Neun Jahre lang tat sich viel zu wenig im Leipziger Radnetz. Nur ein Viertel der 2012 im Radverkehrsentwicklungsplan beschlossenen MaรŸnahmen wurde umgesetzt, rechnete im Frรผhjahr 2020 der ADFC vor. Da war es regelrecht eine รœberraschung, als das Planungsdezernat im Januar ein Aktionsprogramm fรผr den Radverkehr im Umfang von 8 Millionen Euro vorlegte. Nun gibt es einen neuen Bremsversuch aus der CDU-Fraktion.

Die hatte 2012 schon erfolgreich alles getan, um das Radverkehrskonzept auszubremsen. Mal war es der Wirtschaftsverkehr, den sie behindert sehen wollte, mal der ร–PNV. Das Ergebnis steht in der Auswertung des ADFC. Insbesondere das Programm fรผr Radfahrstreifen kam fast zum Erliegen. 71 Prozent der hier beschlossenen MaรŸnahmen wurden nicht umgesetzt. Auch, weil einige Wirtschaftskammern รผber die Leipziger Autofahrerzeitung Bambule machten.Ergebnis ist ein weiterhin lรผckenhaftes Radnetz, das dem wachsenden Zuspruch zum Radfahren in keiner Weise genรผgt. Die SPD-Fraktion begrรผรŸte dann das Aufwachen im Planungsdezernat nicht nur, sondern beantragte auch gleich noch ein MaรŸnahmenprogramm fรผr die Jahre 2023/2024. Denn mittlerweile hat das Planungsdezernat ja angekรผndigt, dass der fรผr 2020 vorgesehene (fortgeschriebene) Radverkehrsentwicklungsplan erst 2023 kommen wird.

Aber Leipzig hat schon lange keine Zeit mehr zu verlieren beim beherzten Einleiten der Verkehrswende. Denn beim ร–PNV hat sich die Stadt ebenso รผber Jahre in einen Stau der notwendigen Erweiterungen hineingespart โ€“ mit dem Ergebnis, dass der Wunsch der Leipziger nach einem 365-Euro-Jahres-Abo jetzt auf ein StraรŸenbahnnetz trifft, das noch immer den Stand des Jahres 2000 abbildet.

Damals aber hatte Leipzig nur 493.500 Einwohner. Heute sind es รผber 600.000, von denen eine Menge nur zu gern mit der StraรŸenbahn fahren wรผrden, wenn die nur รผberhaupt in ihren Ortsteil kรคme oder auch noch in attraktiven Takten fahren wรผrde. Von den ganzen Bummelstrecken unterwegs ganz zu schweigen.

Die letzthin ausgewertete Bรผrgerumfrage 2019 hat dann endgรผltig gezeigt, wie unzufrieden die Leipziger/-innen mit dem Stand des Ausbaus von ร–PNV und Radnetz sind.

Da wirkt es dann schon seltsam, wenn die CDU-Fraktion den Vorschlag des Planungsdezernats gleich wieder mit einem Bedenken-Antrag ausbremsen will. Ganz so, als wรผrden die stรคdtischen Planer nicht sowieso schon vorsichtig agieren, als kรถnnten sie sich mit jedem neuen Stรผck Radweg die Finger verbrennen.

โ€žDie Fรถrderung des Radverkehrs und die Herstellung der Sicherheit fรผr alle Verkehrsteilnehmenden sind in jedem Fall zu verfolgende Ziele. Dennoch darf dadurch weder der FuรŸverkehr noch der Wirtschaftsverkehr und der ร–PNV unverhรคltnismรครŸig eingeschrรคnkt werdenโ€œ, formuliert die CDU-Fraktion nun auf einmal wieder dieselben Bedenken, mit denen sie 2012 schon die Radnetzentwicklung ausgebremst hat.

โ€žDie betroffene Bevรถlkerung fordert und befragt uns Stadtrรคte, ob wir immer die VerhรคltnismรครŸigkeit der Mittel im Blick haben. Um dem gerecht zu werden, braucht es Information und braucht es Gewissheit, dass sich z. B. die StraรŸenverkehrsbehรถrde mit allen Aspekten der Verkehrssicherheit auseinandergesetzt hat. Schon im Vorfeld der Fortschreibung fรผr 2023/24 ist es zu empfehlen, die Hinweise aus den Fraktionen zu Schwerpunkten und Art und Weise der MaรŸnahmen im Rahmen der Ausschussarbeit aufzunehmen.โ€œ

Da ist sie wieder, die โ€žbetroffene Bevรถlkerungโ€œ, worunter man sehr wohl jene Bรผrger verstehen kann, die in der CDU-Fraktion die Vertreterin ihrer Interessen sieht. Also wohl eher der Autofahrer. ร–PNV-Nutzer und Radfahrer/-innen werden sich eher an die vier Fraktionen wenden, die in den letzten Jahren gezeigt haben, dass sie durchaus eine Verkehrswende in Leipzig wollen. Das sind dann eher die Fraktionen von SPD, Linken, Grรผnen und Freibeuter. Wobei man nicht vergessen darf, dass auch die CDU-Fraktion 2018 das Nachhaltigkeitskonzept in der Mobilitรคtsstrategie der Stadt unterstรผtzt hat.

