Als Sachsen vor über einem Jahr seine Projekte für das „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ anmeldete, waren auch reihenweise teure Straßenneubauten drin, die vorher nie eine Chance auf Realisierung gehabt hätten. Aber der Glaube ist unerschütterlich, dass über Staatsstraßen und Autobahnen endlich die florierende Wirtschaft käme. Auch in die Lausitz. Am 23. Oktober aber vermeldete das Verkehrsministerium das Ende eines dieser Traumprojekte.
Ein Stück Straße für 410 Millionen Euro, das niemand braucht
Für andere Straßenprojekte im „Strukturstärkungsgesetz“ würden jetzt die Vorplanungen beginnen, meldete das Verkehrsministerium. Obwohl selbst die aktuellen Verkehrszählungen keinen Bedarf an einem solchen Ausbau belegen. Man könnte es auch Wahnsinn mit Methode nennen, denn für nichts gibt es in der Lausitz weniger Bedarf, als den Bau neuer Bundesstraßen und Autobahnen durch bislang unberührtes Gebiet.
Selbst das Verkehrsministerium gestand ein: „Hinsichtlich Kapazität und Leistungsfähigkeit des vorhandenen Bundes- und Staatsstraßennetzes liegen in der betrachteten Region keine Engpässe vor. Die derzeitige Auslastung der vorhandenen Bundesstraßen B 96, B 156 und B 115 liegt mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke von 4.000 bis 6.000 Fahrzeugen täglich unter dem durchschnittlichen Wert für Belastung von Bundesstraßen außerhalb von Ortslagen, der 2018 bei ca. 7.500 Kfz/24h lag. Die von den Befürwortern erwartete großräumige Verlagerung von überregionalen grenzüberschreitenden Verkehren auf die B 178n südlich der BAB 4 bis zur Bundesgrenze D/PL und D/CZ wurde durch die Verkehrsuntersuchung der Machbarkeitsstudie nicht bestätigt.“
Was eigentlich alles Grund genug wäre, sämtliche Ausbaupläne in dieser Hinsicht zu stoppen und das Geld lieber in Radwege und Schienenwege zu investieren, also eine realistische Verkehrszukunft nach der Kohle.
Die Leute, die seit Jahren immer neue Straßenbauten fordern, liegen im Grunde jedes Mal daneben.
Mit einem Umdenken hin zu einer wirklich klimafreundlichen Mobilität hat das alles nichts zu tun.
Die Straße wäre durch sieben Naturschutzgebiete gegangen
„Für ein weiteres aus der Region gefordertes Vorhaben, die Verlängerung der B 178 – zwischen der A 4, Anschlussstelle Weißenberg, bis zur A 15 in Brandenburg sieht das sächsische Verkehrsministerium keine Realisierungschance“, teilte das Sächsische Verkehrsministerium am 23. Oktober mit.
„Das Vorhaben wurde mit dem Ziel, die regionale Entwicklung des Lebens- und Wirtschaftsraumes Lausitz durch eine verbesserte Anbindung in Richtung Ballungsraum Berlin (bzw. auch Cottbus) mittels Bau einer neuen leistungsfähigen Straßentrasse zu befördern, an die sächsische Staatsregierung herangetragen.“
Also hat das SMWA das Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie für eine mögliche Verlängerung der B 178n nach Norden beauftragt. Im Rahmen der Studie wurden die verkehrliche Wirkung, Umweltauswirkungen, Raumwiderstände und Wirtschaftlichkeit geprüft. Der Entwurf der Machbarkeitsstudie wurde Ende 2019 vorgelegt, zwischenzeitlich geprüft, überarbeitet und ergänzt.
„Ein solches Gutachten ist die Grundlage für eine solide Planung bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass es jedoch für einen Straßenneubau aus umweltfachlicher, wirtschaftlicher und verkehrlicher Sicht keinerlei Grundlage gibt. Nach den bisher erfolgten Abstimmungen mit dem Land Brandenburg zeichnet sich auch von dieser Seite keine Unterstützung für ein solches Vorhaben ab“, erklärte Staatssekretär Hartmut Mangold.
Man hat zwar noch versucht, eine Variante zu finden, die eine geringstmögliche Betroffenheit für die Schutzgebiete aufweist. Dennoch wären trotz dieser Eingriffsminimierung sieben Naturschutzgebiete mit europäischem Schutzstatus und das UNESCO-Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft“ direkt betroffen. Und Sachsens Regierung verhält sich in diesem Fall einmal deutlich klüger als die hessische mit dem Dannenröder Forst. Sie versucht das Projekt nicht trotzdem durchzudrücken.
„Die mit der Umsetzung des Vorhabens verbundenen Umweltrisiken sind damit als so hoch einzuschätzen, dass auch mit bestens aufbereiteten Unterlagen kaum Aussicht auf eine baurechtliche Genehmigungsfähigkeit für eine neue ,gebietszerschneidende‘ Straße bestehen würde“, betont Mangold. Die überschläglich ermittelten Investitionskosten für die rund 70 km lange Baustrecke betragen nach heutigem Kenntnisstand mindestens 410 Millionen Euro. Der ermittelbare Nutzen liegt damit deutlich unter den aufzuwendenden Kosten, so das SMWA.
