Der Mensch lebt im Jetzt. Er kann sich nicht wirklich vorstellen, welche Folgen sein Wirtschaften wirklich hat. Oder eine politische Wahnsinnsidee wie der Neoliberalismus, der Deutschland seit 30 Jahren im Griff hat mit Phrasen wie der „Schwarzen Null“, „Standortvorteil“, „Effizienzgewinn“ und wie die Vokabeln sonst noch so heißen, mit denen vor allem einer „gesundgeschrumpft“ werden sollte: der Staat. Und damit in direkter Folge auch der öffentliche Nahverkehr. Das wird selbst dann deutlich, wenn die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) ihre Baupläne für 2020 vorstellen.

Die werden heftig. Was in der Bornaischen Straße ab dem 14. März passieren wird, wird das Leben in Connewitz genauso bis zum Dezember umkrempeln wie die Riesenbaustelle am Goerdelerring (30. März bis 17. November) den kompletten Innenstadtverkehr und die überfällige Modernisierung der Rosa-Luxemburg-Straße (18. Mai bis 18. Dezember) die Mobilität im Leipziger Osten.

Es sind drei große Baustellen mitten am offenen Herzen, mitten im Netz der LVB. Alle drei seit Jahren überfällig, wie Dirk Sikora, Bereichsleiter Infrastruktur bei den LVB, betont. Und es hat lange gedauert, bis der Komplettumbau der Haltestelle Goerdelerring überhaupt einmal eingetaktet werden konnte. Was zumindest in den letzten Jahren nicht mehr am Geld lag. Die Jahre davor schon.

Woran am Mittwoch, 11. März, Ronald Juhrs, Geschäftsführer Technik und Betrieb der LVB, erinnerte, als die LVB ihre Großbaustellen für 2020 ankündigten.

Denn eigentlich hätte er am liebsten gejubelt, weil er noch nie solche Zahlen verkünden durfte: Die Leipziger Verkehrsbetriebe investieren in diesem Jahr rund 138 Millionen Euro mit verschiedenen Schwerpunkten, wie z. B. in neue Fahrzeuge und ins Gleisnetz. Und das ist allein Geld für den Modernisierungskurs mit dem Fokus auf die Leistungsfähigkeit.

Gleisbau - hier in der KarLi. Foto: Ralf Julke
Gleisbau – hier in der KarLi. Foto: Ralf Julke

46 Millionen Euro davon fließen allein ins Gleisnetz (18 Millionen in den Umbau der Haltestelle Goerdelerring). Von so viel Geld allein für die Reparaturen und Modernisierungen im vorhandenen Gleisnetz durfte Juhrs jahrelang nur träumen. Was auch an all den Problemen lag, mit denen sich die Stadtholding LVV viele Jahre herumschlagen musste.

Sie brauchte fast zehn Jahre, um sich aus der miserablen finanziellen Situation um 2006 herauszuarbeiten. Und als sie gerade dabei war, es zu schaffen, kam der Eklat mit dem Wasserwerkegeschäftsführer, der das Tochterunternehmen mit riskanten Deals an den Rand der Katastrophe gebracht hatte.

Die Leistungsfähigkeit der LVV aber bestimmt, wie viel ihre Tochterunternehmen, zu denen auch die LVB gehören, investieren können. Und da war bis vor wenigen Jahren nicht viel drin. Meist kamen nur 20 Millionen Euro zusammen, mit denen man zwar ein bisschen „metern“ konnte, wie Ronald Juhrs gern sagt, also viele Meter Gleis ersetzen, wo es wirklich nur um Gleisaustausch ging.

Aber gerade die nötigen Modernisierungen bei Infrastrukturen waren von dem Geld nicht drin. Was zum Beispiel beim dringend nötigen Neubau der Zentralwerkstatt Heiterblick sichtbar wurde, die am Ende nur zur Hälfte gebaut wurde, weil die LVB mehr Fördergeld von Land dafür nicht bekamen.

Die andere Hälfte kommt tatsächlich in diesem Jahr: die wichtige Abstellhalle für 180 Wageneinheiten, die Bestandteil von 13 Millionen Euro ist, die die LVB allein in Infrastrukturen investieren.

In Bezug auf die 46 Millionen fürs Gleisnetz sagt Juhrs ganz eindeutig: Diese Summe muss sich verstetigen. Das ist das Mindeste, was die LVB brauchen, um das zweitgrößte Straßenbahnnetz Deutschlands in Schuss zu halten. Und dass es an vielen Stellen nicht in Schuss ist, merken die Nutzer an den vielen Langsamfahrstellen, wo die Substanz durch Langsamfahren geschont werden muss.