Dem widerspricht nun freilich dieser Antrag. Denn wenn man ihn ernst nimmt, darf wieder nicht allzu viel im Radnetz passieren. โ€žBevor eine MaรŸnahme mit dem Ziel der Abmarkierung von Fahrradschutzstreifen oder Radfahrstreifen begonnen wird, ist dem Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau bzw. dem zbA Verkehr zu belegen, welchen Einfluss diese auf den allgemeinen Verkehrsfluss hatโ€œ, beantragt die CDU-Fraktion zum Beispiel.

Wie viele Gutachten muss das Planungsdezernat da erst in Auftrag geben, wenn es die eigentlich sogar gesetzlich erforderlichen Radstreifen auf den HauptstraรŸen aufbringen lรคsst? Und auch nicht viel anders ist der zweite Nachtrage-Punkt, den die CDU-Fraktion haben mรถchte: โ€žIn Vorbereitung auf das Aktionsprogramm Radverkehr 2023/24 befasst sich der Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau, der zbA Verkehr und erforderlichenfalls die AG Schulwegsicherheit in 2022 mit den Schwerpunkten der Fortschreibung.โ€œ

Nach Auskunft des Ratsinformationssystems hat sich der Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau schon mit dem Thema beschรคftigt.

Der zeitweilig beratende Ausschuss Verkehr (zbA Verkehr) dรผrfte sich ebenfalls damit beschรคftigen, denn das Sofortprogramm gehรถrt natรผrlich ins Nachhaltigkeits-Szenario, das der Stadtrat 2019 beschlossen hat. Dort steht als Zielzahl fรผr den Radverkehr, dass er seinen Anteil am tรคglichen Verkehr von 18 auf 23 Prozent erhรถhen soll. Das geht nun einmal nur mit einem Ausbau des Radnetzes. Und ob ausgerechnet Radfahrer die Schulwegsicherheit beeintrรคchtigen, darf man wohl bezweifeln. Das tun eher all die Helikoptereltern, die ihre Sprรถsslinge unbedingt mit dem Auto zur Schule bringen mรผssen.

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Es gibt 2 Kommentare

โ€œWobei man nicht vergessen darf, dass auch die CDU-Fraktion 2018 das Nachhaltigkeitsszenario in der Mobilitรคtsstrategie der Stadt unterstรผtzt hat.โ€

Die einstimmige Befรผrwortung durch den gesamten Stadtrats hat mich damals nicht besonders jubeln lassen. Denn es war klar: nicht alle Fraktionen waren zu der Erkenntnis gekommen, dass eine nachhaltigere Mobilitรคt als derzeit notwendig ist. Es ist geradezu DAS Problem des Nachhaltigkeitsszenarios, dass jeder darunter etwas anderes versteht und es anders interpretiert. Der Begriff โ€œNachhaltigkeitโ€, mit dem sich viele gern schmรผcken, war der gemeinsame Nenner. Da wollte scheinbar niemand abseits stehen und offen unnachhaltig sein, รผberraschenderweise selbst die AfD nicht. Mit der in diesem Artikel erwรคhnten Stagnation beim ร–PNV-Angebot besteht die groรŸe Gefahr, dass es zum grรผn angestrichenen Fortfรผhrungsszenario wird.

Die CDU hat sich wahrscheinlich daran festgehalten, dass beim Nachhaltigkeitsszenario doch bestimmte AusbaumaรŸnahmen dem Autoverkehr zu Gute kommen sollen. Gedanklich ist man noch beim vorgeschlagenen โ€œEntwicklungs- und Angebotsszenariumโ€ (VI-A-05621), mit dem man damals den gesamten Prozess abwรผrgen wollte. Mit einem Kuddelmuddel wie bisher, bei dem man niemandem, nicht einmal ein bisschen, wehtut.

Sehr schรถn! Die Fraktion, die im Stadtrat immer lamentiert, dass zu lange debattiert wรผrde, will nun รผber jedes Stรผck Radweg extra diskutieren und ihre Bedenken zelebrieren. Vor allem mit dem Abmarkieren von Radstreifen kann doch relativ einfach ausprobiert werden, ob das eine gute Lรถsung ist. Theoretisch kรถnnte man das wieder rรผckgรคngig machen. Wenn man es aber gar nicht erst versucht, besteht immer noch die Mรถglichkeit, dass das komplette Chaos droht, egal wie unwahrscheinlich das ist.

โ€œโ€˜braucht es Gewissheit, dass sich z. B. die StraรŸenverkehrsbehรถrde mit allen Aspekten der Verkehrssicherheit auseinandergesetzt hat.'โ€

Finde ich bloรŸ die versteckte Pointe in dieser Aussage nicht, oder ist das ernst gemeint? An welcher Stelle hat sich die Sicherheit fรผr andere Verkehrsteilnehmer mit der Einrichtung von Radwegen verschlechtert? Im Gegenteil: mit der Trennung des Radverkehrs vom FuรŸverkehr, Autoverkehr und ร–PNV steigt die Sicherheit fรผr alle Beteiligten! Hin und wieder fordert die CDU doch die Entmischung der Verkehrsarten. Oder darf es diese Entmischung bloรŸ geben, wenn keine Parkplรคtze davon betroffen sind?

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