Einige der großen Zeitungen gaben sich ja im Corona-Shutdown und auch noch danach alle Mühe, den ÖPNV flächendeckend zum Risiko in Sachen Ansteckungsgefahr zu erklären und damit bei den Deutschen die Angst zu schüren, Bahn und Bus zu benutzen. Als Alternative priesen sie ausgerechnet das Automobil. Das setzt die ÖPNV-Anbieter weiter unter Druck, denn weniger Fahrgäste bedeuten weniger Einnahmen. Ein Irrweg.

Doch auf dem Irrweg sind eher einige der großen Zeitungen mit ihren vom Autofahren so begeisterten Redakteuren. Und besonders deutlich zeigte die „Welt“, wie man die Angst schürt, wenn man das Virus verbal mit der U-Bahn durch New York reisen lässt. Die „Welt“ bezog sich dabei auf den Ökonomen Jeffrey E. Harris vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) und erklärte die U-Bahn zur „perfekten Virenschleuder“.

„This study tests the hypothesis that New York City’s multitentacled subway system was a major disseminator – if not the principal transmission vehicle – of coronavirus infection during the initial takeoff of the massive epidemic that became evident throughout the city during March 2020“, beschrieb Harris seinen Ansatz.

Das Ergebnis der Studie aber klingt dann doch anders und inzwischen erstaunlich vertraut. Denn die Hauptinfektionsquelle der New Yorker, die von Harris’ Studie mit den Werten vom März erfasst wurden, war gar nicht überraschenderweise ihr Arbeitsplatz. Und auch Harris weist in seiner Studie schon darauf hin, dass vor allem die „working poor“ betroffen waren, die Leute, die gar keine Chance hatten, einfach mal schnell ins Homeoffice zu wechseln (wie die meisten SUV- und Van-Besitzer), die meistens in Dienstleistungsbereichen mit hohem Publikumsverkehr tätig sind und auch wegen ihrer miesen Bezahlung weit draußen in den New Yorker Vororten wohnen müssen – alle angewiesen auf die U-Bahn.

Aber all das haben die „Welt“-Redakteure einfach übersehen. War ja nur ein Computermodell, bei dem dann auch sichtbar wurde, dass die Infektionszahlen in Manhattan (wo die Betuchteren wohnen) schneller zurückgingen als in den Außenbezirken. Da hätte ja ein Groschen fallen können. Ist aber nicht.

Tatsächlich ist die Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln sogar geringer als zum Beispiel an allen diesen Billigarbeitsplätzen, an denen auch in Deutschland immer wieder neue Corona-Hotspots entstehen. Darauf ging dann im Mai auch ein „Zeit“-Artikel etwas fundierter ein.

Aber das Ganze sah schon wie eine Kampagne aus. Denn Corona schien wie eine einmalige Chance, ein Transportmittel wieder zurück an den Start zu bringen, das vorher schon massiv in die Krise geraten war: das Automobil. Das Sicherheit freilich nur vorgaukelt, denn die tatsächlichen Ansteckungsorte sind eher nicht die städtischen Transportmittel, wie ein Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung jetzt ausgearbeitet hat: „Die Angst der Menschen vor einem überstarken Risiko der Ansteckung im ÖPNV ist nicht gerechtfertigt. Überall dort, wo Menschen während ihres Tagesablaufs in Situationen kommen, in denen Mindestabstände schwer einzuhalten sind, können Probleme entstehen.

Das gilt für den Arbeitsplatz, den Haushalt, Restaurants oder Fitnessstudios. Besonders in schlecht belüfteten Innenräumen, beim Kontakt mit mehreren Menschen über einen längeren Zeitraum und bei gleichzeitig starker körperlicher Belastung ist nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ein höheres Risiko vorhanden. Es besteht daher im ÖPNV keine besonders gesteigerte Gefahr gegenüber anderen vergleichbaren Orten.“

Doch die falschen Warnungen haben den ÖPNV in massive Schwierigkeiten gebracht. Die Fahrgastzahlen sind massiv eingebrochen – woran die Fahrgastunternehmen nicht immer ganz schuldlos waren. Viele haben ihr Angebot, da die Fahrgäste nun einmal wegblieben, sogar noch ausgedünnt.

