsmittel vorrangig das Auto ankreuzen. Das bringt einen komfortabel von A nach B. Das schafft keine Bahn.

Sinkende Kosten hat auch ein jeder gern, die Frage danach erübrigt sich fast.

Car-Sharing wird als Option überhaupt nicht angeboten.
Dabei wäre das ein guter Kompromiss.

Interessant ist im Übrigen auch die Reduzierung der Emissionen auf CO2.
Der Reifenabrieb (Feinstaub) beispielsweise wird auch mit jedem Elektroauto nicht abnehmen.

Mit Begriffen wie “öffentliche Bevormundung” oder “Verteufelung” werden hier nur Meinungen geschürt, aber keine neutralen Gedanken abgefragt.

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