Es gibt viel vernünftigere Ideen für das Geld
Kritiker des Projekts wiesen schon seit längerem darauf hin, dass für das Großprojekt kein Bedarf bestehe. Indem die Sächsische Staatsregierung das Projekt aus der Planung nimmt, sind – rein theoretisch – finanzielle Mittel in Höhe von 410 Millionen Euro frei. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Sachsen schlägt nun vor, diese Mittel aus dem Strukturstärkungsgesetz in moderne, vernetzte und sichere Radverkehrsverbindungen zu investieren.
„Ich freue mich, dass der Freistaat bei der B 178 nun die Reißleine gezogen hat. Bis 2025 möchte die Koalition in Dresden den Anteil des Radverkehrs in Sachsen verdoppeln. Das ist sehr ambitioniert, weshalb die frei werdenden Mittel unbedingt für dieses Ziel eingesetzt werden sollten“, erklärt Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen.
Rechnerisch könnten von den 410 Millionen Euro mehr als 1.300 km Radwege neben Bundes-, Staats-oder Kreisstraßen gebaut werden. Das entspräche nahezu einer Verdoppelung des aktuellen Radwegenetztes aller Kreis-, Staats- und Bundesstraßen im gesamten Freistaat.
Der ADFC schlägt vor, dass die Mittel nun verstärkt in Radverkehrsprojekte in den sächsischen Kohleregionen investiert werden. Insbesondere sieht der Fahrradverband den Bedarf im beschleunigten Bau von Radwegen an Bundesstraßen sowie in einem Programm zur Vernetzung von Bahn und Radverkehr.
„Gerade im ländlichen Raum ist doch ein Mangel an autobahnartigen Bundesstraßen wirklich nicht das Problem. Viel größer sind die Probleme einfachster Basismobilität, weil man mit dem Rad nicht sicher von Ort zu Ort kommt. Oft sind Menschen auf dem Weg zu Arbeit, Schule oder Einkauf auch für sehr kurze Strecken auf das Auto angewiesen, weil eine sichere Radverbindung ins Nachbardorf schlicht fehlt“, geht Krause auf diese überall im Freistaat sichtbaren Grundprobleme ein.
„Der Freistaat will junge und gut ausgebildete Menschen in die Kohleregionen locken. Längst sind lückenlose und sichere Radverkehrsnetze ein ernstzunehmender Standortfaktor. Die Vorstellung, dass man als qualifizierte Fachkraft seine Kinder mit dem Auto zur Schule und zum Sport fahren muss und auch selbst nicht mit dem Rad zur Arbeit kommt, wirkt auf junge Hochschulabsolventen einfach abschreckend.“
Der Weg zu einem dichten Radwegenetz scheitert in Sachsen vielerorts an Planungskapazitäten und der Finanzierung: Lediglich 28 % der Bundesstraßen in Sachsen verfügen aktuell über einen Radweg. Bundesweit liegt dieser Wert bei über 40 %. Nur 11 % von Sachsens Staatsstraßen verfügen aktuell über einen Radweg. Damit rangiert Sachsen bundesweit auf den letzten Plätzen.
Der ADFC möchte das Umland von Leipzig zu einer führenden Radregion in Deutschland entwickeln, wofür große Anstrengungen beim Ausbau des touristischen Radwegenetzes erforderlich sind. Auch im Bereich des Alltagsverkehrs sieht der ADFC den Kohleausstieg als Chance für modernen und vernetzten Radverkehr. Ein sicheres und lückenloses Radwegenetz kann die Lebensqualität ländlicher Regionen erheblich steigern und ist ein entscheidender Baustein für eine erfolgreiche Regionalentwicklung nach dem Kohleausstieg.
In den sächsischen Braunkohleregionen wünschen sich schon jetzt 59 % der Einwohner ein stärkeres Engagement für sicheren Radverkehr. Etwa 60 % fühlen sich bei ihren Wegen auf dem Rad gefährdet. Sogar 70 % der Befragten gaben an, dass sie selbst größere Kinder nicht mit gutem Gewissen allein Radfahren lassen.
Und auch für die vom Kohleausstieg betroffenen Landkreise im Umland von Leipzig fordert der ADFC eine beschleunigte Umsetzung des Radwegebaus an Bundesstraßen. Das betrifft hier rund 40 km Neubaustrecke im Landkreis Nordsachsen und etwa 20 km Radwege im Landkreis Leipzig. An den Bahnhöfen im Mitteldeutschen Braunkohlerevier hat der ADFC der Sächsischen Staatsregierung einen Ausbauplan für Fahrradstationen mit einem Investitionsvolumen von ca. 13 Millionen Euro vorgelegt.
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