Die Verkehrszukunft – auch im Sachsen – kann nicht einfach nur aus Autos bestehen. Seit 1990 wurden ganze Regionen vom Schienennetz der Bahn abgeklemmt. Dort ist ein Leben ohne eigenes Autos kaum noch denkbar. Aber wo bleiben die sächsischen Vorschläge zur Wiederbelebung wichtiger Strecken? Der Fahrgastverband PRO BAHN ist verwundert über das Schweigen in Sachsen. Denn anderswo wird längst wieder geplant.
Das Verkehrsministerium des Landes Baden-Württemberg stellte kürzlich einen Plan vor, welche Bahnstrecken für einen attraktiven Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ertüchtigt werden sollen. Das Ministerium hat in der Analyse 32 Strecken mit sehr hohem bis mittlerem Nachfragepotential ermittelt, außerdem zehn Strecken, die sich aus touristischer Sicht für eine Reaktivierung lohnen.
Die Betrachtungen der einzelnen Projekte gehen unter anderem von einer weitgehenden Integration von Bahn und Bus aus, um die Fahrgastpotentiale zu heben. Das Land stockt für eine Realisierung sogar die Bundesförderung (90 % der Baukosten) auf 95,75 % auf. Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert nun, dass Sachsen diesen Ansatz übernimmt.
Es ist davon auszugehen, dass im Ländle bald Projekte zur Wiederbelebung von Bahnstrecken starten. Der Freistaat Sachsen hingegen ist komplett unvorbereitet. Wenn es nach dem zuständigen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) geht, werden gegebenenfalls bis Ende 2021 Gutachten beauftragt, die herausfinden sollen, wie es um stillgelegte sächsische Bahnstrecken bestellt ist. Mit Ergebnissen ist dann frühestens 2023 zu rechnen, kritisiert der Fahrgastverband. Danach könnten Anträge für die 90 %-Förderung beim Bund gestellt werden.
„Falls dann dort noch Geld da ist“, gibt Anja Schmotz, stellvertretende Landesvorsitzende des Fahrgastverbandes PRO BAHN Mitteldeutschland, zu bedenken. „Diese Herangehensweise des SMWA ist leider völlig verfehlt.“
Sachsen ist, wie es aussieht, ein Weltmeister darin, alles, was nachhaltigen Verkehr betrifft, in jahrelange Aussitz-Schleifen zu verschieben. Eigentlich hätte die Reaktivierung von Bahnstrecken mit Potenzial in den Landesverkehrsplan 2030 gehört, den das Regierungskabinett am 25. Juni 2019 beschloss.
Aber darin findet sich nur die lapidare Ansage: „Über die mögliche Reaktivierung von Eisenbahninfrastruktur für den SPNV haben die kommunalen Aufgabenträger im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Globalbudgets zu entscheiden. Dabei sind verkehrliche, wirtschaftliche und ökologische Aspekte in einer langfristigen Perspektive zu betrachten und zu bewerten.“
Die regionalen Zweckverbände für den Nahverkehr sollen also Vorschläge machen, die Potentialuntersuchungen aber aus ihrem „Globalbudget“ bestreiten.
„Warum verhalten sich die beiden Koalitionspartner von Herrn Dulig bei diesem Thema bisher so still? Im Koalitionsvertrag ist die Reaktivierung von Bahnstrecken für den SPNV ausdrücklich verankert“, stellt Markus Haubold, PRO BAHN Sprecher für Südwestsachsen fest. Ein Abwarten bis zum Ende der Legislaturperiode sei der falsche Ansatz, wenn eine Verkehrswende erreicht und mehr Menschen für die Nutzung des öffentlichen Verkehrs gewonnen werden sollen.
Gerade im ländlichen Raum sorge eine gute Bahnanbindung für eine Aufwertung der Lebensverhältnisse und bedeute damit für die Menschen einen Gewinn an Lebensqualität. Zudem bilden Bahnverkehre das Rückgrat für den gesamten ÖPNV. Mögliche touristische Verkehre könnten neue wirtschaftliche Impulse geben. Für manche Strecke bestehe zudem dringender Handlungsbedarf, bevor diese komplett stillgelegt und abgebaut werden.
„Die Koalitionspartner sollten mit sanftem Druck die Lethargie des SMWA überwinden und dafür sorgen, dass auch in Sachsen eine zukunftsweisende Verkehrspolitik möglich wird“, fordert Schmotz.
Bei einigen Bahnstrecken könne schon heute gehandelt werden, stellt PRO BAHN fest. Gutachten liegen bereits für die Strecken Pockau-Lengefeld – Marienberg (noch immer unveröffentlicht) und aktuell für Döbeln–Meißen vor. Ein weiteres Gutachten für den Lückenschluss Holzhau–Moldava werde gerade beauftragt. „Erste Handlungsempfehlungen liegen nun auf dem Tisch und warten auf eine Umsetzung“, so PRO BAHN. Zudem könnten diese Ergebnisse mit in das Gutachten für ganz Sachsen einfließen und so für eine Beschleunigung und Kostenreduzierung sorgen.
Und eigentlich gehört auch die von Leipzig gewünschte Verbindung über Markranstädt nach Merseburg dazu, die im S-Bahn-Netz eine eminente Rolle spielt. Wie so einige andere fehlende Strecken im mitteldeutschen S-Bahn-Netz. Das liegt alles schon seit 2018 auf dem Tisch, auch wenn der damals vorgelegte Nahverkehrsplan des ZVNL dem Leipziger Stadtrat nicht ansatzweise genügte.
Getan hat sich seitdem nichts. Was eigentlich nicht mehr verwundert in Sachsen.
Wie viel Verantwortung trägt die Sächsische Staatsregierung für die Engpässe im Schienennetz?
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Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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