Wenn Leipzig den beschlossenen Klimanotstand und die ebenso versprochene Mobilitätswende ernst nimmt, muss die Stadt es schaffen, vor allem mehr Autofahrer/-innen dazu zu bewegen, aufs Rad oder auf den ÖPNV umzusteigen. Und sich dazu auch einiges einfallen lassen. Eine Idee griff die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat auf: Warum nicht Autofahrer/-innen, die ihren Führerschein abgeben, im Gegenzug ein zeitlich begrenztes Abo für die LVB geben? Quasi als Umstiegsprämie?

„In einigen Kommunen, zum Beispiel in Bayern und Nordrhein-Westfalen, können ältere Menschen freiwillig ihren Führerschein bei der zuständigen Behörde abgeben und erhalten dafür kostenfrei ein zeitlich begrenztes Ticket für den lokalen ÖPNV“, hatte die SPD-Fraktion im April in ihrer Anfrage dazu formuliert. „Die Anzahl der Interessenten liegt in Dortmund z. B. bei jährlich 100 älteren Personen.“

Was ja auch ein erheblicher Aspekt der Verkehrssicherheit ist. Ältere Menschen werden zunehmend unsicherer im Straßenverkehr, trauen sich aber oft nicht den Schritt zu gehen, ihr Auto abzumelden und künftig lieber mit Bus und Bahn zu fahren.

Und auch die SPD-Fraktion betont: „Die Möglichkeit, den Führerschein freiwillig gegen ein ÖPNV-Ticket zu tauschen, könne für Senioren ein Anlass sein, über die eigene Fahrtauglichkeit nachzudenken.“

Aber da hat sie nicht mit dem komplizierten Denken im westsächsischen ÖPNV gerechnet. Denn nicht einmal so eine Aktion können die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) umsetzen, ohne erst einmal den Mitteldeutschen Verkehrsverbund mit allen seinen kleinen Eigeninteressen zu fragen. Und Leipzigs Verkehrsverwaltung hat dieses Denken in Lokalgrenzen und Unmöglichkeiten längst verinnerlicht, wie die jetzt vom Dezernat Stadtentwicklung und Bau vorgelegten Antworten zeigen.

„Wie steht die Stadt Leipzig bzw. die LVB/der MDV zu einem solchen Angebot?“, hatte die SPD-Fraktion eine eigentlich ganz einfache Frage gestellt.

Die Antwort ist ein Meisterstück des eleganten Ausweichens: „Sowohl die Stadt Leipzig als auch die LVB greifen in Kooperation mit den Partnern im MDV regelmäßig Initiativen der Leipziger Bevölkerung, der Kunden und Politik zur Stärkung des ÖPNV auf. In diesem Zusammenhang ist das in der Anfrage thematisierte Anreizsystem zur freiwilligen Abgabe des Führerscheins gegen ein ÖPNV-Ticket bekannt und eine von vielen interessanten Ideen, die für eine zukünftige Umsetzung erwogen werden können. Hierfür gilt es in Auswertung von vergleichbaren Aktionen in anderen Kommunen (bspw. Dortmund) zu sehen, wie sich die Einführung eines solchen Tickets auswirkt und insbesondere wie sich deren Nachfrage entwickelt.“

Das war die umständliche Ausrede. Was man tatsächlich davon hält, steht im letzten Satz der Antwort: „Konkret werden derzeit noch keine Aktivitäten verfolgt, die auf eine Einführung eines solchen Tickets abzielen.“

Womit sich die zweite Frage der SPD-Fraktion eigentlich schon erübrigt, die da lautete: „Könnte ein solches Angebot wie in anderen Kommunen künftig auch in Leipzig umgesetzt werden?“

Denn die Antwort der Verwaltung ist ein emsiger Mauerbau, der Argumente sammelt, warum man so einen Vorschlag nur mit allergrößter Mühe in Angriff nehmen würde: „Zur Umsetzung müssten im ersten Schritt zunächst (gemeinsam mit der LVB) Prämissen abgestimmt und festgelegt sowie – darauf aufbauend – ein entsprechendes Konzept zur Umsetzung erarbeitet werden, welches insbesondere konkrete Vorstellungen zur Finanzierung beinhaltet. Denn den positiven Aspekten der potenziellen Neugewinnung von Kunden und der Erhöhung der Verkehrssicherheit stehen auch Risiken gegenüber, insbesondere in Bezug auf Mindereinnahmen.

