Am 10. Januar berichteten wir über einen Antrag der Grünen-Fraktion, in Leipzig drei Testgebiete für flächendeckendes Tempo 30 einzuführen. Was vorerst nur als Test möglich ist, da die bundesdeutsche Gesetzgebung Kommunen noch nicht erlaubt, aus nicht-verkehrsbedingten Gründen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit im Stadtgebiet zu verhängen.
Gründe dafür gibt es genug. Und der wichtigste ist einer, den auch die Grünen nicht erwähnen, wenn sie jetzt ihren Antrag näher erläutern.
Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen hat beantragt, in einem Pilotprojekt Tempo 30 als Regelhöchstgeschwindigkeit in drei Gebieten Leipzigs zu erproben. Dies soll auf Grundlage §45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO (Erprobungsklausel) geschehen. Dabei sollen unter anderem Erkenntnisse hinsichtlich einer verbesserten Verkehrssicherheit sowie der Reduzierung von Lärm und Luftschadstoffen und einer Erhöhung der Aufenthaltsqualität gewonnen werden.
Die gibt es zwar schon. Aber der zähe Kampf mit den Leipziger Verkehrsbehörden um jede einzelne Tempo-30-Strecke hat auch gezeigt, dass die amtlich Verantwortlichen lieber jede Menge Gründe finden, etwas nicht zu tun, als die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirkung einer Tempo-30-Zone einfach ernst zu nehmen und den Stadtraum dementsprechend zu reglementieren.
Wir verweisen dazu einfach mal auf eine Broschüre des Umweltbundesamtes (UBA), die man hier im Internet finden kann.
Sie stammt von 2017 und enthält die Einschätzungen von 2016, was schon genug darüber erzählt, wie zäh und langwierig der Kampf um ein bisschen Vernunft im Straßenverkehr ist.
Darin fasst das UBA unter anderem die Erkenntnisse zu folgenden Themen zusammen: Wie entwickelt sich der Verkehrsfluss? Fazit: „In der Praxis wurden bei Messfahrten Reisezeitverluste an Tempo-30-Strecken von 0 bis 4 Sekunden je 100 Meter festgestellt. Dies ist auch bei längeren Abschnitten oder einer Aneinanderreihung von mehreren Regelungen volkswirtschaftlich kaum relevant. Wichtiger für die subjektive Wahrnehmung und damit die Akzeptanz von Tempo 30 ist die Homogenität des Verkehrsflusses. Der Verkehrsfluss kann Messungen zufolge bei Tempo 30 besser sein als bei Tempo 50.“
Und wie ist das mit der Lärmbelastung? „Tempo 30 führt in der Mehrzahl der untersuchten Fälle zu wahrnehmbaren Lärmentlastungen. Dazu tragen vor allem nachts auch die geringeren Lärmspitzen bei.“
Und was ist mit den Luftschadstoffen? „Tempo 30 reduziert die Luftschadstoffbelastung, wenn es gelingt, die Qualität des Verkehrsflusses beizubehalten oder zu verbessern.“
Das sind nur drei von mehreren untersuchten Kriterien, die die Vorteile von Tempo-30-Zonen untermauern. Und so betonen auch die Grünen: Bereits 2016 stellte das Umweltbundesamt fest, dass es mit Tempo 30 Gewinne bei Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung sowie bei der Aufenthaltsqualität gibt, während die Automobilität nicht übermäßig eingeschränkt wird. In Leipzig lag die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit auf den Hauptverkehrsstraßen zur Hauptverkehrszeit im Jahr 2018 bei 27,6 km/h.
Was aber in der Regel eben nicht zu einem flüssigen Verkehr führt, sondern zu Stop und Go, oft mit heulenden Motoren und quietschenden Reifen.
Um die wegweisenden Erkenntnisse auch auf Leipzig anzuwenden, soll mit dem Antrag der Grünen Tempo 30 als Regelhöchstgeschwindigkeit zunächst an drei verschiedenen Stellen im Stadtgebiet sorgfältig getestet und evaluiert werden. Die Erprobung soll in einem integrierten Ansatz aus Verkehrsplanung, Verkehrssicherheit, Freiraumplanung und Wissenschaft erfolgen. Nur mit einer umfassenden wissenschaftlichen Begleitung können die besten Effekte für Leipzig erzielt werden, betonen die Grünen.