Das Tor ist offen, die Fahrt kann beginnen. Foto: Ralf Julke
Das Tor ist offen, die Fahrt kann beginnen. Foto: Ralf Julke

In den 138 Millionen Euro stecken auch die 38 XL-Straßenbahnen, die die LVB in Poznan bestellt haben. 23 dieser extra für Leipzig designten Bahnen fahren ja schon in Leipzig. „Und das nach anfänglichen Betriebsschwierigkeiten erstaunlich gut“, wie Juhrs sagt.

38 weitere sind bestellt und sollen ab April in Leipzig ankommen, sagt Juhrs. Bis 2021 sollen alle da sein. Außerdem stecken 52 neue Diesel-Busse – ebenfalls von Solaris – in der Anschaffungssumme von 67 Millionen Euro für neue Fahrzeuge. Wobei die LVB froh sind, dass über 50 Prozent ihrer Investitionen gefördert werden.

Auch das hat sich gerade in den vergangenen zwei Jahren geändert: Insbesondere der Bund hat endlich begriffen, dass er wieder mehr Geld in den ÖPNV stecken muss, um seine Klimaziele zu erreichen. Die Kürzungen dieser Zuschüsse waren wohl der kapitalste Fehler der vergangenen Regierungen.

Das hat alle Verkehrsunternehmen in Deutschland – „Nicht nur uns“, so Juhrs – zu Sparprogrammen gezwungen. Und da auch alle Kommunen ihre Zuschüsse an die ÖPNV-Unternehmen gesenkt haben (Leipzig von über 60 Millionen Euro zuletzt auf 45 Millionen Euro), litten darunter nicht nur die Löhne, sondern es unterblieben auch wichtige Investitionen. Dass Juhrs sich jetzt so intensiv um die Modernisierung des Bestandes kümmert, hat genau damit zu tun: Jahrelang fuhren die LVB auf Verschleiß. Der Nachholbedarf ist enorm.

Und das, was Leipzig mit den drei Großbaustellen 2020 erlebt, ist wohl so etwas wie eine Ouvertüre für das, was noch kommen muss, wie es Dirk Sikora ausdrückt.

Bornaische Straße mit XL-Straßenbahn. Foto: Ralf Julke
Bornaische Straße mit XL-Straßenbahn. Foto: Ralf Julke

Und da ist noch keine Erweiterung im Gleisnetz drin, sondern nur die Sicherung des Bestehenden und der Umbau der Gleisabstände, die ab 2024 den Einsatz von 2,40 Meter breiten Straßenbahnen ermöglichen sollen. Allein mit diesen Maßnahmen sind dann Fahrgastzahlen zwischen 160 bis 180 Millionen drin, also jene Steigerung, die der Stadtrat sich wünscht.

Dass für die 200 bis 240 Millionen aus dem Nachhaltigkeitsszenario dann auch echte Erweiterungen im Gleisnetz notwendig sind, ist Juhrs bewusst.

Aber wann diese Pläne überhaupt zur Umsetzungsreife gelangen, kann er noch nicht sagen. Nur eines: Dass das ohne die zusätzliche Förderung durch den Bund (Stichwort: Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) nicht möglich sein wird. Der Bund erhöht zwar diese Förderung für den ÖPNV von 332 Millionen Euro auf 2 Milliarden bis 2025. Aber da auch in allen anderen deutschen Kommunen die Debatte um den ÖPNV entbrannt ist und nicht nur in Leipzig über das 365-Euro-Ticket diskutiert wird, wird das auch ein Kampf um jede Million.

Aber so nebenbei kündigte Juhrs dann doch noch eine Modernisierung an, an deren Auftakt man schon fast nicht mehr gedacht hätte: Die LVB haben jetzt endlich das Ausschreibungsverfahren für Elektrobusse gestartet.

Und die ersten Buslinien, auf denen demnächst E-Busse eingesetzt werden sollen, stehen auch schon fest: Es sind die Linien 74, 76 und 89. Und etwas später soll dann die Linie 60 folgen.

Die Fahrgastzahlen der LVB stagnieren im dritten Jahr hintereinander

Die Fahrgastzahlen der LVB stagnieren im dritten Jahr hintereinander

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