Und damit genau die Bilder erzeugt, die in der Corona-Zeit absolut kontraproduktiv sind: überfüllte Bahnen, in denen von 1,5 Meter Abstand nicht mal zu träumen war. Wenn es also nicht das Virus war, waren es diese vollgestopften Straßenbahnen, die auch in Leipzig viele Menschen lieber aufs Fahrrad umsteigen ließen.

Eher nicht aufs Auto. Denn erstaunlicherweise hörte die Krise des Automobils in der Corona-Zeit ganz und gar nicht auf.

„Die Wege im MIV gingen in den Wochen der harten Beschränkungen zum Teil um 50 Prozent zurück“, kann man nun im Positionspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung lesen. „Wer nicht zur Arbeit fährt und keine Freizeitaktivitäten durchführen kann, lässt den Pkw eben öfter stehen. Gerade bei dieser Personengruppe macht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice bemerkbar. Bereits seit Mitte Mai und mit den ersten Lockerungen des Shutdowns ist aber zu verzeichnen, dass der MIV wieder spürbar zulegt. Viele Arbeitgeber/-innen und auch die Medien verstärken diese Tendenz durch die Erzählung von der ,Renaissance des Pkw‘, der jetzt seine Stärke zeige, weil man sich alleine in seinem privaten Auto eben nicht anstecken kann.“

Diese Renaissance aber gibt es nicht: „Derweil sind die Absatzzahlen im Automobilbereich deutlich gesunken. Waren bereits im ersten Quartal – und daher ohne Corona als eindeutigem Grund – 20 Prozent weniger Pkw in Deutschland zugelassen worden, sanken die Zulassungen im April sogar um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Reflexartig fordert die Automobilindustrie jetzt u. a. Kaufprämien von der Bundesregierung, will aber gleichzeitig an Dividendenausschüttungen festhalten.“

Doch erstaunlicherweise ging die Bundesregierung auf diese Forderung der Autokonzerne diesmal nicht ein.

Es wäre im Angesicht der Klimakrise eine Katastrophe gewesen. Natürlich ist das Rad tatsächlich die umweltfreundlichste Alternative und einige Großstädte haben mit besseren Angeboten für Radfahrer auch schnell regiert.

Aber eigentlich braucht es jetzt zukunftsfähige Lösungen für den ÖPNV, stellen die Autoren des Papiers fest: „Um den enormen Rückgang der Einnahmen und Fahrgastzahlen im ÖPNV auszugleichen, müssen Bund und Länder zunächst schnell eine gemeinsame Finanzierung zum vollständigen Schadensausgleich bereitstellen. Damit kann das bestehende Angebot kurzfristig abgesichert werden.

Länder, Kommunen und Verkehrsunternehmen müssen darüber hinaus dringend eine Vertrauenskampagne für den ÖPNV aufsetzen, die den Menschen ihre Ängste nimmt. Außerdem muss das Angebot erweitert werden, um real zu mehr Platz in den Fahrzeugen beizutragen und damit das Sicherheitsgefühl zu stärken. Diese Ausweitung des Angebots zum Nutzen unserer Gesellschaft ist ohnehin dringend geboten.“

Die Autoren stellen einige Forderungen auf, was jetzt zu tun ist, um den umweltfreundlichen Verkehr gerade auch in der Corona-Zeit voranzubringen, kurzfristige und mittelfristige. Und siehe da: Es ist die ganze Leipziger Diskussion zum Nachhaltigkeitsszenario darin mit einem deutlichen Ausbau des Angebots bis hin zur Bevorrechtigung des ÖPNV, mehr Platz für Radverkehr und ÖPNV und der Diskussion über ein Umlagesystem, wie sie Leipzig auch schon erlebt hat. Denn wenn sich mehr Bürger an der Finanzierung des ÖPNV beteiligen, ist das System auch besser für solche Krisen wie die Corona-Pandemie gewappnet.

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