Kristina Weyh, verkehrspolitische Sprecherin, erklärt die Hintergründe des Antrags: „Tempo 30 als Regelhöchstgeschwindigkeit ist ein wichtiger Baustein der Mobilitätswende. Die Einführung von Tempo 30 bringt jede Menge Vorteile für Mensch und Stadt. Mit einer Erprobung können wir die Gewinne für die städtische Mobilität durch Tempo 30 schnell erfahrbar machen, nötigenfalls Rahmenbedingungen anpassen und die Erfahrungen für eine Ausweitung von Tempo 30 in Leipzig nutzen.“
„Wir möchten hier keinen Schnellschuss, sondern sind uns sicher, dass eine Erprobung mit sorgfältiger fachlicher Evaluation zeigen wird, dass Tempo 30 niemanden ausbremst und die Situation im öffentlichen Raum auf vielerlei Weise verbessert“, betont Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Dazu sollen Verkehrsunternehmen, Wirtschaft, Vereine, Verbände und Bürger/-innen durch Begleitprozesse in die Erprobung miteinbezogen werden.“
Wobei die zunehmende Wahrnehmung von Tempo-30-Zonen eben auch dazu führt, dass auch Autofahrer Stadtverkehr anders wahrnehmen. Denn man braucht eindeutig kein PS-starkes Auto mehr, wenn der Stadtverkehr bei Tempo 30 flüssig rollt. Dann ist der starke Motor eher ein Problem und wird mit der Zeit auch zum teuren Spritfresser in einer Welt, in der kleinere und sparsamere Fahrzeuge wesentlich ökonomischer fahren.
Was ein erster Schritt wäre, Stadtmobilität anders zu denken.
Und was den vom UBA nicht wirklich umfassend betrachteten Punkt „Verkehrssicherheit“ betrifft. Denn in der UBA-Broschüre wird nur die Perspektive des Autofahrers eingenommen: „In der Summe bedeutet dies, dass ein Fahrzeug bei Tempo 30 bereits steht, während ein Fahrzeug mit Tempo 50 in der gleichen Situation noch unverändert mit 50 km/h unterwegs ist. Die bei einem Zusammenstoß umzuwandelnde Energie ist bei Tempo 50 fast dreimal so hoch wie bei Tempo 30. Hinzu kommt die Tatsache, dass Verkehrsteilnehmende bei niedrigeren Geschwindigkeiten deutlich mehr Details des Verkehrsraums wahrnehmen und somit früher reagieren können.“
Wie sich die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl von Fußgängern und Radfahrenden verändern, wurde nicht konkreter betrachtet. Aber darum geht es am Ende, wenn wir unsere Städte lebenswerter machen wollen: Gerade als schwächerer Verkehrsteilnehmer wieder das Gefühl zu bekommen, dass es ungefährlich ist, sich im Straßenraum aufzuhalten. Wovon in Leipzig aktuell nirgendwo die Rede sein kann.
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Es gibt 4 Kommentare
Zu John Horloge. Die Kennlinien PKW und LKW sind nicht entscheidend sondern dass der LKW deutlich höher in den Gesamtpegel anteilig eingeht als der PKW, was beim durchschnittlichen Verkehrsaufkommen und den durchschnittlichen LKW-Anteil regelmäßig nach dem neuen Berechnungsverfahren dazu führt, dass der Anstieg zwischen 30 und 50 km/h deutlich niedriger ist bzw. gar nicht festgestellte werden kann als beim Verfahren nach der alten Berechnungsmethode. Veröffentlichungen dazu existieren zum Beispiel vom Ministerium für Verkehr Baden Würtenberg. vom 1/2020. Mal im Internet fachlich schnüffeln und nicht in der Zeitung.
Keine Ahnung, warum Sie @Saschok hier falsch argumentieren. Die Kennlinien haben sich zwar etwas geändert, der Knick bei 30 km/h ist bei RLS19 genau noch so vorhanden wie bei RLS90. Und die “paar” db sind viel.
Die Broschüre des UBA ist fachlich überholt. Mit der Einführung des neuen Lärmberechnungsverfahrens RLS 19 in 2020 wird aufgezeigt, dass ein Lärmanstieg zwischen 30 und 50 Km/h regelmäßig nicht mehr ermittelt werden kann. bzw. Nicht so stark ist wie vorher angenommen bzw. Auch berechnet. Das subjektive Empfindung mag anders sein da auch die schnellere Bewegung bei 50 km /h als negativ empfunden werden kann.
In dem Artikel werden tendentiös nur die Vorteile der Tempo-30Zonen benannt nicht die Voraussetzungen für die Verbesserung der Lärm-und Schadstoffsituation. Wichtig ist dass sich der Verkehrsfluss verstetigt also flüssiger wird. Das ist ein komplexes Thema das man auf die Konkrete Verkehrssituation abstellen muss. Die Motordrehzahl ist bei Pkw und damit die Lärmemmission bei Tempo 30 höher als bei Tempo 50.alle anderen Lärmwirkungen wie Wind geräusche und reifengeräusche sind erst relevant ab 60 km/h. Die höhere Drehzahl des Motors bewirkt auch höheren Verbrauch und höheren Schadstoffausstoss. Also Vorsicht bei der Pauschalen Forderung nach Tempo 30, da die Nachteile auch überwiegen können.