Es geht nicht nur dem interessierten Bürger so, dass viele wichtige Entscheidungen zur Stadtentwicklung an ihm vorbeirauschen, gar nicht erst wahrgenommen werden, weil sie in dicken Verwaltungsvorlagen stecken, die auch die Ratsfraktionen oft nicht mehr schaffen durchzuarbeiten. So ging es auch der SPD-Fraktion beim Thema Fahrradstraßen.
„Mit dem Beschluss des Antrags ,Fahrradfreundliche Karli‘ (VI-A-07954) wurde die Verwaltung beauftragt, bis Ende 2019 die Ergebnisse der 2012 mit dem Radverkehrsentwicklungsplan beschlossenen Prüfung von 26 potenziellen Fahrradstraßen sowie bis Ende des 2. Quartals 2020 hierzu ein umfassendes Umsetzungskonzept, inklusive eines Zeitplans, vorzulegen“, hatte die SPD-Fraktion angefragt.„Unsere Anfrage vom Sommer 2020 wurde von der Verwaltung wie folgt beantwortet: ,Sowohl die Prüfung als auch das Umsetzungskonzept sind mittlerweile abgeschlossen und werden dem Stadtrat in Kürze mit dem Stand der Umsetzung zu VI-A-07954 Fahrradfreundliche ,Karli‘ übergeben.‘ Die Umsetzung weiterer Fahrradstraßen ist auch Gegenstand des aktuellen Aktionsprogramms Radverkehr 2021/2022.“
Logisch, dass die Fraktion nur zu gern wissen wollte, was denn nun seit 2012 bei den ganzen Prüfungen von möglichen Fahrradstraßen herausgekommen ist.
Entsprechend forsch klingt es, wenn das Dezernat Stadtentwicklung und Bau jetzt kurzerhand mitteilt, dass man das doch alles schon im Juli 2020 verraten habe. Das klingt dann so: „In der Ratsversammlung vom 19.11.2019 wurde der Antrag VI-A-07954 ,Fahrradfreundliche Karli‘ in geänderter Form beschlossen, der in der beschlossenen Fassung auch den Prüfauftrag und die Erarbeitung des Umsetzungskonzeptes enthält.“
Wahrscheinlich haben auch die Ratsfraktionen keine besondere Klingelanlage, die ihnen meldet, wenn die Verwaltung wieder mal irgendwo im System ein Protokoll ergänzt hat. Denn im November 2019, als es um die „Karli“ ging, gab es diese Prüfliste natürlich noch nicht.
Damals beschloss der Stadtrat zum Beispiel: „Die Stadtverwaltung legt, basierend auf dem beschlossenen Radverkehrsentwicklungsplan (Punkt F 8.3.4), bis Ende 2019 die Prüfergebnisse zur Einführung von Fahrradstraßen in den im Entwicklungsplan definierten Straßenzügen vor und bis Ende zweites Quartal 2020 ein umfassendes Umsetzungskonzept inkl. Zeitplan für die Einrichtung von Fahrradstraßen in Leipzig.“
So liest man es im Protokoll, das auch das Abstimmungsergebnis 41/11/13 wiedergibt, den Auftrag für die Straßenpiktogramme enthält und den Prüfauftrag für die Bernhard-Göring-Straße.
Und neun Monate später hat augenscheinlich das Verkehrsdezernat das versprochene Prüfergebnis einfach in dieses alte Protokoll gepackt: „Entsprechend dem generell üblichen Verfahren wird zur Umsetzung des Ratsbeschlusses berichtet und der Stand der Umsetzung, zuletzt vom 22.07.2020, ist im elektronischen Ratsinformationssystem Allris unter der Beschlussfassung zum VI-A-07954 dargestellt. Aus technischen Gründen sind die maßgeblichen Anlagen (Ergebnisse der Prüfung der Fahrradstraßen aus dem Radverkehrsentwicklungsplan 2010–2020 sowie das Umsetzungskonzept) dann am Ende der Seite als PDF-Dokument eingestellt. Auf eine inhaltliche Wiedergabe wird daher an dieser Stelle verzichtet, das PDF-Dokument ist aber nochmals als Anlage zu dieser Antwort im Allris hinterlegt.“
Wenn dies das „generell übliche Verfahren“ ist, dürfte auch den Ratsfraktionen so einiges an Informationen aus der Stadtverwaltung durch die Lappen gehen. Um dieses Prüfergebnis zu finden muss man im Beschluss vom November 2019 das Protokoll aufrufen und den dort hinterlegten Anhang öffnen.
Aber irgendwie hatte der Sachbearbeiter im Planungsdezernat dann wohl doch ein schlechtes Gewissen und hat das Prüfergebnis jetzt an die Antwort für die SPD-Fraktion angehängt.
Und so erfahren wir jetzt auch, dass aus anfangs 67 vorgeschlagenen Straßen, die zur Widmung als Fahrradstraße zu prüfen waren, inzwischen 95 geworden sind. Insgesamt zwölf Straßen(abschnitte) wurden bis Ende 2019 als Fahrradstraße eingerichtet. Der spektakulärste Fall war ja die Fahrradstraße in der Beethovenstraße / Straße des 17. Juni / Härtelstraße.
Was ja dann nicht nur das Jugendparlament dazu animierte nachzufragen, ob dann nicht auch ein Teil der Karl-Liebknecht-Straße zur Fahrradstraße umgewidmet werden könnte. Dem folgte ja dann die Nachfrage zur Bernhard-Göring-Straße, die auch längst hätte geprüft werden sollen. Auch diese beiden Prüfberichte hängte das Verkehrsdezernat dem Protokoll vom November 2019 an. Kurzes Fazit: Bei Zählungen ergab sich, dass hier immer noch mehr Kfz als Fahrräder unterwegs sind, also könne man keine Fahrradstraße draus machen.
Das nennt man dann wohl Prüfschema F. Kein Gedanke daran, dass die Zahl der Radfahrenden deshalb so gering ist, weil die Radfahrbedingungen entweder zu beengt (Karli) oder geradezu schlecht (Bernhard-Göring-Straße) sind.
Wobei das Argument des schlechten Straßenzustands auch wieder aufseiten der Verkehrsplaner ist, denn auch ein Mindestmaß an ordentlicher Fahrbahn ist Grundbedingung zur Ausweisung einer Fahrradstraße.
Für 17 Straßen(abschnitte) stellte die Prüfung freilich auch fest, dass sie eigentlich zur Fahrradstraße gewidmet werden können. Dazu gehörte auch die Mainzer Straße / Am Elsterwehr, die inzwischen ebenfalls als Fahrradstraße ausgewiesen wurde. Wie schematisch das Planungsdezernat da vorgeht, zeigen die jeweils gegenübergestellten Zahlen von Kfz und Radfahrenden.
Egal, wie hoch sie sind. Entscheidend ist die größere Zahl von Radfahrenden. Sodass die Ernst-Mey-Straße genauso wie der westliche Brühl über die Gottschedstraße sofort zu Fahrradstraßen gemacht werden könnten. Selbst in der Buttergasse in Großzschocher wäre das möglich, wenn nur der Straßenbelag nicht so schlecht wäre.
Aber man merkt den Widerspruch, wenn die Umwidmung der nördlichen Karl-Liebknecht-Straße mit ihrem hohen Radfahreraufkommen von 9.360 in 24 Stunden abgelehnt wird, weil im selben Zeitraum eben auch 11.200 Kfz hier entlangfahren. Zur Bernhard-Göring-Straße wird nur gesagt, dass sich die „Situation ähnlich“ darstellt, aber es werden keine Zahlen angegeben.
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