Diese entstehen, wenn heutige Führerscheinbesitzer bereits ÖPNV-Fahrkarten kaufen und diese mit der Aktion dann kostenlos erhalten würden. In diesem Fall sind Einnahmeverluste zu erwarten, für die ein entsprechender Ausgleich durch die Stadt Leipzig erforderlich ist. Durch die große potenzielle Zielgruppe und die schwer abschätzbare Nutzung des Angebotes ergibt sich hierbei eine ggf. hohe Kalkulationsunsicherheit.“

Dabei hatte die SPD-Fraktion gar nicht auf die massive Erhöhung der Abonnenten-Zahlen gezielt. Nur zum Vergleich: Sollten in Leipzig sowie in Dortmund im Jahr 100 Senioren auf das ÖPNV-System umsteigen, hätte das nicht einmal spürbaren Einfluss auf die Abonnentenzahlen, die im September 2019 die Schnaps-Marke von 111.111 erreichten.

Mehraufwand hätten die LVB damit kaum bis auf die Herstellung einer Abo-Kundenkarte und das Einpflegen ins System. Vergibt man das Abo z. B. für ein Jahr, hätte man im zweiten Jahr in der Regel einen neuen Abo-Zahler. Die finanziellen Folgen hielten sich also deutlich in Grenzen.

Es sei denn, es würden tatsächlich gleich tausende Senioren-Autofahrer umsteigen wollen. Aber dann wäre der Effekt für den Straßenraum geradezu unbezahlbar. Denn gerade Rentnerhaushalte sind in Leipzig überdurchschnittlich mit eigenem Pkw ausgestattet: 85 Prozent der Rentnerehepaare besitzen ein oder sogar mehr Autos. Höher ist der Pkw-Besitz nur noch bei den Paaren mit Kindern.

Der Vorschlag würde sich also ideal einordnen in die vom Stadtrat immer wieder thematisierte Mobilitätswende.

Aber während der Stadtrat notgedrungen die Stadt im Blick hat, schaut das Verkehrsdezernat schon mit Schrecken auf die angrenzenden Landkreise, wo man schon hunderte Einwände gegen so ein Vorhaben befürchtet: „Im zweiten Schritt müsste der Vorschlag in die Fachgremien des MDV eingebracht, dort diskutiert und beschlossen werden, da nur mit Zustimmung und Unterstützung der betroffenen Verkehrsunternehmen im MDV eine Umsetzung möglich wäre.“

Was übrigens dasselbe Argument ist, mit dem jahrelang verhindert wurde, über die Fahrpreise der LVB ein Moratorium zu verhängen. Was 2019 dann aber doch passiert ist.

Und man ist durchaus findig, noch mehr Ausreden zu finden: „Darüber hinaus ist vorab eine Prüfung der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie der Genehmigungsfähigkeit erforderlich, da nur eine spezielle Zielgruppe angesprochen und eine Sonderregelung gegenüber dem genehmigten Tarif vorgenommen werden würde.“

Da fragt man sich wirklich, wie die das eigentlich in Bayern und Nordrhein-Westfalen geschafft haben, so eine Idee in die Tat umzusetzen. Vielleicht haben sie ja einfach mal in den Nachbarkreisen die Kolleg/-innen angerufen und gefragt, ob sie mitmachen würden. Und nicht so bürokratische Gremien wie wir in Westsachsen, wo alles immer erst einmal zerredet wird, bis einer den Mut findet zu sagen: Wir machen das.

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