Die Frage ist berechtigt, die ein anonymer Leipziger da mit seiner Petition zu Leipziger Fahrradstraßen aufwarf. Denn sie unterscheiden sich praktisch nicht von normalen Straßen und erst seit September gibt es große Signets auf dem Asphalt, die auch noch den eiligsten Autofahrern signalisieren, dass sie hier keine Vorfahrt haben. Aber sollte sich Leipzig nicht doch die Fahrradstadt Münster zum Vorbild nehmen?
„Bundesweit – so auch in Leipzig – haben Fahrradstraßen aber oft keine qualifizierte Ausgestaltung“, schreibt der anonyme Petent, der seine Petition auch nicht bei den Online-Petitionen der Stadt eingestellt hat, sodass auch niemand mitzeichnen konnte.
„Viele von Leipzigs Fahrradstraßen sind nicht von anderen Erschließungsstraßen zu unterscheiden. Vielfach kommt es zu hohem Kfz-Durchgangsverkehr sowie daraus folgenden kritischen/behindernden Begegnungssituationen, Überhol- und Parkvorgängen (z. B. in der Schillerstraße, Dittrichring, Beethovenstraße, Straße des 17. Juni, Deutscher Platz). Die Stadt Münster in Nordrhein-Westfalen hat auf diese Probleme reagiert und im Jahr 2019 neue Qualitätsstandards für Fahrradstraßen beschlossen (…).“
Dabei haben wir uns doch Münster als Vorbild genommen, so jedenfalls klingt die Stellungnahme des Verkehrsdezernats zur Petition.
Und das Dezernat begründet auch, warum das so ist: „Folgende Punkte aus den Qualitätsstandards für Fahrradstraßen der Stadt Münster werden bereits, in abgewandelter Form, in Leipzig angewendet:
– Einhalten der Mindestfahrgassenbreiten: Die in der Stadt Münster geltenden Mindestbreiten für die Fahrgassen einer Fahrradstraße werden im Regelfall auch in Leipzig angewendet.
– Aufbringen eines Fahrradstraßen-Piktogramms: Seit September wird am Beginn oder der Einfahrt zu einer Fahrradstraße ein speziell für die Fahrradstraßen in der Stadt Leipzig entwickeltes Piktogramm in der Größe von 3,5 x 3 m auf der Fahrbahn aufgebracht, das einen Radfahrenden auf einem Fahrrad sitzend über dem Schriftzug Fahrradstraße darstellt.
– Beschränkung des Durchgangsverkehrs: In Leipzig in Anwendung, indem – wie in der Verwaltungsvorschrift zur StVO verankert – lediglich Kfz-Anliegerverkehr zugelassen wird.“
Ein anderer Punkt ist noch nicht umgesetzt: „Vorrang für Fahrradstraßen“.
Dazu schreibt das Dezernat: „Eine prinzipielle Bevorrechtigung von Fahrradstraßen gegenüber kreuzenden Straßen gemäß den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) wird in Leipzig geprüft. Fahrradstraßen befinden sich auch in mit Tempo 30-Zonen verkehrsberuhigten Wohngebieten, in denen als Regelfall die rechts-vor-links-Regel der StVO angewandt wird.“
Das alles klingt eher nicht danach, dass Fahrradfahrer wirklich mehr Vorfahrt bekommen. Eher wie ein Versuch, die Fahrradstraße in das Leipziger Verkehrssystem einzuordnen, ohne für Autofahrer allzu viel zu ändern.
Und die konsequenteren Schritte aus Münster mag Leipzigs Verwaltung vorerst nicht gehen.
„Für Leipzig nicht zielführend sind dagegen folgende Aspekte der für Münster geltenden Qualitätskriterien für Fahrradstraße“, schreibt das Verkehrsdezernat:
„ Einfärbung der Fahrgassen in Fahrradstraßen: Die Roteinfärbung von Radverkehrsanlagen ist in Leipzig auf besondere Gefahrensituationen, z. B. Unfallhäufungsstellen und Radfurten in Knotenpunkten, beschränkt und dient der Aufmerksamkeitssteigerung und dem Hinweis auf die besondere Gefahrensituation. Eine Roteinfärbung von Fahrgassen in Fahrradstraßen würde diese Kenntlichmachung eines gefährlicheren Straßenabschnitts ad absurdum führen, da Fahrradstraßen als sicherer als normale Straßenabschnitte gelten. Die Einfärbung stellt zudem einen ganz erheblichen Mehraufwand gegenüber der jetzigen Kennzeichnung von Fahrradstraßen dar, dessen Kostenaufwand sowohl für die erstmalige Einfärbung als auch die dauerhafte Unterhaltung nicht im Budget der Straßenunterhaltung abgebildet werden kann.“
Was ja auch heißt: Leipzig ist noch weit entfernt von einer Fahrradstadt und vom Niveau der Fahrradpolitik in Münster ebenfalls. Dort hat man längst erkannt, dass man deutlich konsequenter sein muss, wenn man wirklich einmal sicherere Routen für Radfahrer durch die Stadt legen will, in denen sie von motorisierten Zeitgenossen wirklich respektiert werden.
„Grundsätzlich ist die Ausweisung von Fahrradstraßen ein geeignetes Instrument zur Radverkehrsförderung. Fahrradstraßen bündeln bei wahrnehmbarem Design und konsequenter Netzplanung die Radverkehrsströme. Sie erhöhen die objektive sowie subjektive Sicherheit und sind eine attraktive Alternative abseits der Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen“, kann man dazu auf der Website der Stadt Münster lesen.
„Bundesweit – und so auch in der Fahrradstadt Münster – hatten Fahrradstraßen bislang aber oft keine qualifizierte Ausgestaltung. Viele von Münsters Fahrradstraßen waren nicht von anderen Erschließungsstraßen zu unterscheiden. Darüber hinaus fehlte häufig eine ausreichend breite Fahrbahn, um Begegnungsverkehr zu ermöglichen.“
Und die rote Farbe auf der Fahrbahn ist nur der erste Schritt. Der nächste ist, diese bevorzugten Radrouten auch von parkenden Pkw frei zu machen. Denn die engen nicht nur die Fahrspur ein, sondern lassen Begegnungen und Überholvorgänge kaum noch zu.
Die Stadt Münster dazu: „Im bisherigen Zustand bieten die Fahrradstraßen in Münster den Radfahrenden wenig Komfort. Das soll sich ändern, auch durch eine Umverteilung der öffentlichen Verkehrsfläche zulasten des ruhenden Kfz-Verkehrs.“
Da hört man schon den gewaltigen Aufschrei der Lobby fürs geparkte Blech, wenn in Leipzig auch nur Einer sich traut, so einen Gedanken zu äußern.
Die Petition jedenfalls lässt ahnen, wie weit der Weg noch ist, damit Leipzig wirklich einmal eine Fahrradstadt wird. Denn trotz überwältigender Beteiligung am „Stadtradeln“ ist Leipzig noch lange keine Radfahrerstadt. Und das liegt nicht an den Radfahrer/-innen, sondern an einer Radnetzplanung, die den Notwendigkeiten mindestens zehn Jahre hinterherhinkt.
Seit dieser Woche haben die ersten Leipziger Fahrradstraßen auch Fahrbahn-Piktogramme
Seit dieser Woche haben die ersten Leipziger Fahrradstraßen auch Fahrbahn-Piktogramme
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